Star Wars, nächste Runde
Völlig losgelöst? Wie die Europäische Union All-gestützte Infrastruktur für Sicherheits- und Verteidigungszwecke nutzt. Ein Hintergrund zur Militarisierung des Weltalls
Von Regina Hagen *
Als Ronald Reagan vor 31 Jahren sein Star-Wars-Programm bekannt gab, führte das nicht nur zu einer weltweiten Protestbewegung, es löste auch eine breite Debatte über Realisierbarkeit und Kosten aus. In den Folgejahren dominierten die Zweifel, viele Wissenschaftler verweigerten die Mitwirkung, und nach dem Ende des Kalten Krieges verschwand das Thema weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung, allerdings nicht aus den Köpfen von Politikern und Militärs. Dabei steht für die meisten Staaten nicht die Stationierung von Weltraumwaffen im Mittelpunkt, sondern die Entwicklung von Weltraumtechnik für militärische Zwecke. Dies gilt nicht nur für die militärischen Großmächte, sondern auch für Europa.
Die Volksrepublik China schoss 2007 einen eigenen, ausgedienten Satelliten ab und demonstrierte damit ihre Fähigkeit zum Satellitenkrieg; die USA zogen 2008 mit einem Anti-Satellitentest nach. Die Sowjetunion testete schon in den 1960er Jahren offensive Weltraumwaffen, und die USA heizten diesen Rüstungswettlauf ihrerseits kräftig an, bevor Moskau Mitte der 1980er Jahre ein Testmoratorium anbot, dem sich die USA nach einigem Zögern anschlossen und das bis 2008 hielt.
Aktuell werden im US-Verteidigungshaushalt Milliarden Dollar umgeschichtet, um die Pentagon-Programme zur Weltraumkontrolle (Space control) zu stärken. Die indische Defense Research and Development Organization teilte vor einigen Jahren unverblümt mit, Indien verfüge über die Technologie zum Bau von Weltraumwaffen. Japan ändert gerade die gesetzlichen Grundlagen für seine Weltraumagentur, um die Festlegung auf eine »ausschließlich friedliche Nutzung« des Weltraums aufzuheben.
Weniger spektakulär, dennoch kontinuierlich, verläuft die Militarisierung des Weltraums, die von zahlreichen anderen Staaten betrieben wird und die moderne Kriegsführung grundlegend bestimmt.
Raumfahrt macht in Europa meist positive Schlagzeilen: Die europäische Weltraumagentur realisiert die Kometenmission Rosetta; der deutsche Astronaut Alexander Gerst führt auf der Internationalen Raumstation wissenschaftliche Experimente durch; das Satellitennavigationssystem Galileo verspricht hilfreiche und wirtschaftlich lukrative Anwendungen …
Die Raumfahrt in Europa ist aber keineswegs rein zivil ausgelegt. Zahlreiche Projekte dienen militärischen Zwecken oder setzen bewusst auf Dual-use, die Kombination aus ziviler und militärischer Nutzung von Satellitentechnik.
Seit Jahrzehnten verfolgen einige europäische Staaten auf nationaler Ebene Projekte mit militärischem oder Dual-use-Charakter, um ihre militärischen Einsatzmöglichkeiten zu verbessern bzw. im Militärjargon: die »Kampfkraft zu verstärken«. Hier seien stellvertretend einige Beispiele genannt:
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Eine Voraussetzung für den heutigen Echtzeitkrieg ist die stabile Kommunikation, zum Beispiel zwischen der Kommandozentrale zu Hause und den Einsatztruppen am anderen Ende der Welt oder mit ferngesteuerten Drohnen. Großbritannien gibt daher 3,6 Milliarden Euro für das militärische Skynet-Projekt aus, das seit 2012 vier Satelliten umfasst und in einer Public-Private-Partnership von Paradigm Secure Communications entwickelt, gebaut und betrieben wird.
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Der erste Aufklärungssatellit der Serie Helios wurde vom französischen Militär 1995 auf eine Erdumlaufbahn gebracht. Inzwischen liefern vier Satelliten optische Bilder mit einer Auflösung bis 35 Zentimeter. Infrarotkameras (sie erkennen Wärmunterschiede auf der Erdoberfläche) bieten auch bei Dunkelheit eine gewisse Aufklärungskapazität. Frankreich hat für die Helios-Daten Nutzungsabkommen mit Italien, Spanien, Belgien und Griechenland abgeschlossen. Ein entsprechendes Abkommen mit Deutschland verschafft Frankreich im Gegenzug SAR-Lupe-Daten.
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Das Bremer Unternehmen OHB-Systems AG ist Generalunternehmer für die SAR-Lupe-Satelliten der deutschen Bundeswehr. Fünf mit Synthetic Aperture Radar (SAR) ausgestattete Satelliten umkreisen seit 2007 die Erde in 500 Kilometern Höhe auf einer polaren Umlaufbahn und erstellen unabhängig von Wetter- und Lichtverhältnissen Bilder von jedem Punkt der Erde mit einer Auflösung deutlich unter einem Meter. Die SAR-Technologie ist beim Militär beliebt, weil mit ihr auch Höhenunterschiede gemessen, Bewegungen wahrgenommen sowie Menschen und metallische Gegenstände am Boden (zum Beispiel Fahrzeuge oder Flugabwehrsysteme) erkannt werden können. 2013 teilte die Bundeswehr mit, SAR-Lupe werde 2017 durch das leistungsfähigere Nachfolgesystem SARah ersetzt. Optische Bilder des französischen Helios-Systems komplettieren die bildgebenden Aufklärungsfähigkeiten des deutschen Militärs.
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Das zweite militärischer Nutzung vorbehaltene Satellitensystem der Bundeswehr ist das Kommunikationssystem SATCOM Bw. Mit dem System »soll das IT-System der Bundeswehr bedarfsgerecht in die Einsatzgebiete verlängert und mindestens die gleiche Qualität wie in Deutschland bereitgestellt werden. Satellitenfunkverbindungen (...) können nahezu unter allen Witterungsbedingungen und in jedem Gelände hergestellt und betrieben werden. Einzelne Satellitenfunksysteme ermöglichen zudem eine Übertragung in der Bewegung.«
Die obigen Beispiele zeigen: Militärpolitik und -ausrüstung ist in Europa weitgehend Sache der Nationalstaaten, nicht der Europäischen Union; das Gleiche gilt für die Weltraumaktivitäten. Diese werden obendrein von wenigen Staaten dominiert. Die Europäische Weltraumagentur (European Space Agency, ESA) hat 22 Mitgliedstaaten - nicht alle davon sind Mitglieder der EU - und Kooperationsabkommen mit etlichen weiteren europäischen Staaten sowie Kanada. 2015 beträgt das ESA-Gesamtbudget 4,33 Milliarden Euro, davon werden 3,24 Milliarden Euro von den Mitgliedstaaten und Kooperationspartnern getragen. Allerdings steuern nur vier Staaten 87 Prozent dieses Anteils bei (und werden dafür mit dem Rückfluss entsprechender Industrieaufträge kompensiert): Deutschland zahlt 24,6 Prozent (= 797,4 Millionen Euro), Frankreich 22,2 Prozent, Italien 10,2 Prozent und Großbritannien 9,9 Prozent. Wichtigster Geldgeber überhaupt ist inzwischen aber die EU mit knapp über einer Milliarde Euro.
Das war nicht immer so. ESA wurde ja nicht als Agentur der EU gegründet, sondern 1975 als zwischenstaatliche Organisation um, wie es in der ESA-Konvention heißt, »die europäische Zusammenarbeit für ausschließlich friedliche Zwecke auf dem Gebiet der Weltraumforschung, der Weltraumtechnologie und ihrer weltraumtechnischen Anwendungen (...) fortzuführen und zu verstärken«.
In den vergangen 20 Jahren hat sich die EU aber gewandelt. Mit dem »Lissabonner Vertrag« von 2007 hat sie sich neu verfasst und festgeschrieben: »Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit.« Der Vertrag verpflichtet die EU-Staaten daher darauf, »ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern« und installiert die Europäische Verteidigungsagentur, um dieses Ziel abzusichern (Artikel 42). Artikel 189 verfügt die Ausarbeitung einer »europäische(n) Raumfahrtpolitik« - diese wurde noch im selben Jahr verabschiedet - und die Herstellung einer »zweckdienlichen Verbindung zur Europäischen Weltraumorganisation«.
Die Ausweitung der Aufgabengebiete um Verteidigungspolitik nahm ihren Ausgang 1992, als die EU im Maastrichter Vertrag die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik festlegte. Im selben Jahr beschloss die (inzwischen aufgelöste) Westeuropäische Union - ein militärischer Beistandspakt einiger Länder mit EU- und NATO-Mitgliedschaft - bei ihrem Gipfeltreffen die »Petersberger Aufgaben«. Diese wurden später ausdrücklich in den Lissabonner Vertrag übernommen und umfassen »humanitäre Aktionen oder Rettungseinsätze; Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens; Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung, einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen; gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen; Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung; Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten«.
In einem »Gemeinsamen Grundsatzpapier der (Europäischen) Kommission und der ESA zur europäischen Strategie für die Raumfahrt« stellten die beiden Partner im Jahr 2000 fest: »Der Weltraum hat eine sicherheitspolitische Dimension, die bisher auf europäischer Ebene nur im Kontext der WEU eine Rolle gespielt hat. Durch die anstehende Integration der WEU in die EU und die auf dem europäischen Gipfel von Helsinki unternommenen Schritte in Richtung einer (Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik) erlangt die Raumfahrt für die Europäische Union einen neuen Stellenwert, beispielsweise für die Entscheidungsfindung zur Planung und Durchführung der Petersberg-Aufgaben.«
Fast gleichzeitig erstellten im Auftrag des damaligen ESA-Kabinettchefs die so genannten »drei Weisen« Carl Bildt, Jean Peyrelevade und Lothar Späth den Bericht »Towards a Space Agency for the European Union« und empfahlen dort, »die Fähigkeiten der ESA auch für die Entwicklung der eher sicherheitsorientierten Aspekte der europäischen Weltraumpolitik einzusetzen. Da die Anstrengungen der Europäischen Union in diesen Bereichen auf die so genannten Petersberger Aufgaben (...) abgestimmt sind, sehen wir kein Problem mit der Satzung der ESA.« Dies zu betonen war nötig, hätten einer Satzungsänderung der ESA doch alle Mitgliedsländer zustimmen müssen, auch diejenigen, die nicht der EU angehören und in die EU-Politik eingebunden sind, so zum Beispiel die Schweiz.
Damit war die Hürde zur Einbindung der ESA in die Militärpolitik der EU genommen, und die zuständigen Organe untermauerten die neue Gemeinsamkeit in einer Flut von Dokumenten. Diese reichen vom »Weißbuch - Die Raumfahrt« der Europäischen Kommission (2003: »Raumfahrtsysteme unterstützen nicht nur eine breite Palette ziviler Politikbereiche, sondern können auch einen unmittelbaren Beitrag zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und zu ihrer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik leisten.«) bis zu einer Mitteilung der Europäischen Kommission (4. April 2011: »Die weltraumgestützte Infrastruktur hat, was den Bereich der Sicherheit anbelangt, sowohl die Funktion eines Instruments als auch die eines Objektes. Als Instrument kann sie für Sicherheits- und Verteidigungszwecke der Europäischen Union eingesetzt werden. Als Objekt muss sie selbst geschützt werden.«). Kaum überraschen konnte daher 2011 die Gründung des ESA Security Office mit Sitz in Frascati/Italien, das »damit beauftragt ist, sicherzustellen, dass ESA alle Sicherheitsfähigkeiten hat, die sie braucht, um die Sicherheit der von ihr vorgehaltenen Informationen zu gewährleisten und die Raumfahrtprogramme zu verwalten, die Elemente der Geheimhaltung beinhalten«.
Die Europäische Union hat sich als eigenständiger Akteur für zwei große Weltraumprojekte entschieden. Beide werden als »Flaggschiffe« der europäischen Raumfahrt bezeichnet und ausdrücklich dem Dual-use-Bereich zugeordnet: Galileo, ein Satellitennavigationssystem in Ergänzung (oder Konkurrenz) zu GPS, und Copernicus, das hier kurz näher beleuchtet wird.
Copernicus geht auf das »Baveno-Manifest« europäischer Weltrauminstitutionen im Jahr 1998 zurück, in dem eine »globale Überwachung für die Sicherheit der Umwelt« gefordert wurde. Und in der Tat beschlossen die Staats- und Regierungschefs bei ihrem EU-Gipfeltreffen in Göteborg 2001 den Aufbau eines gemeinsamen Weltraumprogramms zur »globalen Überwachung für die Sicherheit der Umwelt«. Als solches wurde das Programm im Vorfeld auch immer diskutiert und von den nationalen Parlamenten bestätigt: ein Programm im Dienste der Umwelt und der »menschlichen Sicherheit«, folgerichtig »Global Monitoring for Environment and Security« (GMES) benannt.
Allerdings verschob sich die Interpretation von »Sicherheit« rasch. Schon 2005 stellte die Europäische Kommission in einer Mitteilung fest: »GMES wird einen wichtigen Beitrag dazu liefern, den zivilen Sicherheitsbedarf in der EU zu decken. Zusätzlich werden Möglichkeiten zur Schaffung weiterer Kapazitäten im Bereich der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (...) eröffnet. Alle erdenklichen zivilen und militärischen Synergien sollten angepeilt werden, eine bessere Nutzung der Ressourcen sicherzustellen, wobei auf Komplementarität mit dem bereits auf diesem Gebiet tätigen EU-Satellitenzentrum (...) zu achten sein wird.« 2012 wurde GMES in Copernicus umbenannt. Das Programm wird von der EU gemeinsam mit ESA betrieben; die in Darmstadt ansässige Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT) ist in Copernicus ebenfalls eingebunden.
Copernicus setzt stark auf die Nutzung vorhandener, auch nationaler Satellitenkapazitäten, komplettiert diese aber mit der Entwicklung und dem Betrieb sechs eigener Satelliten mit hoch auflösender Erdbeobachtungstechnik (SAR, Optik, Infrarot). Die Satelliten werden »Sentinel« genannt, und Sentinel-1A wurde vor einem Jahr in die Erdumlaufbahn gebracht.
Sentinel heißt Wächter. Die Öffentlichkeit tut gut daran, wachsam zu beobachten, wie sich die Raumfahrtaktivitäten in Europa entwickeln. Wir alle sollten der zunehmenden Weltraummilitärisierung entgegenarbeiten, denn nur dann ist Raumfahrt »für ausschließlich friedliche Zwecke« und, wie es der 1967 von der internationalen Staatengemeinschaft vereinbarte Weltraumvertrag fordert, »zum Vorteil und im Interesse aller Länder« als »Sache der gesamten Menschheit« langfristig möglich.
* Aus: neues deutschland, Montag, 01. Juni 2015
** Die Autorin
Regina Hagen ist Friedensforscherin und in etlichen Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Abrüstung von Atomwaffen und die Verhinderung von Raketenabwehr und Weltraumrüstung engagieren. Von 2001 bis 2009 war sie Koordinatorin des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP). Seit 2004 ist Hagen Mitglied der Redaktion und seit 2010 verantwortliche Redakteurin von »Wissenschaft & Frieden«, einer interdisziplinären Wissenschaftszeitschrift für Friedensforschung.
Die aktuelle Ausgabe befasst sich in einem Schwerpunkt mit Technikkonflikten. Neben dem hier dokumentierten Text von Regina Hagen finden sich dort auch Beiträge über die Militarisierung des Cyberspace, die Rolle von Bio- und Nanotechnik für das Militär, zur generellen Militanz kapitalistisch geformter Technik und zur Drohnentechnologie. Mehr Informationen zur aktuellen Ausgabe von »Wissenschaft & Frieden« sowie Bezugsmöglichkeiten gibt es unter wissenschaft-und-frieden.de
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