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Weniger Kriege als im Vorjahr

Heidelberger Konfliktforscher warnen vor hohem Risikopotenzial

Von Olaf Standke *

365 Krisen weltweit erfasste das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung in diesem Jahr, 31 stuften die Friedensforscher dabei als schwere bewaffnete Konflikte ein, sieben als Kriege. Damit sei ihre Zahl im Vergleich zum Vorjahr gesunken, so das HIIK bei der gestrigen Vorstellung des »Conflict Barometer 2009« [externer Link!].

Seit 1992 publiziert das Heidelberger Institut alljährlich ein sogenanntes Konfliktbarometer als zusammenfassende Betrachtung des Konfliktgeschehens in aller Welt. Gemessen am Höchststand von 51 Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen vor 17 Jahren zeigen die aktuellen Daten und Analysen auf den ersten Blick eine positive Tendenz: Insgesamt 365 Krisenherde haben die Politikwissenschaftler 2009 beobachtet, 31 davon stuften sie als hoch gewaltsame Konflikte ein, sieben als reguläre Kriege. Das heißt, die Auseinandersetzungen werden mit massivem Einsatz von organisierter Gewalt geführt und verursachen nachhaltige Zerstörungen.

Im Vorjahr lag diese Zahl noch bei 39. Damit bewege sich das Konfliktgeschehen 2009 auf »auf mittlerem Niveau«, so Lotta Mayer, Vorstandsmitglied des HIIK. Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg kam in ihrem Jahresreport auf insgesamt 34 Kriege und bewaffnete Konflikte weltweit.

Die mit jeweils neun hoch gewaltsamen Konflikten meistbetroffenen Regionen der Erde seien der Vordere und Mittlere Orient, Asien sowie Afrika südlich der Sahara, heißt es in der Heidelberger Analyse. In Afrika ziehe sich ein zusammenhängendes Krisengebiet von Nigeria an der Ostküste über Sudan und die DR Kongo bis nach Somalia. Vom Nahen Osten erstrecke sich ein weiterer Konfliktgürtel bis nach Asien, der von Israel und Jemen über Irak und Afghanistan nach Pakistan, Indien und Sri Lanka reicht. In Nord- und Südamerika sei die Zahl der gewaltsamen Konflikte von zwei auf drei gestiegen, was auf eine Drogenkriminalität großen Ausmaßes zurückzuführen sei. Obwohl sich die Lage mit dem Abzug der russischen Truppen aus Georgien im Kaukasus beruhigt habe, blieben die russisch-georgischen Beziehungen angespannt. Zudem verschlechtere sich die Situation in den russischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien.

Besonders große Verluste habe es bei Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung gegeben, die 2009 über 1000 zivile Opfer forderten. Auch in Pakistan kämpfen die Taliban gegen die Regierung und verschiedene Stämme; dort kamen mehr als 5000 Menschen ums Leben, allein am Dienstag waren es wieder über 20. Im Gaza-Streifen unternahm die israelische Armee die für die palästinensische Bevölkerung so verlustreiche »Operation gegossenes Blei«. Der Krieg zwischen Regierungstruppen und schiitischen Houthi-Rebellen in Jemen zieht immer weitere Kreise, längst habe sich Saudi-Arabien mit seinen Luftstreitkräften in das Kampfgeschehen eingeschaltet, »um unser Heimatland zu besetzen«, wie es in einem am Dienstag veröffentlichten »Brief an das jemenitische Volk« heißt. Hunderttausende werden wiederum in den Auseinandersetzungen zwischen islamistischen Gruppen und der Übergangsregierung in Somalia vertrieben.

Trotz weniger gewordener Konfliktherde warnen die Wissenschaftler vor allzu großem Optimismus. »Die derzeitigen hoch gewaltsamen Auseinandersetzungen sind zumeist in regionale Systeme eingebunden, in denen die Konflikte sich gegenseitig anheizen. Daher ist die Deeskalation einzelner möglicherweise nur vorübergehend«, so Lotta Mayer. Sie sieht zudem in den 112 erfassten Konflikten mit sporadischem Gewalteinsatz ein hohes Risikopotenzial für die Zukunft.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Dezember 2009


Krieg und Klima

Von Olaf Standke **

Statistisch geht die Zahl der Kriege und kriegerischen Konflikte weltweit zurück, darin sind sich die Friedensforscher verschiedener Institute in ihren Jahresanalysen einig. Das ist die gute Nachricht, obwohl sie schon einen bitteren Beigeschmack hat. Schließlich fordern gewaltsame Auseinandersetzungen in über 30, noch dazu meist sehr armen Ländern Tag für Tag neue Todesopfer, Hunderttausende Zivilisten sind auf der Flucht. Hinzu kommt: Deeskalierte Konfliktherde sind oft nicht wirklich aus der Welt. Sie »köcheln« unterhalb der Kriegsschwelle ohne große Schlagzeilen weiter, weil sie eingebunden sind in regionale Gewaltstrukturen, weil ihre sozio-ökonomischen und ethnischen Ursachen nicht beseitigt werden, weil es den geostrategischen Interessen großer Industriestaaten dient. So können sie jederzeit wieder aufflammen, und jedes Jahr müssen die Wissenschaftler auch neue Auseinandersetzungen in ihrer Hierarchie bewaffneter Konflikte nach oben stufen.

Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung z.B. sieht in 112 erfassten Krisen mit heute gelegentlichem Gewalteinsatz ein enormes Risikopotenzial für die Zukunft. Und zudem drohen neue Gefahren. US-amerikanische Forscher haben schon in der Vergangenheit auf dem afrikanischen Kontinent vermehrte bewaffnete Auseinandersetzungen in Jahren mit überdurchschnittlichen Temperaturen festgestellt und befürchten mit fortschreitendem Klimawandel auch eine Zunahme der Bürgerkriege. Beim Weltgipfel in Kopenhagen geht es also nicht nur um die Vermeidung ökologischer Katastrophen, sondern auch um die Abwendung von massiven politischen Krisen und Kriegen.

** Aus: Neues Deutschland, 16. Dezember 2009 (Kommentar)



HEIDELBERGER INSTITUT FÜR INTERNATIONALE KONFLIKTFORSCHUNG E.V.
am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg

Presseerklärung "Conflict Barometer 2009"

Heidelberger Institut zählt 31 kriegerische Auseinandersetzungen weltweit

Konfliktforscher warnen bei sinkender Zahl hochgewaltsamer Konflikte vor verfrühtem Optimismus

Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) präsentiert mit dem "Conflict Barometer 2009" seine aktuellen Daten und Analysen zum diesjährigen globalen Konfliktgeschehen. Unter den insgesamt 365 beobachteten Konflikten zählen die Politikwissenschaftler 31 hochgewaltsame Konflikte, d.h. Auseinandersetzungen, die mit massivem Einsatz von organisierter Gewalt geführt werden und nachhaltige Zerstörungen verursachen. Sieben dieser hochgewaltsamen Konflikte werden als Kriege eingestuft: Die Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung fordern in diesem Jahr mehr als tausend zivile Opfer. Auch in Pakistan kämpfen die Taliban gegen die Regierung sowie gegen verschiedene Stämme; allein in diesem Jahr kommen dabei mehr als 5.000 Menschen ums Leben. Die israelische Armee führt im Gazastreifen die "Operation gegossenes Blei" gegen Raketenangriffe der Hamas und anderer militanter Gruppen durch. Im Norden des Jemen bekämpfen sich schiitische Rebellen und Regierungstruppen. Eine Großoffensive der srilankischen Armee endet in deren militärischem Sieg über die "Tamil Tigers" im Mai. Hunderttausende werden in den Auseinandersetzungen zwischen islamistischen Gruppen und Übergangsregierung in Somalia vertrieben. Vier dieser Konflikte werden seit 2006 als Kriege ausgefochten.

Obwohl die Zahl der hochgewaltsamen Konflikte im Vergleich zum Vorjahr von 39 auf 31 zurückgegangen ist, warnen die Forscher vor übermäßigem Optimismus: "Die derzeitigen hochgewaltsamen Auseinandersetzungen sind zumeist in regionale Konfliktsysteme eingebunden, in denen die Konflikte sich gegenseitig anheizen. Daher ist die Deeskalation einzelner Konflikte möglicherweise von nur vorübergehender Dauer", so Lotta Mayer, Vorstandsmitglied des Instituts. Zudem könne aus dem Rückgang von 2008 auf 2009 kein Trend abgeleitet werden: Die Zahl der hochgewaltsamen Auseinandersetzungen schwanke seit einigen Jahren um 35 herum - gemessen an dem bisherigen Höchstwert von 51 im Jahr 1992 sei dies mittleres Niveau. Die häufigen vorübergehenden Eskalationen und Deeskalationen weisen dabei auf eine insgesamt eher fragile Situation hin. Ferner dokumentieren die Forscher 112 Konflikte mit sporadischem Gewalteinsatz, sogenannte Krisen - sie bergen ein hohes Risikopotential für die Zukunft.

Der Vordere und Mittlere Orient, Asien sowie Afrika südlich der Sahara sind mit jeweils neun hochgewaltsamen Konflikten die meistbetroffenen Regionen der Erde. In Afrika zieht sich ein zusammenhängendes Krisengebiet von Nigeria an der Ostküste über den Sudan und die Demokratische Republik Kongo nach Somalia. Vom Nahen Osten erstreckt sich ein Konfliktgürtel bis nach Asien, der von Israel und dem Jemen über Irak und Afghanistan nach Pakistan und Indien bis nach Sri Lanka reicht. In Nord- und Südamerika steigt die Zahl der hochgewaltsamen Konflikte von zwei auf drei, wobei dies im Zusammenhang mit Drogenkriminalität großen Ausmaßes steht. Dagegen beruhigt sich die Lage in Europa mit dem Abzug der russischen Truppen aus Georgien, dennoch bleiben die russisch-georgischen Beziehungen angespannt. Zudem verschlechtert sich die Situation in den russischen Kaukasus-Republiken Tschetschenien und Inguschetien.

Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) widmet sich seit 1991 der Erforschung, Dokumentation und Auswertung innerstaatlicher und internationaler politischer Konflikte weltweit. Das jährlich erscheinende "Conflict Barometer" gibt einen Überblick über die aktuelle Entwicklung gewaltsamer und nichtgewaltsamer Konflikte. Die aktuelle Publikation kann (ab 15. Dezember 2009, 12 Uhr) unter www.hiik.de kostenlos heruntergeladen werden.

Ansprechpartnerin: Lotta Mayer, M.A.; Email: mayer@hiik.de

* Quelle: Website des HIIK, 15. Dezember 2009; http://hiik.de

Hier können Sie den vollständigen Bericht des HIIK herunterladen:
Conflict Barometer 2009 (pdf-datei, englisch) - externer Link!.




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