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Parlament außen vor

Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestag. Steinmeier will im Irak an die »Grenzen des politisch und rechtlich Machbaren« gehen

Von Heike Hänsel *

Es wirkt schon grotesk, was die Bundesregierung dieser Tage zur Krise im Irak verlautbaren läßt. Auf der einen Seite drängen Kabinettsmitglieder auf rasche Waffenlieferungen in den Nordirak, um die von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei alimentierte Terrorgruppe »Islamischer Staat« (IS) aufzuhalten. Aber auf welcher rechtlichen Grundlage soll das geschehen? Welche Waffen sollen geliefert werden? Wer soll sie erhalten? Die Antworten auf diese und viele weitere Fragen blieb Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Montag nachmittag bei einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages schuldig. Ebenso wie zur Lage in der Ukraine, über die nicht einmal eine halbe Stunde gesprochen wurde. Nachfragen waren in beiden Fällen, trotz der brisanten Situation, nur sehr eingeschränkt möglich.

Steinmeier hatte bei der Sondersitzung während der Sommerpause des Parlaments viel geredet. Gesagt hat er wenig. Es ist auffällig, daß sowohl der SPD-Mann als auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die ebenfalls am Montag bei einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses aufgetreten war, um die heißen Themen herumlavieren und klare Aussagen vermeiden.

Nur ein Ziel kristallisiert sich heraus: Die schwere humanitäre Krise in Syrien und im Nordirak soll genutzt werden, um noch mehr Waffenexporten Tür und Tor zu öffnen. »Man muß erst einmal das Tabu brechen«, wurde Ministerin von der Leyen nach der Sitzung des Verteidigungsausschusses zitiert, während der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Henning Otte (CDU), forderte: »Wir dürfen keine ideologischen Scheuklappen haben.« Außenminister Steinmeier erklärte indes, man müsse in dieser Frage »an die Grenzen des politisch und rechtlich Machbaren gehen.« Die politischen Grundsätze der Bundesregierung zu Rüstungsexporten verbieten Waffenlieferungen an Staaten, »die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht«. Aber daß diese Grundsätze nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen, haben schon die Waffenlieferungen der deutschen Rüstungsschmiede SIG Sauer nach Kolumbien gezeigt. Der illegale Weiterverkauf über die USA in das süd­amerikanische Bürgerkriegsland hätte einen sofortigen Ausfuhrstopp nach Washington zur Folge haben müssen. Auf Nachfrage, ob der denn nun erlassen würde, reagierte das Verteidigungsministerium dünnhäutig. Natürlich nicht, hieß es, schließlich seien die USA ein NATO-Partner. Nach geopolitischen Erwägungen wird entschieden, das Parlament bleibt dabei außen vor.

Die Antwort auf den Vormarsch der Terrorgruppe IS im Irak und auf die daraus folgende humanitäre Krise kann nur eine konsequente Politik der Demilitarisierung sein. Weitere Waffenlieferungen wären eine kurzsichtige Strategie, weil sie nur weiteres Leid schüren würden. Es wäre Irrsinn, zu glauben, daß man nun neue und »bessere« Rüstungsgüter gegen die Waffen in den Händen der salafistischen Dschihadisten einsetzen könne. Ein solches Vorgehen wäre nicht nur kurzsichtig, sondern hätte auch nur einen Gewinner: die Rüstungskonzerne, die dann wieder einmal beide Seiten eines eskalierenden Krieges beliefern würden. Zumal am Montag – wie in der generellen Debatte – nur über den Nordirak gesprochen wurde. Im Fall der Menschen, die in die syrische Kurdenregion geflohen sind, spricht niemand über Waffenlieferungen oder auch nur humanitäre Hilfe. Die Blockade der Grenze zu Syrien durch die türkische Regierung, die jegliche Hilfstransporte unmöglich macht, wird ebenfalls nicht thematisiert. Auch das ist ein Beleg dafür, daß das Leid der Menschen für geostrategische Interessen instrumentalisiert wird. Das nordirakische autonome Kurdengebiet steht im Fokus, um die dortigen prowestlichen Kräfte um Präsident Masud Barsani zu stärken. In Syrien würde die »moderate Opposition« zwischen dem IS und der Armee des Landes zerrieben, sagte Steinmeier am Montag. Man müsse die Haltung auch gegenüber Assad daher strategisch neu ausrichten. Daß der IS aber massiv von der politischen, finanziellen und militärischen Unterstützung der »moderaten Opposition« durch die »Freunde Syriens« profitiert hat und durch die engen Kooperationspartner des Westens, Katar und Saudi-Arabien, gestärkt wird, bleibt ohne Konsequenzen. Auch die Meldungen über türkische Hilfeleistungen und offene Grenzen für IS-Kämpfer tangieren die Bundesregierung wenig. Statt dessen hat der deutsche Außenminister die russischen Waffen, die irgendwie in die Ukraine »diffundieren« würden, im Blick und unterstützt eine Überwachung der ukrainisch-russischen Grenze mit Beteiligung der OSZE.

So wird in der Ukraine weiter gezündelt. Während sich Steinmeier am Montag für sein Treffen mit seinen Amtskollegen aus Rußland, Frankreich und der Ukraine feiern ließ, vermied er auch bei diesem Thema die brisanten Fragen. Die Stationierung von US-Soldaten in Polen und den baltischen Staaten etwa. Oder das geplante NATO-Manöver »Rapid Trident 14« im September in der Ukraine. Der NATO sei deswegen kein verantwortungsloses Handeln vorzuwerfen, so Steinmeier: »In Rußland wird das sehr gut verstanden.«

* Heikel Hänsel ist Bundestagsabgeordnete und entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion.

Aus: junge Welt, Mittwoch 20. August 2014



Gabriel sucht Verbündete

Treffen mit Betriebsräten der Rüstungswirtschaft / Koalition streitet über Export von Kriegsgerät

Von Aert van Riel **


Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will Rüstungsexporte einschränken. Unions-Politiker mutmaßen, dies werde die nationale Sicherheit gefährden.

Sigmar Gabriel (SPD) sucht in der Debatte um deutsche Rüstungsexporte den Dialog mit Betriebsräten von Rüstungsunternehmen. Anfang Juni hatten Betriebsratsvorsitzende von mehr als 20 Firmen den Wirtschaftsminister in einem Brief davor gewarnt, die Exporte einzuschränken. Sie sorgen sich um die Zukunft von Arbeitsplätzen in der Branche.

Nach einem Gespräch mit den Betriebsräten am Dienstag erklärte Gabriel, dass bei Exportentscheidungen »beschäftigungspolitische Gründe keine ausschlaggebende Rolle spielen dürfen«. Darauf hatten sich SPD und Grüne in ihrer gemeinsamen Regierungszeit geeinigt. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es nun, dass bei Entscheidungen über Rüstungsexporte in sogenannte Drittstaaten diese im Jahr 2000 beschlossenen rot-grünen »Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern« verbindlich seien. Darin werden Exporte in Staaten außerhalb von EU und NATO nur in Ausnahmefällen erlaubt, wenn sie besonderen Sicherheits- und Bündnisinteressen Deutschlands entsprechen. Trotz dieser Regelungen boomten allerdings auch unter der rot-grünen Bundesregierung die deutschen Rüstungsexporte.

Betriebsräte, die an dem Gespräch mit Gabriel teilnahmen, äußerten grundsätzlich Verständnis dafür, dass der Minister künftig weniger Waffengeschäfte genehmigen will. »Menschenrechte sind wichtiger als Exporte«, beteuerte Jürgen Bühl von der IG Metall. Andere Teilnehmer betonten, dass es zwar ein konstruktives Gespräch gegeben habe, aber einige Punkte nicht von allen Seiten gleich gesehen worden seien. Sie hoffen nun auf mehr Aufträge von der Bundeswehr.

Gabriel kündigte an, über Anschlussprojekte bei auslaufenden Bundeswehrprojekten mit den CDU-Ministern Ursula von der Leyen (Verteidigung) und Wolfgang Schäuble (Finanzen) reden zu wollen. Zudem müsse mehr über Instandhaltung und Wartung von Material, europäische Rüstungskooperation und Rüstungskonversion, also die Umstellung auf zivile Fertigung, geredet werden.

Vorwürfe aus der Union, deren wirtschaftspolitischer Sprecher Joachim Pfeiffer (CDU) Gabriel unterstellt hatte, die nationale Sicherheit zu gefährden, weil Deutschland in eine Abhängigkeit von anderen Ländern gerate, wies der SPD-Vorsitzende zurück. Kein Rüstungsunternehmen sei vom Export auf die arabische Halbinsel abhängig, so Gabriel.

Der LINKE-Außenpolitiker Jan van Aken begrüßte die Ankündigungen zur Rüstungskonversion. »Für eine technische Unterstützung müssen auch staatliche Gelder bereitgestellt werden«, sagte van Aken dem »nd«. Er wies aber auch darauf hin, dass Gabriel sich in den letzten Monaten zuweilen nicht an seine Ankündigung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik gehalten habe. Der Minister hatte viele Exporte an Drittländer abschließend bewilligt.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 20. August 2014


Kein bisschen Frieden

Aert van Riel über die deutsche Rüstungsexportpolitik ***

Im Wirtschaftsflügel der Union geht die Angst um. Künftig könnten deutschen Unternehmen einige Rüstungsdeals durch die Lappen gehen, weil Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei Rüstungsexporten etwas zurückhaltender agieren will als die schwarz-gelbe Vorgängerregierung, die deutsche Waffen in alle Welt geliefert hatte. Der Erhalt von Arbeitsplätzen soll laut Gabriel bei den Ausfuhren keine entscheidende Rolle spielen.

Als Argument für die Lieferung von Kriegsmaterial bliebe also noch die Wahrung deutscher Sicherheitsinteressen. Wenn es um diese geht, wird gelegentlich auch Kriegsmaterial in Krisengebiete geliefert. So war es bereits unter der rot-grünen Bundesregierung, die damit gegen die eigenen Rüstungsexportrichtlinien verstieß. Wenn sich Gabriel heute auf die Richtlinien beruft, kann er aber sicher sein, dass sich kaum noch jemand an die rot-grüne Rüstungsexportpolitik erinnert.

Es ist zu befürchten, dass die Bundesregierung weiterhin Verbündete aufrüsten wird, auch wenn diese Menschenrechte mit Füßen treten. Weitere Optionen der Sicherheitspolitik sind etwa die Entsendung von Bundeswehrsoldaten und militärische Ausbildungshilfe. Diese Punkte sind grundsätzlich nicht strittig zwischen Union und SPD. Eine friedlichere deutsche Außenpolitik rückt so in weite Ferne, obwohl den Protagonisten immer wieder vor Augen geführt wird, dass ihr Handeln oft dazu beigetragen hat, die Konflikte auf dieser Welt anzuheizen.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch 20. August 2014 (Kommentar)


IG Metall eiert herum

Betriebsräte aus Waffenschmieden treffen Wirtschaftsminister

Von Daniel Behruzi ****


Die Haltung der IG Metall und ihrer Betriebsräte zum Thema Rüstung bleibt ambivalent. Bestenfalls. Diesen Eindruck bestätigte der baden-württembergische IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzels­berger am Dienstag im Vorfeld eines Treffens von Betriebsräten aus Rüstungsbetrieben mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Im Deutschlandfunk erklärte er, seine Gewerkschaft habe »eine klare Haltung: Wir wollen eine Senkung der Rüstungsausgaben, wir wollen weniger Wehrtechnik, wir wollen weniger Kriegsgeräte herstellen lassen – auf der einen Seite«. Auf der anderen Seite müsse sichergestellt werden, »daß die Kernkompetenzen und Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben«. Abseits von »populistischen Dingen« brauche die »Sicherheits- und Wehrtechnik eine klare Zukunftsorientierung«. Zudem plädierte Zitzelsberger für »etwas weniger Aufregung« beim Thema.

Weniger Aufregung darüber, daß deutsches Kriegsgerät in aller Herren Länder im Einsatz ist, um Menschen zu töten? Daß Pistolen von SIG Sauer im Bürgerkriegsland Kolumbien verwendet werden? Daß in Kassel hergestellte Panzer an die autokratischen Scheichs von Saudi-Arabien verkauft werden? Daß ThyssenKrupp mitten in der Gaza-Bombardierung U-Boote an Israel liefert? Noch weniger Aufregung?

Im Gegenteil: Darüber braucht es viel mehr Aufregung, dagegen viel stärkeren Widerstand. Große Teile der IG Metall sind Teil dieses Widerstands. Nicht umsonst heißt es in der Gewerkschaftssatzung, die IG Metall setze sich »für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung« ein. Wie paßt das damit zusammen, den Erhalt von »Kernkompetenzen« in der Waffenproduktion zu fordern?

Richtig ist, wenn sich Gewerkschaften dafür einsetzen, daß Beschäftigte nicht arbeitslos werden. Die Forderung nach adäquaten Ersatzarbeitsplätzen bei der Schließung von Rüstungsbetrieben sollte auch für die Friedensbewegung zentral sein. Ebenfalls zu begrüßen ist, wenn Zitzelsberger für die lange vergessene Konversion – also die Schaffung von Alternativen zur Herstellung von Kriegsgerät – plädiert. Das kann sich aber nicht auf einen Appell an die Konzerne beschränken. Diese werden so lange auf Waffenproduktion setzen, wie sie daraus Profite ziehen können.

Die Beschäftigten der Waffenschmieden selbst sind es, die Konzepte zur Produktkonversion entwickeln könnten. Aufgabe gewerkschaftlich organisierter Betriebsräte wäre es, solche Ideen in den Belegschaften wieder zu popularisieren. Viele tun das Gegenteil. So zum Beispiel die Belegschaftsvertreter am bayerischen Airbus-Standort Maching, die kürzlich den Bau einer Drohne als Alternative zur auslaufenden Eurofighter-Produktion forderten.

Die Gewerkschaften müssen sich entscheiden: Sind sie Vertreter von Standort- oder von Klasseninteressen? Letzteres bedeutet, konsequent gegen Krieg und dessen Vorbereitung durch die Herstellung von Waffen vorzugehen. Das Rumgeeiere muß ein Ende haben.

**** Aus: junge Welt, Mittwoch 20. August 2014 (Kommentar)


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