Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Union redet Rüstungsexporten das Wort

Wirtschaftsminister Gabriel sucht sein gutes Gewissen und wird zur Zielscheibe in der Koalition

Von René Heilig *

Eine Vision, die SPD, LINKE und Grüne zusammenbringen könnte: statt Rüstungsexportbericht Rüstungsexportverzicht.

Schützenpanzer für Indonesien und Algerien, Panzerhaubitzen und Radargeräte für Katar, Maschinengewehre für Oman, Granatwerfer für die Emirate, Sturmgewehre für Saudi-Arabien, Torpedos für Indien und Torpedoteile für Pakistan, Munition für Russland und die Ukraine ...

Insgesamt wurden 2013 Rüstungsexporte im Wert von 8,34 Milliarden Euro genehmigt. (2012: 8,87 Milliarden Euro). Die Geschäfte wurden nicht selten durch die Fürsprache der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung eingefädelt und von ihr mit Steuergeldern abgesichert. Und so hätte es nach Ansicht der Union weitergehen sollen, Steigerungsraten inbegriffen. Egal, dass man dabei die eigenen Exportrichtlinien missachtet.

Die aber hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) offenbar wiederentdeckt. Er will sogar zu ihnen zurückkehren. Kaum angedeutet, schon steht sein Vorhaben unter Dauerbeschuss. Die Union, Industrievertreter und Betriebsräte feuern nach Kräften. Bereits vor einem Monat hatten neun Unionsabgeordnete einen Brief an Kanzlerin Angela Merkel geschrieben und sich beschwert, ihr »Vize« habe »ohne Abstimmung eine Kehrtwende in der deutschen Exportpolitik« gemacht.

Nun hat CSU-Chef Horst Seehofer laut geklagt: »Ich halte es nicht für zielführend, wenn Sigmar Gabriel jetzt versucht, einfach auf dem Verwaltungsweg etwas zu verändern.« Der Bayern-Premier riskiert einen kleinen Koalitionsknatsch, wenn er poltert, dass Gabriel »ohne Konzeption und ohne klaren Kompass einen faktischen Exportstopp« herbeiführe. Er, Seehofer, könne dieses Extrem »nicht mittragen«, liest man in der »Welt am Sonntag«.

Die Industrie selbst tut extrem verunsichert. Ihre Lobbyisten haben Dauerstress. Firmen wie das Familienunternehmen Diehl arbeiten Argumentationshilfen aus. Etwa so: Europa profitiere »von Frieden, Freiheit und Sicherheit als Basis für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand«. Das, was so selbstverständlich scheint, setze die Fähigkeit voraus, »für diese Grundwerte einzustehen«. Die deutsche Verteidigungsindustrie verfüge »über die Fähigkeit, Entwicklung, Fertigung, Beschaffung und Nutzungsbetreuung von Wehrmaterial langfristig zu begleiten und das dafür notwendige System-Know-how dauerhaft vorzuhalten«. Nur eine eigenständige Verteidigungswirtschaft könne die politisch als wichtig eingeschätzte Liefer- und Versorgungssicherheit der Bundeswehr gewährleisten. Und dann kommt die große »Friedenskeule«: Deutschlands Beteiligung bei der Lösung internationaler Konflikte »kann entweder in der Bereitstellung von Soldaten oder in der Lieferung von Wehrmaterial zur Selbstertüchtigung internationaler Streitkräfte bestehen – aber nur, wenn wir moderne militärische Ausrüstung bieten, die am Weltmarkt gefragt ist«.

Der Erhalt einer eigenständigen Verteidigungsindustrie sei zudem im Interesse des deutschen Steuerzahlers und des Staates. Erstens: Was im Ausland beschafft werden müsse, sei einfach zu teuer. Zweitens: Die Rüstungsindustrie zahle ja kräftig Steuern. Das wichtigste Argument aber lautet: Gabriel und alle, die Rüstungsexporte drosseln oder wie die Linkspartei ganz beenden wollen, bedrohten 200 000 Arbeitsplätze. Drohendes Elend malten auch 20 Betriebsräte an die Wand, die in einem Brief an Gabriel ihre Bedenken deutlich machten. Sie befürchten das Abwandern von Unternehmen.

An diesen Argumenten kann sich der Bundeswirtschaftsminister natürlich nicht vorbeischleichen, auch wenn im gesamten deutschen Rüstungsexportbereich nicht 200 000, sondern höchsten 30 000 Menschen beschäftigt sind. Doch in der Tat, von Gabriels Einkehr wären zum Teil strukturschwache Gebiete betroffen. Beispielsweise der Kleinwaffenhersteller Heckler&Koch im Schwarzwald oder die Werften an der Ost- und Nordseeküste.

Es ist also nicht damit getan, dass man in Gabriels Ministerium Unterschriften unter Exportersuchen verweigert, die Lieferungen in Unrechtsregime oder Krisengebiete zum Ziel haben. Man muss schon gesamtgesellschaftliche Konversionsprojekte entwickeln und deren Durchsetzung stimulieren.

Der Industrie würde es letztlich egal sein, was sie produziert – Hauptsache, der Gewinn im In- und Ausland stimmt. Der deutsche Beitrag, durch Exportverzicht zu mehr Frieden und Sicherheit in der Welt beizutragen, beginnt also im eigenen Land. Bei allen sonstigen inhaltlichen Differenzen, in der Frage könnte die SPD – so sie will – auf Linkspartei und Grüne zählen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 29. Juli 2014


Geschäfte mit dem Tod stocken

Angeblich liegen 2000 Rüstungsexportanträge im Wirtschaftsministerium auf Halde. Produzenten werden nervös **

Rein äußerlich macht ein Zündhütchen nicht viel her: Die winzige Metallkapsel wiegt weniger als ein Gramm und dient – eingebaut im Boden einer Patrone – dazu, die Munition zu zünden. Doch ausgerechnet auf Pfennigartikel wie das Zündhütchen sind viele europäische Rüstungskonzerne angewiesen, um eigene Produkte exportieren zu können. Die Zulieferungen aber sind ins Stocken geraten: Glaubt man deutschen Waffenschmieden, stapeln sich in Sigmar Gabriels Wirtschaftsministerium längst nicht mehr nur milliardenschwere Anfragen für den Export von Panzern oder anderem Großgerät. Massenweise hängen demnach Exportbegehren für Kleinteile wie Zündhütchen fest.

Auslöser ist Gabriels Entschluß, die Ausfuhr von Kleinwaffen und Panzern in Länder außerhalb der Nato und der EU zu beschränken. »Es ist eine Schande, daß Deutschland zu den größten Waffenexporteuren gehört«, sagte der SPD-Politiker dem Stern. Um das »Geschäft mit dem Tod« nicht zu fördern, wolle er keine Waffenexporte an Bürgerkriegsländer und Unrechtsregimes zulassen.

»Schon seit Januar oder Februar müssen viele Rüstungskonzerne bei ihren Kunden Schönwetter machen, um Strafzahlungen zu vermeiden«, klagt ein Mitarbeiter einer deutschen Waffenschmiede. Bisher ließen sich die Käufer zwar hinhalten. Bei einigen Komponenten habe Deutschland einen Weltmarktanteil bis zu 90 Prozent, was den Wechsel zu einem anderen Anbieter erschwere. Rund 2000 Exportanträge und Voranfragen stauen sich nach Schätzungen der Waffenhersteller. In allen Fällen gehe es um direkte oder indirekte Lieferungen an sogenannte Drittstaaten, also Länder außerhalb der Nato und der EU. Rüstungsexporte an Bündnispartner stellen dagegen gewöhnlich kein Problem dar – außer, die Produkte sollen von dort aus in Drittstaaten weiterverkauft werden. Über diesen Umweg betrifft der Stau im Wirtschaftsministerium dann auch Firmen, die deutsche Komponenten in eigene Rüstungsgüter einbauen.

Allein 2013 genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr von Waffen, Panzern und anderen militärischen Gütern im Wert von 5,8 Milliarden Euro. Immer mehr davon gehen dabei an Länder außerhalb der Nato und der EU – 2013 lag ihr Anteil wegen Großaufträgen aus Algerien, Katar, Saudi-Arabien und Indonesien bei rund 60 Prozent. Die Lieferungen in diese Länder will Gabriel stoppen, glaubt man seinen Äußerungen. Beschränken will er vor allem den Export von Kleinwaffen dazu zählen unter anderem Sturmgewehre und Panzer. Kanzlerin Angela Merkel und Gabriels Parteifreund, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, wird nachgesagt, daß sie den Plänen des SPD-Vorsitzenden widersprechen. Schließlich werden solche Gschäfte gern an Bedingungen geknüpft – ganz abgesehen von der Abhängigkeit, in die sich die Abnehmerstaaten auf viele Jahre begeben und die ein weiteres Druckmittel zur Erfüllung politischer Ziele sein kann.

Linke-Politiker wie Jan van Aken sind für ein Verbot sämtlicher Rüstungsexporte, insbesondere von Kleinwaffen. »In den Kriegen dieser Welt sterben 60 bis 90 Prozent der Menschen durch Kleinwaffen«, argumentiert er. Rein volkswirtschaftlich ist die BRD nach Einschätzung von Experten sowieso nicht auf die Rüstungsindustrie angewiesen. Großzügig berechnet liege ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt bei einem Prozent, heißt es in einer Studie der Stiftung Politik und Wissenschaft (SWP). Die Automobilbranche komme dagegen auf sieben Prozent.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 29. Juli 2014


Zurück zur Rüstungs- und Rüstungsexport-Seite (Beiträge ab 2014)

Zur Rüstungs- und Rüstungsexport-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage