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USA mit großem Abstand Rüstungsweltmeister

Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI: 2010 weltweit 1,63 Billionen Dollar Militärausgaben

Von Olaf Standke *

Weltweit betrugen die Militärausgaben im Vorjahr 1,63 Billionen US-Dollar (1,15 Billionen Euro) und wuchsen damit gegenüber 2009 um 1,3 Prozent. Trotz des schwächsten Anstiegs seit 2001 wurde noch nie so viel Geld für Armeen ausgegeben, so das gestern präsentierte Jahrbuch des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI zu Rüstung und Abrüstung.

Für mehr als vier Milliarden Dollar (2,7 Mrd. Euro) hat Indien gerade zehn Militärtransporter des Typs C-17 Globemaster III vom Flugzeugbauer Boeing gekauft – der bislang umfangreichste Vertrag mit einem US-amerikanischen Rüstungsunternehmen, wie in Delhi hervorgehoben wurde. Die Armee des Landes ist die viertgrößte der Welt und hat derzeit auch ihre Modernisierung im Visier. Nach SIPRI-Angaben importierte die Atommacht Indien in den vergangenen fünf Jahren weltweit die meisten konventionellen Waffen. Aber auch der benachbarte Erzfeind Pakistan hat kräftig aufgerüstet und war zwischen 2006 und 2010 der viertgrößte Waffenkäufer.

Allerdings belegt Indien trotz der rund 40 Milliarden Dollar Militärausgaben im Vorjahr nur Platz neun auf der SIPRI-Liste der Staaten mit den größten Rüstungsetats. Einsamer Spitzenreiter waren auch 2010 die USA mit 698 Milliarden Dollar, das sind 43 Prozent der weltweiten Militärhaushalte und etwa sechs Mal so viel Geld, wie China (119 Mrd. Dollar) als Nr. 2 nach Schätzungen der Friedensforscher in seine Armee gesteckt hat. Laut SIPRI-Jahrbuch bestreitet China sieben Prozent der globalen Militärausgaben. Russland, Frankreich und Großbritannien kommen auf je vier Prozent; Deutschland hatte mit 45,2 Milliarden Dollar die achthöchsten Ausgaben.

Rüstungsweltmeister USA liegt dabei auch mit seinen Zuwachsraten, die vor allem dem von Präsident Bush ausgerufenen »Krieg gegen den Terror« geschuldet sind, weit vorn. Um 81 Prozent stieg der Pentagon-Etat im Vergleich zu 2001. Die USA, deren Staatsverschuldung auf 14,3 Billionen Dollar angewachsen ist, verpulvern gegenwärtig trotzdem 4,8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Militär und Krieg. Im Rest der Welt lag das durchschnittliche Dekadenwachstum bei 32,5 Prozent – auch das ist angesichts der riesigen globalen und sozialen Probleme eine unverantwortliche Verschleuderung von Ressourcen.

Dagegen stellten die großen Industrienationen im Vorjahr kaum ein Zehntel ihrer Rüstungsaufwendungen für Entwicklungshilfe zur Verfügung. Rund 129 Milliarden Dollar entsprechen lediglich 0,32 Prozent ihres BIP. Auch die schwarz-gelbe Bundesregierung gibt mit einem Anteil von 1,3 Prozent am BIP deutlich mehr für Militäreinsätze aus als für Entwicklungspolitik (0,38 Prozent). Internationale Hilfsorganisationen wie Oxfam werfen den reichen Staaten vor, vor allem bei der Unterstützung der ärmsten Länder dieser Welt weit hinter den eigenen Versprechungen zurückzubleiben.

Aber auch in der sogenannten Dritten Welt werden oft falsche Prioritäten gesetzt. So wurden in Afrika 2010 schätzungsweise rund 30 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben, was einen Anstieg um 5,2 Prozent gegenüber 2009 bedeutet. Am stärksten zugelegt hat im Berichtsjahr aber Lateinamerika – um 5,8 Prozent. Damit wuchsen die Militärausgaben dort sogar stärker als in den Jahren 2001 bis 2009 – »trotz des Fehlens realer militärischer Bedrohungen in den meisten der Staaten der Region«, wie SIPRI betont.

Auch in der Krisenregion Naher Osten wird immer mehr Geld für Waffen verschwendet. Allen voran Saudi-Arabien steigerte seine Rüstungsausgaben um 1,6 Milliarden auf über 41 Milliarden Dollar. Relativ gesehen legten Irak mit 12 und Libanon mit 9,7 Prozent sogar noch stärker zu. Libyen sei als Rüstungskunde zwischen Frankreich, Russland, Italien und Großbritannien ebenfalls heiß umworben gewesen.

Ohne Rücksicht auf die Folgen haben die großen Rüstungsproduzenten ihre Waffenlieferungen weiter gesteigert. Zwischen 2006 und 2010 lagen sie um 24 Prozent über jenen in den fünf Jahren zuvor. Wichtigste Exporteure von Kriegsmaterial bleiben die USA (30 Prozent Weltmarktanteil) und Russland (23 Prozent). Aber dann folgt schon Waffengroßhändler Deutschland, obwohl man in Berlin bei der Genehmigung doch angeblich so restriktiv vorgeht. Der Weltmarktanteil wuchs auf rund elf Prozent. Für 2009 weist der deutsche Rüstungsexportbericht Ausfuhrgenehmigungen im Wert von insgesamt rund sieben Milliarden Euro aus, im Vorjahr waren es noch einmal 1,3 Milliarden Euro mehr.

Die Stockholmer Wissenschaftler warnen davor, dass die Konfliktgefahr bei der Verteilung von Naturressourcen zunehmen werde. Nicht zuletzt der Griff der Industrienationen und der aufstrebenden Schwellenländer nach wertvollen Rohstoffen heize Gewalt und Instabilität in der Dritten Welt an. »Die katalytische Rolle der Demonstrationen gegen hohe Lebensmittelpreise im sogenannten Arabischen Frühling zeigt, welch weitreichende Folgen die Rohstoffversorgung haben kann«, hebt Konfliktforscher Neil Melvin hervor.

Atomare Bedrohung

Trotz des neuen START-Vertrages zwischen Moskau und Washington zur Reduzierung strategischer Offensivwaffen und der von USA-Präsident Barack Obama verkündeten Vision einer kernwaffenfreien Welt verfügten die acht Atommächte Russland, USA, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan und Israel nach SIPRI-Angaben nach wie vor über 20 500 nukleare Sprengköpfe, etwa 2000 weniger als im Vorjahr. Mehr als 5000 davon könnten jederzeit eingesetzt werden, 2000 befänden sich sogar in »hoher Alarmbereitschaft«.

Die mit Abstand größten Bestände gehörten Russland (11 000) und den USA (8500), die ihre Arsenale zudem modernisierten. Pjöngjang besitze vermutlich ausreichend Plutonium für den Bau einer »kleinen Zahl nuklearer Sprengköpfe«, doch gebe es keine öffentlich zugänglichen Informationen zur Bestätigung der Existenz operationaler nordkoreanischer Atomwaffen. Sta



* Aus: Neues Deutschland, 8. Juni 2011


USA sind Spitze

Von Rainer Rupp **

Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI hat am Dienstag (7. Juni) in Stockholm seinen Jahresbericht 2011 über die weltweiten Militärausgaben vorgelegt. Es wartete dabei mit der längst bekannten Erkenntnis auf, daß die USA einsam an der Spitze liegen, angeblich direkt gefolgt von China. Demnach soll das Reich der Mitte 2010 insgesamt 119 Milliarden Dollar, also etwa ein Sechstel der US-Summe, fürs Militärische ausgegeben haben. Für die US-Militärausgaben gibt SIPRI 698 Milliarden Dollar an, womit der Anteil der USA an den weltweit auf 1,6 Billionen Dollar geschätzten Ausgaben bei lediglich 43 Prozent liegt. Es fällt auf, mit welcher Leichtigkeit SIPRI die US-Militärausgaben kleinrechnet und die Ausgaben der dem Westen nicht zugehörigen Länder wie z.B. China aufbläht, ohne daß es der Öffentlichkeit auffällt. Das geschieht auf der Basis fiktiver Kostenansätze, welche die CIA schon während des Kalten Krieges benutzte, um darzulegen, daß die Sowjetunion – in Dollar ausgedrückt – mehr Geld fürs Militär ausgab als die USA und NATO-Europa zusammen. Damals sollte das die NATO-Politiker anspornen, mehr für die Rüstung zu tun.

Tatsächlich lagen die US-Militärausgaben 2010 weit über den SIPRI-Angaben, denn die 698 Milliarden Dollar machen lediglich das offizielle Pentagon-Budget aus. Viele militärische Ausgaben sind jedoch in anderen Haushalten versteckt, so z.B. die Nuklearwaffenforschung und –produktion im Energieministerium. Addiert man all die anderen Posten, so die für die CIA oder für die Folgekosten der Kriege, dann steigen die US-Militärausgaben auf über eine Billion Dollar. Damit beträgt der tatsächliche Anteil der USA an den Weltmilitärausgaben 65 Prozent. [1] Offiziell beliefen sich die chinesischen Militärausgaben für 2010 nur auf 532115 Milliarden Yuan, etwa 78 Milliarden Dollar zu damaligen Wechselkursen. Nach alter Kalter-Krieg-Manier schätzt das Pentagon die chinesischen Ausgaben jedoch weitaus höher ein und SIPRI beeilt sich, diese mit 119 Milliarden Dollar anzusetzen.

Die einst neutrale Stockholmer Denkfabrik, die sich unter dem Nahmen SIPRI im Kalten Krieg wegen ihrer Unabhängigkeit als Friedensforschungsinstitut einen Namen gemacht hatte, ist längst fest in der Hand der neoliberalen neuen Weltordnung und operiert nur noch unter falscher Flagge. Das Institut ist heute weder neutral noch unabhängig. So ist der derzeitige SIPRI-Direktor Bates Gill ein wichtiger Mann aus dem sicherheitspolitischen Establishment der USA und seine Vorgängerin, die Britin im Botschafterrang Alyson Bailes, hatte vor ihrer Zeit bei SIPRI u.a. ihr Land bei der NATO vertreten und andere wichtige Ämter im britischen Militärapparat inne.

Die von dem angeblichen Friedensinstitut veröffentlichten Zahlen und »Fakten« sind daher mit Vorsicht zu genießende politische Aussagen der kriegführenden westlichen Militärmächte. Im vorliegenden Bericht meldet SIPRI, daß die nukleare Abrüstung der Atomwaffenstaaten nur »moderat« vorangehe und eine erkennbare Abrüstung auch in Zukunft unwahrscheinlich sei, da die Atomstaaten ihre Arsenale modernisierten. Kritik von SIPRI gibt es daran nicht. Vielmehr soll die Öffentlichkeit auf eine Zukunft ohne Abrüstung vorbereitet werden.

** Aus: junge Welt, 8. Juni 2011

[1] Anmerkung AGF: Der Hinweis des Autors ist zwar richtig, muss aber relativiert werden. Denn das Verstecken militärrelevanter Ausgaben in anderen Haushaltsposten ist kein alleiniges Merkmal der US-Haushaltsführung ist, sondern wird wohl in vielen Staaten der Welt angewandt wird.


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