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Wenn die Sensoren schwärmen

Eric Töpfer über neue Überwachungstechnologien und das Zusammenspiel von Rüstungs- und "ziviler" Sicherheitsforschung


Auch zivile Hochschulen, das ist bekannt, forschen für die Rüstung. Weniger bekannt ist: Die Grenzen zwischen militärischer und ziviler Forschung verschwimmen zunehmend, besonders bei Überwachungstechnologien. Und das wird Folgen haben. Denn einen Polizeihubschrauber über der Stadt können wir hören und sehen. Aber Sicherheitstechnologie aus der Rüstungsforschung ist nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbar, wie kleinteilige Sensoren, die für Überwachungsaufgaben geeignet sind. Der Politologe Eric Töpfer beobachtet, wie die Rüstungsindustrie sich das Geschäftsfeld öffentliche Sicherheit erschließt. Mit dem Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP sprach für das Neue Deutschland (ND) Ulrike Gramann.

Die Forschung arbeitet an Mini-Sensoren, die autonom und »intelligent« kooperieren. Sie haben das »Sensorschwärme« genannt. Was soll das sein?

Das ist ein Netzwerk von Sensoren wie Überwachungskameras oder chemische Detektoren, die zum Beispiel eine erhöhte Alkoholkonzentration in der Luft feststellen können. Prüft man damit, wie viele Betrunkene sich auf einem U-Bahnsteig befinden? Solche elektronischen Nasen analysieren die Zusammensetzung der Luft. Eine Idee ist, Fahrzeugflotten damit auszustatten, um Bomben- oder Drogenlabore in der Stadt aufzuspüren.

Unser Leben wird sicherer?

Es wird überwachter. Erfahrungsgemäß ergibt sich durch neue Sicherheitstechnologien ein Rüstungswettlauf. Die Sicherung ökonomischer und politischer Machtzentren hat politische Gewalt wie Autobomben oder Selbstmordattentate letztlich befördert. Aber komplexe Systeme sind auch störanfällig. Fehlalarme können dazu führen, dass ein Alarm nicht mehr ernst genommen wird. Datenmengen bewirken nicht von selbst, dass beizeiten reagiert wird.

Die Bundesforschungsministerin Annette Schavan sprach schon 2006 von einer »nationalen Strategie zur Forschung für die zivile Sicherheit«. Worum geht es dabei?

Die Sicherheitsforschung ist ein relativ neues Forschungsfeld, das etwa seit 2007 von der EU und der Bundesregierung gefördert wird. In den USA wurden nach dem 11. September 2001 Milliarden in Hochtechnologie für den »Heimatschutz« investiert. Ministerin Schavan will ebenfalls mit High-Tech die »Lebensnerven unserer Gesellschaft« vor »neuen und asymmetrischen Bedrohungen« schützen. Es geht zugleich darum, in einem neuen Wachstumsmarkt den Anschluss nicht zu verpassen.

Welche Bedrohungen sind gemeint?

Das Bedrohungsszenario ist grenzenlos: Es umfasst alles von terroristischen Anschlägen bis zur Alltagskriminalität, von Naturkatastrophen bis zum Straßenverkehr. Themen wie soziale oder ökonomische Sicherheit jedoch werden ausgeblendet. Eines der größten Projekte zielt auf die Entwicklung »intelligenter« Videoüberwachung für die Deutsche Bahn und die Bundespolizei, und zwar ohne die Beteiligung von Datenschützern. Die Untersuchung von Akzeptanz und Rechtsfragen obliegt der Konzernsicherheit der Bahn. Es fragt sich, wie dabei Grundrechte berücksichtigt werden, vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Was hat die öffentliche Sicherheit mit Wehrforschung zu tun?

Eine prominente Rolle in der deutschen Sicherheitsforschung spielen die wehrtechnischen Institute der Fraunhofer-Gesellschaft, die durch das Verteidigungsministerium grundfinanziert werden. Als ihre Förderung für Wehrforschung schrumpfte, bildeten sie den »Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung«. Dieser Verbund gehört zu den großen Gewinnern des deutschen Forschungsprogramms. Von den knapp 200 Millionen Euro Fördergeldern gehen rund zehn Prozent an die Fraunhofer-Gesellschaft, die Hälfte davon an die wehrtechnischen Institute. Zusammen mit Rüstungskonzernen haben sie entscheidend an der Gestaltung des Programms mitgewirkt. Die Hochschulen sind dann auf den Zug aufgesprungen. Angesichts des Drucks, Drittmittel einzuwerben, macht man sich dort immer weniger Gedanken, an welcher Art von Forschung man beteiligt ist.

Was ist neu am rüstungs- und sicherheitsindustriellen Komplex?

Klassische Rüstungskonzerne wie EADS oder Diehl expandieren zunehmend in zivile Märkte. Es wird schwieriger, zwischen Produkten für die militärische und die innere Sicherheit zu unterscheiden. Der Transfer militärischer Technologie in den zivilen Bereich ist nicht neu. So stecken in jeder Digitalkamera Chips, die ursprünglich für das Militär entwickelt wurden. Aber was folgt daraus, wenn auch militärische Logik transferiert wird, wenn beispielsweise die Polizei nach militärischem Muster Kommandozentralen einrichtet? Während die Atomlobby gesellschaftlich stark diskutiert wird, wird über diesen einflussreichen Industriekomplex bisher kaum gesprochen.

* Aus: Neues Deutschland, 26. April 2011


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