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"Wir arbeiten für die Bundeswehr"

Werkstatt der "Lebenshilfe": Menschen mit Behinderung montierten Leuchtkörper für das Militär. Waffen sind aber tabu. Ein Gespräch mit Michael Schreckenberger *


Michael Schreckenberger ist stellvertretender Geschäftsführer und Bereichsleiter Wohnstätten der Lebenshilfe Cuxhaven.


Vergangene Woche kam heraus, daß die Cuxhavener Behindertenwerkstatt der »Lebenshilfe« seit mindestens fünf Jahren für den Militärhersteller Chemring Defence etwa 15000 Teile von Leuchtkörpern montiert hat, die für die Bundeswehr gebaut und auch im Krieg eingesetzt werden. Sie behaupten, davon nichts gewußt zu haben.

Das ist so nicht richtig. Wir haben seit Jahrzehnten für die Firma Comet aus Bremerhaven unterschiedlichste Aufträge ausgeführt, unter anderem wurden Feuerwerkskörper mit Etiketten beklebt. Diese Firma wurde an verschiedene Chemring-Töchter verkauft, die alle ebenfalls in Bremerhaven angesiedelt sind, unter anderem an Chemring Defence. Insofern ist das für uns ein Altkunde. Die Aufträge, die dieser Altkunde vergibt, sind sporadisch – teilweise bekommen wir nach einem Jahr mal einen Anruf, ob wir dies oder jenes montieren könnten. Den konkreten Auftrag haben wir im Februar innerhalb einer Woche abgearbeitet.

Sie wurden aber nicht informiert, wofür die Teile montiert werden sollten? Und Sie haben auch nicht nachgefragt?

Uns wurde mitgeteilt, daß wir für Bodenleuchtkörper Ketten und Federn zusammenbauen sollten. Diese Leuchtkörper kann man sowohl zivil als auch militärisch verwenden. Man kann sie zum Beispiel mit Phosphor füllen, so daß sie leuchten und damit Flächen markieren. Die Einsatzmöglichkeiten sind aber sehr verschieden. Wie wir jetzt wissen, hat Chemring Defence diesen Auftrag von der Bundeswehr erhalten.

Hat sich nach der Übernahme durch die Militärfirma vor sieben Jahren etwas an der Zusammenarbeit mit Comet geändert?

Nein, eigentlich nicht. Es sind eher weniger Aufträge geworden. Seit Februar hat es auch keine weiteren gegeben. Das liegt daran, daß, so wurde uns mitgeteilt, der damalige Auftrag wegen Überlastung an uns ging. Die haben es halt nicht geschafft, es selbst zu montieren.

Steht die Kooperation mit einer Tochterfirma eines weltweit operierenden Militärproduzenten nicht grundsätzlich im Widerspruch zu den ethischen Grundsätzen der »Lebenshilfe«?

Wenn es um die Produktion von Waffen geht, würde ich das uneingeschränkt bejahen. Wir haben das nie gemacht und werden auch nie Waffen oder Teile dafür produzieren. Dennoch ist die Bundeswehr eine demokratisch legitimierte Armee und braucht prozentual mehr Dinge des täglichen Lebens als Waffen.

Sie können sich also vorstellen, mit Chemring und der Bundeswehr auf anderen Ebenen weiter zusammenzuarbeiten?

Wir arbeiten für die Bundeswehr. Die haben einen großen Standort in Nordholz, das ist ein Marinefliegergeschwader. Dort pflegen wir Gärten und liefern Parkbänke. Wir würden auch die Wäsche der Bundeswehr waschen, wenn wir den Auftrag dazu bekämen. Die einzige rote Linie, die wir ziehen, ist die der definitiven Waffenproduktion.

Aufträge wie der letzte von Chemring müssen im Einzelfall geprüft werden – soweit man es prüfen kann. Wir produzieren zum Beispiel Holzkeile für die Hafenwirtschaft. Sie können aber nicht feststellen, ob mit diesen Holzkeilen die Seecontainer mit humanitären Hilfsgütern für Somalia verkeilt werden oder ein Panzer für Syrien, der in Aleppo furchtbares Unheil anrichtet. Ich bin fest davon überzeugt, daß in den hochgeschützten Seehäfen auch Waffen transportiert werden. Sie können aber nicht kontrollieren, ob die Hafengesellschaft ihre 5000 Holzkeile auch dafür verwendet, und darüber wird Ihnen auch keine Auskunft gegeben.

Da sind Sie sicher?

Ich bin mir ziemlich sicher, vielleicht wissen sie es ja selber nicht. Sie können letztlich nicht feststellen, wohin das geht. Esbitkocher, mit denen man Wasser oder Ravioli heiß macht, werden beispielsweise sowohl von Trekkingfirmen als auch von der Armee benötigt. Wenn ich 5000 Esbitkocher montiere, gehen davon womöglich 1000 zur Bundeswehr und 4000 zur Treckingfirma. Das weiß man vorher nicht.

Wurden Ihre 400 Mitarbeiter über die Ereignisse informiert?

Ja. Die Werkstätten sind zwar momentan geschlossen, aber ich habe am Mittwoch die zuständigen Kollegen ausgiebig über die Situation und die Berichterstattung informiert. Die haben wiederum die Aufgabe, dies an die Menschen mit Behinderung weiterzugeben. An besagtem Auftrag war allerdings nur ein Teil unserer 400 Mitarbeiter beteiligt.

Interview: Ben Mendelson

* Aus: junge Welt, Freitag, 26. Juli 2013


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