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Maritime EADS als Vision

Deutschlands Bemühungen um einen Werften-Verbund

Von Otfried Nassauer*

Einen „Ausverkauf der deutschen Rüstungsindustrie“ zu Wasser, zu Lande und in der Luft prophezeite vor einigen Wochen die Tageszeitung DIE WELT: Wesentliche Anteile der Panzerbauer, Krauss Maffay Wegmann und Rheinmetall, stünden zum Verkauf, weil Großeigentümer wie Siemens und die Familie Röchling beabsichtigten, Kasse zu machen. Thyssen-Krupp werde den angekündigten Norddeutschen Werftenverbund nur gründen, um ihn in einem zweiten Schritt gleich an die Franzosen weiterzureichen. Und Daimler Chrysler habe die MTU schon verkauft und plane, seine Beteiligung an der EADS abzugeben. Ein Ausverkauf der deutschen wehrtechnologischen Schatztruhe drohe.

Die Meldung belegt zweierlei. Erstens: Die wehrtechnische Industrielandschaft Deutschlands kommt wieder in Bewegung. Dies gilt vor allem für die Marine- und die Heeresindustrie. Und zweitens: Bei Meldungen aus der sich globalisierenden Wirtschaft sind der Spekulation kaum Grenzen gesetzt.

Betrachten wir zwei Beispiele:
Zwei Jahre nachdem die US-Investmentfirma OEP den deutschen U-Boot- Bauer HDW übernommen hat, will der Investor sich vom Löwenanteil seines Neueinkaufs wieder trennen. Hoffnungen, die OEP sich vielleicht gemacht hatte, mit HDW könne man an der von Präsident Bush zugesagten Lieferung von acht Diesel-U-Booten nach Taiwan profitieren, haben sich in Luft aufgelöst. HDW war kein Schnäppchen, sondern hat Geld gekostet. Nun kauft Thyssen Krupp 75 Prozent der HDW. OEP bekommt mit rund 200 Millionen Euro eine hübsche Summe, reduziert sein Risiko und behält mit 25 Prozent entscheidendes Gewicht in der künftigen gemeinsamen Holding. Das operative Geschäft wird Thyssen leiten – der Leisten hat wieder einen deutschen Schuster. In diesem Monat, so die Hoffnung, sollen die Verträge unter Dach und Fach sein.

Der künftige Norddeutsche Werftenverbund wird dann international noch etwa 8.000 Menschen beschäftigen – 5.000 davon in Deutschland. Mindestens 1.000 Arbeitsplätze im Inland gehen verloren, wenn umgesetzt wird, was geplant ist: Alle drei Werftenstandorte bleiben zwar erhalten, sollen aber Schwerpunkte setzen: Kiel behält den U-Boot-Bau, gibt jedoch den Handelsschiffbau und den Bau von Überwasserschiffen für die Marine auf. Es baut am meisten Arbeitsplätze ab. TNSW in Emden baut Handelsschiffe sowie für die Streitkräfte Überwasserschiffe. Blohm und Voss in Hamburg bleibt ein Gemischtwarenladen: MEKO-Fregatten und Korvetten, Großjachten und Reparaturen. Etwas Personal wird abgebaut. Unangetastet bleiben die HDWTöchter Kockums in Schweden und HSY in Griechenland.

50 Millionen Euro jährlich soll dies an Einsparungen bringen, viel Geld in einem Industriezweig, der – so eine Studie der hochrangigen europäischen Marine- Studiengruppe LeaderSHIP 2015 – schon heute erheblich kosteneffizienter arbeitet als die Konkurrenz aus den USA. Verwaltung und Logistik können verschlankt werden. Von den Produkten her wäre der neue Verbund gut aufgestellt: Im Bereich konventioneller U-Boote wäre er weltweit führend; bei Fregatten keinesfalls chancenlos und bei Korvetten hätte man mit der Visby- Klasse und späteren Exportmodellen der deutschen K130 gleich zwei heiße Eisen im Feuer. Wasser in den Wein tröpfeln zu Recht die Gewerkschaften: Sie befürchten – am Beispiel Kiel – dass Werften, die ausschließlich Kriegsschiffe bauen, aufgrund schwankender staatlicher Auslastung künftig gefährdet sein könnten.

Doch die Einschnitte müssen aus Industriesicht sein, da der Werftenverbund zugleich auf die kommende sicherheitspolitisch notwendige europäische Integration der Werftindustrie ausgerichtet werden soll. Die deutsche Industrie erhebt dabei einen Führungsanspruch. Genauso wie die französische. Dort hat der Staat noch erheblich mehr Einfluss, der Arbeitsplatzabbau ist nicht so fortgeschritten und die Konsolidierung auf nationaler Ebene steht auch erst noch bevor. Die deutsche Industrie fürchtet, dass die französische Konkurrenz um DCN und Thales - mit Steuermitteln gestärkt – zunächst national integriert und erst dann in das Rennen um die europäische Führung geschickt wird. Gerüchte machen die Runde, Thyssen habe der französischen Regierung bereits die europäische Führungsrolle und den eigenen Rückzug zugesagt. Umgekehrte Befürchtungen existieren in Frankreich: Die Deutschen könnten zunächst die spanischen und italienischen Werften schlucken und damit den französischen zu mächtig werden.

Keine dieser Optionen darf als ausgemacht gelten. Denn die Rahmenbedingungen sind noch offen. So ist heute nicht einmal annähernd klar, wie die Werftenkapazitäten der neuen EU-Mitglieder in dieses rein westeuropäische Pokerspiel hineinwirken. Unklar ist auch, ob sich die großen Konzerne wie EADS oder British Aerospace aus dem Marinesektor heraushalten. British Aerospace hat bereits zusammen mit Thales den Auftrag für die Entwicklung der nächsten Generation britischer Flugzeugträger erhalten und wird damit ein wichtiger Akteur.

Auch bei der deutschen Heeresindustrie deuten sich Veränderungen an. Den Eröffnungszug machte Rheinmetall. Die strategischen Absichten sind jedoch ebenso undurchschaubar wie die Vernebelungstechnik für terrorbedrohte Kernkraftwerke, die der Konzern derzeit entwickelt. Der größte Rheinmetall- Eigner, die Familie Röchling, soll bei US-Investmentgesellschaften vorgefühlt haben, ob diese Interesse am Kauf der Röchlingschen Rheinmetallanteile hätten. „Kein Kommentar“, so verlautete hierzu aus dem Konzern selbst. Kaum war das Gerücht auf dem Markt, reagierten Politiker: Rheinmetall, die technologische Schatztruhe des deutschen Panzer- und Kanonenbaus, dürfe keinesfalls ins Ausland gehen. Ein solcher Verkauf müsse notfalls untersagt werden.

Auch hier lohnt ein Blick zurück: Rheinmetall hat in der Vergangenheit mehrere Sparten verkauft. Dadurch hat sich das Unternehmen auf ein Kerngeschäft beschränkt bestehend aus Heeresrüstung, Sicherheitstechnik und Autozulieferung. Damit ist frisches Geld in der Kasse – viel Geld. Die Zahlen im ersten Halbjahr 2004 zeigen bei allen wichtigen Indikatoren klar nach oben. Man erwartet eine deutliche Belebung des wehrtechnischen Marktes. Die Firma expandiert im Bereich der inneren Sicherheit, bei Polizei- und Sicherheitssystemen bis hin zu nicht-tödlichen Waffen. Die Aktien sind gestiegen. Der Shareholder Value ist selbst in den Augen der amerikanischen Analysten dem gewinnträchtiger US-Rüstungsfirmen gleichwertig – so eine Studie der RANDCorporation aus dem Juli.

Warum also Verkaufsgerüchte?
Eine Erklärung könnte sich ergeben, wenn man den Sachverhalt unter anderen Vorzeichen betrachtet: Rheinmetall könnte die Absicht haben einzukaufen. Krauss-Maffay Wegmann zum Beispiel - gezwungenermaßen der Partner bei vielen Bundeswehrprojekten. Siemens möchte seinen 49 Prozent-Anteil abgeben. Aber um das operative Geschäft führen zu können, müsste auch der Mehrheitseigner, die Familie Bode, verkaufen. Mit dieser aber steht Rheinmetall schon lange auf Kriegsfuß und das hebt die Preise. Die Gerüchte um den Verkauf von Rheinmetall könnten also auch eine andere Funktion haben. Denn: Kommt von zwei benachbarten Filetgrundstücken am See das größere auf den Markt und kann der Eigentümer des Kleineren es weder kaufen noch sein eigenes ohne Zukauf weiter wirtschaftlich nutzen, dann muss auch er über einen Verkauf nachdenken – das Angebot steigt und die Preise sinken. Auch die deutsche Heeresindustrie muss sich Gedanken machen, wie sie sich für die kommende europäische Integration aufstellen will. Auch sie erhebt – technologisch begründet – einen Führungsanspruch in Europa.

Einfach wird es nicht, diesen durchzusetzen. Der französische Konkurrent GIAT wurde erst kürzlich von Väterchen Staat heftig aufgepäppelt; die britische Alvis schlüpfte nach politischer Intervention bei British Aerospace unter. In Deutschland aber steht die nationale Konsolidierung in den Sternen. Es gibt also Gründe, sich zu bewegen.

Und die Politik? Im Verteidigungsministerium ist der beamtete Staatssekretär Peter Eickenboom für Rüstungstechnik, Beschaffungen und damit für die offiziell nicht existente Industriepolitik des Hauses zuständig. Er trifft die meisten relevanten Entscheidungen, die die politische Führung später vertreten muss. Offenbar ist er nicht ganz abgeneigt, industriepolitisch zu wirken und der Industrie mit Aufträgen unter die Arme zu greifen. Damit sie tut, was unausweichlich ist. In Sachen Werftenverbund signalisierte das Verteidigungsministerium schnell, dass die Ampeln für eine Lösung unter deutscher Führung auf grün stehen. Mehr noch: Bereitwillig wurde die Möglichkeit ins Spiel gebracht, den Milliardenauftrag ‚Fregatte 125’ vorzuziehen, damit der Verbund einen besseren Start hat. Komplizierter ist die Lage im Heeresbereich: Auch dort gibt es jenes Großprojekt, mit dem der Industrie das Zusammengehen schmackhaft gemacht werden könnte: Den Schützenpanzer Puma. Doch der macht gerade Negativ-Schlagzeilen: Das Vorhaben wird fast doppelt so teuer wie bisher gedacht: 3,4 Milliarden Euro sollen 405 Pumas jetzt kosten. Also gilt es, das Vorhaben soweit anzuschieben, dass es nicht mehr gestrichen werden kann. Dies soll im Herbst geschehen.

Peter Eickenboom weiß, wie Industriepolitik funktioniert: Wenn die wehrtechnische Industrie etwas tun soll, dann will sie es gerne aus Steuermitteln bezahlt haben. Auch wenn es nur darum geht, zu fusionieren und zu rationalisieren.

* Otfried Nassauer leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS)

* Der Beitrag wurde in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" am 4. September 2004 gesendet.



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