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Munition für die Türkei - Munition für die Grünen?

Die Grünen wieder einmal vor einer "Zerreißprobe"?

Am 25. August erschien auch in der taz, der etwas anderen Zeitung mit "linkem Touch", ein längerer Artikel zur Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei. Dass sich einige grüne Abgeordnete "hintergangen" fühlen, stimmt zwar, ob das allerdings dazu führen wird, dass es wirklich zu einer heftigeren Auseinandersetzung in der Koalition kommt, ist fraglich. Es wäre nicht die erste Kröte, die der Juniorpartner von Schröder in den letzten zwei Jahren schlucken musste. Selbst Trittin hat sich derweil so an den bitteren Geschmack von Kröten gewöhnt, dass er Gefallen an deren Verzehr findet (Beispiel Tempolimit). Zu hoffen wäre höchstens auf die grüne Basis und ihre Erinnerung an die eigenen Grundsätze und Beschlüsse.
Der Kommentar in der taz, den wir trotz seiner Superrealo-Haltung hier in voller Länge wiedergeben, schießt den Vogel ab. Wie oft muss man sich denn noch drehen und wenden, um bei den Kriegs- und Rüstungsbefürwortern zu landen?


Sprengstoff für Rot-Grün
Die Genehmigung einer Munitionsfabrik für die Türkei empört Abgeordnete der Grünen.


Bei der Genehmigung für das jüngste deutsch-türkische Rüstungsgeschäft fühlt sich die grüne Bundestagsfraktion von der eigenen Regierung hintergangen. Auslöser der Kontroverse in der rot-grünen Koalition ist die gestern bekannt gewordene Lieferung von Maschinen zur Munitionsherstellung an die Türkei im Wert von 90 Millionen Mark. "Es ist ein Verstoß gegen die Rüstungsexportrichtlinien", sagte die verteidigungspolitische Sprecherin Angelika Beer der taz. "Wir erwarten eine Erklärung der Bundesregierung."

Die grüne Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte, Claudia Roth, sieht in der Lieferung einen "klaren Widerspruch zu den Richtlinien", was "heftig zu kritisieren" sei. "Wir halten gar nichts von dieser Entscheidung", erklärte der Außenpolitik-Experte der Fraktion, Christian Sterzing. Sterzing und Beer haben darum eine parlamentarische Anfrage an die Regierung gerichtet.

Der geballte Protest bedeutet ein Alarmzeichen für Bundesaußenminister Joschka Fischer. Nach Informationen der taz fiel die Genehmigung für den Export im Bundessicherheitsrat, in dem auch das Auswärtige Amt (AA) vertreten ist. Für zusätzliche Verärgerung sorgt daher in der Fraktion der Eindruck, wie auch schon beim Streit um die Lieferung von Leopard-II-Panzern, im Dunkeln gelassen worden zu sein. "Die Brisanz von Rüstungsexporten in die Türkei dürfte inzwischen jedem bekannt sein", sagte Angelika Beer. Während man sich im AA sicher ist, die Fraktion auf die Entscheidung des Sicherheitsrates vorbereitet zu haben, sagte Beer der taz: "Ich bin vor der Entscheidung nicht informiert worden."

Die Genehmigung ist nach taz-Informationen unter den neuen Rüstungsexport-Richtlinien gefallen, die auf Betreiben der Grünen verschärft wurden, um eine Wiederholung der Panzerkrise zu verhindern. Zu Fischers Abstimmungsverhalten in dem geheim tagenden Bundessicherheitsrat hieß es im AA nur, Fischers restriktive Haltung in Rüstungsexportfragen sei hinlänglich bekannt. In den Exportrichtlinien heißt es unter anderem: "Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungsland wird bei den Entscheidungen besonderes Gewicht beigemessen." Genehmigungen "werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression oder zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden".

Das hessische Unternehmen Fritz Werner unterzeichnete am vergangenen Mittwoch den Vertrag mit dem türkischen Verteidigungsministerium. Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigte gestern, dass die notwendigen Genehmigungen erteilt worden waren. Im Zuge einer Nato-Umrüstung auf eine neue Munitionsgröße stellt die Türkei ihre Produktion von Kaliber 7.62 auf Kaliber 5.56 um. Das Argument, es handele sich nur um die Umstellung von Waffenstandards, nicht um eine Aufrüstung, ließ Roth nicht gelten. "Wenn Herr Scharping zu Recht sagt, Panzer kann man derzeit wegen der Menschenrechte nicht liefern, dann kann man auch nichts anderes liefern", sagte Roth der taz. Waffenexporte seien "das Gegenteil eines Freundschaftsdienstes für die Türkei", die eine gesellschaftliche statt einer militärischen Modernisierung brauche.
PATRIK SCHWARZ
Aus: taz, 25.08.2000

Quadratur des Kreises

Es ist der grünen Verteidigungspolitikerin Angelika Beer nicht zu verdenken, dass sie gestern lauthals gegen den Export von Maschinen zur Produktion von Munition an die Türkei protestierte. Es wird ja Zeit, dass die Grünen sich wieder einmal bei ihren Wählern zurückmelden, wofür ein Konflikt mit der Rüstungsindustrie immer gut ist. Nur die Crux an dem grünen Aufschrei, so er denn tatsächlich zu einem wird, ist die Kurzatmigkeit der damit eingeschlagenen politischen Linie.

Kommentar von JÜRGEN GOTTSCHLICH

Die Nato stellt auf Weisung des großen Bruders Amerika ihr Kaliber für Gewehrmunition um. Die türkische Armee kauft deshalb Maschinen, mit denen die Munition im neuen Kaliber hergestellt werden kann. Sicher, Munition ist dafür da, zu schießen, und Soldaten schießen auf Menschen. Im Falle der türkischen Armee auch auf Kurden. Trotzdem gibt es gewichtige Unterschiede zwischen dem Export eines Leopard-II-Panzers und Maschinen zur Herstellung eines Nato-konformen Munitionskalibers. Der Leopard II ist eines der technisch am höchsten entwickelten Waffensysteme der Welt. Ihn an die Türkei zu liefern, setzte ein besonderes Vertrauensverhältnis voraus, was zur Zeit zu Recht nicht besteht.

Wenn man aber einem Nato-Partner Maschinen zur Munitionsproduktion nicht liefern will, sollte man doch so konsequent sein, dann auch die Auflösung oder zumindest die Suspendierung dieser Partnerschaft zu verlangen.

Politiker, die ernst genommen werden wollen, sollten ihre Positionen zu Ende formulieren. Ein klares Nein zu jeder rüstungsrelevanten Zusammenarbeit mit der Türkei kann nur bedeuten: Die Türkei soll raus aus der Nato. Alles andere gleicht der Quadratur des Kreises, ist nicht mehr als wohlfeile Entrüstung in der Hoffnung, seine eigene Weste weiß zu behalten. Wer jedoch konsequenterweise fordert, die Türkei aus der Nato auszuschließen, kann nicht gleichzeitig für eine EU-Integration sein. Wenn es jedoch einen Weg gibt, die Menschenrechtslage in der Türkei zu verbessern, dann durch die Annäherung an die EU und baldige Beitrittsverhandlungen. Die Grünen als Regierungspartei müssen sich gefallen lassen, nach den Konsequenzen ihrer Entscheidungen befragt zu werden. Was wollen sie? Ein moralisch gutes Gefühl oder deutsch-türkische Beziehungen, die dazu beitragen, den Weg der Türkei nach Europa zu ebnen? Beides auf einmal ist nicht zu haben.

Aus: taz, 25.08.2000

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