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Restriktive Rüstungsexportpolitik von Rot-Grün?

Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung unter der Lupe

Von Andrea Kolling*

"Kriegswaffenexporte halbiert!" lauteten die Schlagzeilen am Tag, nachdem der zweite Rüstungsexportbericht für das Jahr 2000 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, ganz im Sinne der Rot-Grünen Bundesregierung. Mangels vorliegender Zahlen konnte dem erst einmal nicht widersprochen werden. Denn leider stand der Bericht nicht zeitgleich der Öffentlichkeit zur Verfügung, sondern erst Tage später. Anders im September 2000, da stand der erste Rüstungsexportbericht für das Jahr 1999 der Bundesregierung sofort im Internet über das Wirtschaftsministerium (www.bmwi.de). "Kriegswaffenexporte halbiert", was heißt das? Heißt das überhaupt etwas? Auf jeden Fall heißt es: genau hinsehen.

Der deutsche Rüstungsexport wird durch das Grundgesetz, das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) geregelt. Die entsprechenden Geräte, wie - Panzer, Gewehre, Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge, Raketen, Minenlegsysteme, Minen, Torpedos, Raketen, Bomben, Kanonen, Granaten - sind in einer Kriegswaffenliste nach dem KWKG und einer Ausfuhrliste für Waffen, Munition und Rüstungsmaterial nach dem AWG aufgelistet. Die Liste nach dem AWG ist sehr viel umfangreicher und weiter gefasst als die Liste nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Die Ausfuhr aller Rüstungsgüter ist genehmigungspflichtig.

Empfänger kommerzieller Ausfuhren von Kriegswaffen waren im Jahr 2000 z.B. Israel mit einem U-Boot im Wert von 347 Millionen DM, Schiffsteile nach Brasilien im Wert von 7 Millionen, nach Südkorea Schiffsteile für 5 Millionen und unbewaffnete Kampfhubschrauber für 76 Millionen DM. Für das Jahr 2000 gingen aus Bundeswehrbeständen für 84 Mill. DM Verkaufswert (gleich Warenwert?) Kriegsgerät u.a. nach Chile, Litauen, Estland und Thailand.

Nach dem Rüstungsexportbericht sind die tatsächlichen Ausfuhren von Kriegswaffen im Jahr 2000 im Vergleich zum Vorjahr um 53 Prozent zurückgegangen. Ausfuhren nach dem KWKG. Über die tatsächlichen Ausfuhren von Rüstungsgütern nach dem AWG gibt es keine Statistik, sondern nur eine statistische Erfassung der beantragten Ausfuhrgenehmigungen. Für das Berichtsjahr 2000 wurden Einzelausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen und andere Rüstungsgüter im Wert von 5,568 Milliarden DM erteilt - ohne Sammelgenehmigungen. 1999 für 6 Milliarden DM. Der Gesamtexport ist nur also nur um 6% gefallen. Die Verringerung ist unerheblich und sagt nichts über eine Tendenz aus. Erfahrungsgemäß liegen die tatsächlichen Ausfuhren unter den Werten für die beantragten Genehmigungen. Interessant aber ist, dass die Zahl der Genehmigungen 2000 sehr deutlich über den tatsächlichen Exporten liegt. Viel höher als im Jahr 1999, damit ist zu erwarten, dass wir in den nächsten Jahren einen deutlichen Anstieg von tatsächlichen Exporten zu erwarten haben. Laut Rüstungsexportbericht hat es einen deutlichen Anstieg von Sammelausfuhrgenehmigungen gegeben. Sie werden im Rahmen von Kooperationen für einen Zeitraum von zwei Jahren erteilt. Ihre Höhe beträgt: 3,7 Milliarden DM. Sie werden dann erst nach der nächsten Bundestagswahl im Bericht zu Buche schlagen. 1999 hatten die Sammelgenehmigungen eine Höhe von 654 Millionen DM. Die genehmigten Waffenexporte für das Jahr 2000 haben somit eine Höhe von 9,3 Milliarden DM. Zum Vergleich 1999 waren es 6,5 Milliarden DM.

Dazu ist noch zu beachten: Bei den Genehmigungen fehlen die Bundeswehrbestände, die ins Ausland gehen. Sie gehen erst bei Lieferung in den Bericht unter den tatsächlichen Ausfuhren ein, und werden in den nächsten Jahren eher zunehmen. Erinnert sei hier an den sog. Rudi-Katalog vom November 2001. Minister Scharping hatte über die deutschen Botschaften einen umfangreichen bebilderten Katalog mit Kriegsgerät weltweit angeboten, den der Außenminister stoppte. Dies wurde durch die Presse bekannt.

Allein von der Quantität der Genehmigungen her, kann nicht von einer Rot-Grünen Zurückhaltung bei Rüstungsexporten gesprochen werden. Im Gegenteil.

In der Erklärung des Wirtschaftsministeriums zum Rüstungsexportbericht 2000 hieß es: Entwicklungsländer spielten als Empfänger deutscher Kriegswaffenexporte im Jahr 2000 keine Rolle. Und: Deutschland tritt als Exporteur von Kriegswaffen in Länder außerhalb der EU-,NATO und NATO-gleichgestellten Länder nicht nennenswert in Erscheinung. Mit Ausnahme der U-Boot-Lieferung an Israel und der Lieferung unbewaffneter Hubschrauber an Südkorea. Ausgangspunkt ist, das 65% der Kriegswaffenausfuhren gingen in EU-, NATO- oder NATO-gleichgestellte Länder (Schweiz, Japan, Australien, Neuseeland). Im langjährigen Mittel gingen immer ca. 2/3 der Exporte in EU, NATO, NATO gleichgestellten Länder gehen und ein Drittel in sog. Drittländer. Nichts besonderes also, aber sind 35% auch nichts Nennenswertes?

Immerhin wurden an 92 Drittländer, d.h. außerhalb von EU, NATO und NATO gleichgestellten Länder, Genehmigungen erteilt. 1999 waren es nur 67 Länder. Sehr unterschiedlich vom Volumen her (Korea: 253 Mill. DM) oder Körperschutzwesten an Kirgisistan für 16.000 DM. Interessant ist, wer trotz eines formalen Antrages, eine umfassende Ablehnung erhielt. Eine formale Ablehnung kann als Indiz für die erhoffte reale Chance einer Genehmigung gelten. Nach Aussagen der zuständigen Behörde werden vor einer schriftlichen Antragstellung erst einmal die Chancen für eine Genehmigung ausgelotet, u.U. auch über das Instrument der Voranfrage. Überhaupt keine Genehmigungen zur Einfuhr von Rüstungsgütern erhielten im Jahr 2000 nur Aserbaidschan, Guatemala, Kongo, Macau, Sudan und Syrien. Eine ganze Reihe von Staaten erhielten neben einer Anzahl von Genehmigungen auch einige Ablehnungen. Aus dem Bericht geht nicht hervor, was genau abgelehnt wurde und warum genau. Interessant wäre es zu erfahren, warum gleichzeitig Exporte abgelehnt wurden und andere Genehmigungen an den gleichen Staat erteilt wurden. Was ist die Linie? Oder wird abgezählt? Fünf ja - ein Nein? Oder 3 : 1?

Die Liste der Genehmigungen an Drittländer ist lang: Albanien erhielt Körperschutzwesten für 270.000 DM, Ägypten Teile für gepanzerte Fahrzeuge, Bangladesch ein nuklear/chemisches Warnsystem, Brasilien Teile für Kampfschiffe, Ecuador u.a. Teile für Torpedos, Georgien: Waffenzielgeräte, Lettland: Minenjagdboote, Malaysia für 6 Mill. DM Diverses, Peru: Teile für U-Boote und Torpedos, usw. usw.

Die sog. Drittländer sind fast alles Entwicklungsländer. Entwicklungsländer werden im Bericht nach einer Liste der OECD definiert. Beim Durchsehen der Empfängerliste gibt es kaum ein Land, dass nicht als klassisches Entwicklungsland gelten kann. Einige wenige Länder wie Grönland, Zypern, Singapur, Taiwan sind keine sog. Entwicklungsländer. Der Export von teurem high-tech Kriegsgerät an sog. Entwicklungsländer, vor allem an die ärmeren Staaten ist in den letzten Jahren aufgrund finanzieller Probleme der Importstaaten zurückgegangen. Dies ist eine allgemeine Tendenz und kein besonderer Verdienst der Rot-Grünen Bundesregierung.

Abgelehnt wurden insgesamt nur 117 Anträge im Wert von 23 Millionen DM. 1999 waren es 85 Ablehnungen für 10 Mill. DM. Die etwas größere Zahl der Ablehnungen bewerten wir als normale Jahresschwankung. Sie sind kaum ein Indiz für eine größere Zurückhaltung bei der Erteilung von Genehmigungen.

Eigentlich ist es skandalös, das eine Reihe von problematischen Staaten Kriegswaffen und Rüstungsgüter erhalten, sowie Möglichkeiten zur Herstellung von Rüstungsgütern. Beispiel: Israel erhält Teile für Panzer und gepanzerte Fahrzeuge und LKW dazu Torpedos, Munitionszünderteile, Nebeltöpfe und Signalmunition im Wert von 346 Mill. DM. 155 Genehmigungen für Israel stehen drei Ablehnungen gegenüber. Ob dies der Konfliktreduzierung dient?

Indien erhält u.a. Herstellungsausrüstung für Panzerabwehrwaffen neben einer ballistischen Messanlage, dazu Teile für U-Boote und Fregatten, Hubschrauber und Torpedobaugruppenprüfanlage, alles zusammen für 63 Millionen DM. Keine Kleinigkeit. Nepal erhält für 700.000 DM eine Herstellungsausrüstung für kleinkalibrige Munition plus ballistische Messanlage.

Ukraine erhält für drei Mill. DM Sport- und Jagdgewehre und Sportrevolver und -pistolen. Interessant wäre es zu erfahren, wer die Waffen erhält und wie viele Stück das sind. Unbeantwortet bleibt die Frage, wozu dient die doch wahrscheinlich große Menge an Waffen? Zur privaten Sicherheit? Zum Jagen?

Usbekistan erhielt eine Herstellungsausrüstung für kleinkalibrige Munition, für ca. 300.000 DM. Hat man früher die dazugehörigen Waffen geliefert und gibt sich jetzt insgesamt zurückhaltend bei Kleinwaffenexporten?

Unproblematische Exporte und Peanuts? Wohl kaum! Die Frage nach dem Warum der Lieferungen beantwortet der Bericht nicht. Wir fragen, wo schlägt sich eine Berücksichtigung der Menschenrechtssituation in den Empfängerländern nieder?

Problematische Exporte in problematische Länder zu unbekannten Konditionen. Kein Beitrag zur Konfliktreduzierung und das alles vor dem 11. September 2001. Was erwartet uns in zwei, drei Jahren? Was wird dann alles zur sog. Terrorbekämpfung und einer fragwürdigen Sicherheit geliefert?

Der Rüstungsexportbericht als offizielles Dokument der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung muß im Hinblick auf Aussagekraft und Transparenz geprüft werden. In den Koalitionsvereinbarungen vom Oktober 1998 ist von einem Transparenzgebot die Rede. Die Existenz des Berichtes als solches ist ein Fortschritt. Er hat allerdings eine Reihe von Mängeln: er nennt keine Hersteller, er nennt keine Endverbraucher (Militär, Firmen, Privatpersonen, Polizei), er enthält keine deutschen Zulieferungen zur Fertigung in anderen Staaten, er enthält keinerlei Hinweise, ob und inwieweit die geforderten Endverbleibskontrollen tatsächlich durchgeführt werden konnten, oder wo Abweichungen gegenüber gemachten Zusagen der Empfängerländer bestehen. Er enthält keine detailliert nachvollziehbaren Gründe für die Ablehnungen, keine Genehmigungskriterien und Ablauf des Genehmigungsverfahrens, keine Stückzahlen und keine Produktbeschreibungen, keine finanziellen Modalitäten, z.B. fehlt, ob es Hermeskreditbürgschaften für einzelne Verträge gab. Der Bericht enthält keine sog. Dual-Use Güter, d.h. Güter mit sog. doppeltem Verwendungszweck, zivil und militärisch. Die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung wird insgesamt durch den Bericht kaum transparenter.

Neu im zweiten Bericht ist lediglich eine Strafverfolgungsstatistik. Diese sagt erst einmal nur aus, dass es kaum Strafvergehen im Zusammenhang mit dem Export von Waffen gibt. Interessant wären hier Erkenntnisse aus den Untersuchungsausschüssen im Zusammenhang mit Waffengeschäften. Erinnert sei an die "Schreiber-Affäre".

Restriktivität in der Rüstungsexportpolitik der Rot-Grünen Bundesregierung kann im Hinblick auf die Quantität und Exporte, in problematische Länder mit wenig friedlichen Produkten, keine Rede sein. Alles andere ist Schöngerede! Die Umsetzung der propagierten Ansprüche der Rot-Grünen Regierung an die Rüstungsexportpolitik nach der Kohl Ära sind nach Zahlen des Berichtes nicht auszumachen. Und wie beruhigend für die Rot-Grüne Bundesregierung, dass der nächste Rüstungsexportbericht erst nach der Bundestagswahl erscheint!

* Andrea Kolling ist Sprecherin der BUKO-Kampagne "Stoppt den Rüstungsexport!", Bremen. Abschluss des Manuskripts: 11.01.2002
Der Beitrag erscheint in der Zeitung "FriedensForum, 1/2002



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