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Rüstung verschwendet Reichtum

Lassen sich Militärbudgets leichter reduzieren, wenn man sie zuvor vergleichbar macht?

Von Wolfgang Kötter *

Am East River in Manhattan beraten ab heute UNO-Experten über eine Aufgabe, die zunächst sehr einleuchtend erscheint, deren praktische Umsetzung sich aber als äußerst schwierig erweist. Es geht darum, wie die Militärausgaben der Staaten vergleichbar gemacht werden können, um sie anschließend zu reduzieren.

Laut UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sind die Rüstungsausgaben der UN-Mitgliedstaaten in den vergangenen zehn Jahren um 50 Prozent auf 1,5 Billionen US-Dollar gewachsen: »Mit diesem Geld hätten akuteste Entwicklungsprobleme wie Armutsbekämpfung, Vervollkommnung des Gesundheitswesens oder Kampf gegen die Klimaerwärmung gelöst werden können«, beklagt der Chefdiplomat der Weltorganisation. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI errechnet für 2010 sogar die Rekordsumme von 1,63 Billionen Dollar.

Dass man – ökonomisch gesehen – statt Rüstungen zu bezahlen den gesellschaftlichen Reichtum auch gleich ins Wasser werfen könnte, ist schon lange bekannt. Trotzdem steht die Reduzierung der Militärbudgets seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung internationaler Abrüstungsforen, ohne dass auch nur ein Dollar, Rubel, Renminbi oder Euro jemals einvernehmlich aus den Militäretats der Staaten gestrichen worden wäre.

Während des Ost-West-Konflikts schaukelte sich das Wettrüsten durch gegenseitige Aktions-Reaktions-Mechanismen regelmäßig auf. Vorschläge zur Reduzierung der Militärausgaben waren zumeist propagandistisch motiviert und der Schwarze Peter wurde der jeweils anderen Seite zugeschoben. Die Staaten des Warschauer Vertrags verlangten, die Militärausgaben um absolute Summen oder prozentuale Zahlen zu kürzen. Die NATO-Vertreter hingegen verwiesen darauf, dass in den staatssozialistischen Ländern viele militärische Aufwendungen nicht im Rüstungsetat aufgeführt, sondern in anderen Bereichen wie in der Schwerindustrie versteckt seien. Deshalb wäre es zunächst erforderlich, die Militärausgaben offenzulegen und vergleichbar zu machen. Auf ihre Initiative hin wurden im Rahmen der Vereinten Nationen Kriterien einer solchen Vergleichbarmachung von Militärausgaben erarbeitet und ein standardisiertes Berichtssystem entwickelt.

Während des Kalten Krieges wiesen die sozialistischen Staaten und zahlreiche Entwicklungsländer dies als pures Ablenkungsmanöver zurück. Zudem seien beispielsweise in den USA die Ausgaben für die Atomwaffen auch nicht im Militäretat, sondern im Budget des Energieministeriums enthalten. Mit der unter Michail Gorbatschow ab Mitte der 1980er Jahre betriebenen Politik von Glasnost (Offenheit) relativierte sich in der sowjetische Politik die absolute Geheimhaltung, und sowohl Moskau als auch die übrigen osteuropäischen Staaten nahmen am Berichtssystem teil. Damit hörte diese Kontroverse auf, Gegenstand der Ost-West-Konfrontation zu sein. Die UN-Abrüstungskommission verabschiedete im Jahre 1989 sogar Prinzipien für die Reduzierung der Militärbudgets.

Die ursprünglich von der Bundesrepublik Anfang der 80er Jahre initiierte Resolution zur Transparenz der Militärbudgets, die alle Staaten zur Beteiligung am Berichtssystem auffordert, erhielt allgemeine Zustimmung und wird seither jeweils einvernehmlich verabschiedet. Die Mitgliedsstaaten sind aufgerufen, bis zum 30. April auf einem standardisierten Formblatt die Militärausgaben des vorangegangenen Jahres mitzuteilen. Das Berichtssystem soll erklärtermaßen zur Vertrauensbildung beitragen und so eine Verminderung von Militärausgaben fördern. Nachdem sich anfänglich kaum 30 Staaten beteiligten, wuchs die jährliche Teilnehmerzahl zwischenzeitlich auf über 75 an, geht aber in jüngster Zeit wieder zurück.

2010 wurde die jetzt tagende Expertengruppe mit dem Auftrag gebildet, das seit seiner Einführung nahezu unverändert gebliebene Berichtssystem zu überprüfen und Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten. Dadurch soll die Wirkung dieses Instrumentariums als vertrauensbildende Maßnahme angesichts der weltweit steigenden Rüstungsausgaben gestärkt und der rückläufige Trend bei der Teilnahme wieder umgekehrt werden. Nach Sitzungen in Genf im vergangenen November und im Februar ebenfalls in New York werden die Ergebnisse und Empfehlungen in einem Abschlussbericht im kommenden Herbst der 66. UN-Vollversammlung vorgelegt. Es ist zu hoffen, dass darunter konkrete Anregungen enthalten sind, wie Militärausgaben nicht nur verglichen, sondern auch tatsächlich verringert werden können.

Staaten mit den höchsten Militärausgaben (2009)

Staat Mrd. US-Dollar
USA 661,0
China 100,0
Frankreich 63,9
Großbritannien 58,3
Russland 53,3
Japan 51,0
Deutschland 45,6
Saudi-Arabien 41,2
Indien 36,3
Italien 35,8


(China und Russland Schätzungen)

Quelle: SIPRI-Jahrbuch 2010

* Aus: Neues Deutschland, 9. Mai 2011


Das Übel Rüstung

Von Harry Nick **

Die Bundesrepublik hat den dritten Platz unter den Rüstungsexporteuren erobert. Rüstung ist in jeder Hinsicht von Übel. Als die sowjetische Führung den – ihr vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan hingeworfenen – Fehdehandschuh des Rüstungswettlaufs aufnahm, hatte sie gleich mehrere Umstände wohl nicht genügend bedacht. Vor allem, dass ein militärisches Gleichgewicht bei dreifacher wirtschaftlicher Kapazität der NATO-Länder im Verhältnis zu den Warschauer-Vertrag-Staaten letztere wirtschaftlich viel härter treffen musste. Es war auch damals schon zweifelhaft, ob ein solches »Gleichgewicht auf höherem Niveau« wegen der »Overkill«- Kapazität auf beiden Seiten für die Abschreckung notwendig war. Die Sowjetunion bedachte wohl auch nicht, dass Rüstungsausgaben wirtschaftlich und sozial in einem sozialistischen Lande eine rein negative Wirkung haben. In einer kapitalistischen Wirtschaft ist das durchaus nicht ebenso der Fall.

Rüstung ist ein wichtiger Faktor kapitalistischer Reproduktion, weil sie die systembedingte Diskrepanz zwischen Angebot und zurückbleibender Nachfrage verringern hilft. Für die damaligen »realsozialistischen« Wirtschaften wäre Abrüstung dagegen, von zeitweiligen Umstellungsproblemen abgesehen, nur von Vorteil gewesen.

Im labilen kapitalistischen Wirtschaftssystem hat Rüstung eine quasi stabilisierende Funktion, weil sie eine stabile staatsfinanzierte Nachfrage und ein perfekt funktionierendes System der Umverteilung von unten nach oben ist. Man mag auf die Unterschiede von keynesianischer, auf Staatsinvestitionen basierter und auf »weniger Staat« gegründeter neoliberaler Wirtschaftspolitik verweisen: In der Rüstungsfrage herrscht in den kapitalistischen Industrieländern, vor allem in den USA, ungebrochen die Keynessche Doktrin. Der erz-neoliberale Präsident Ronald Reagan wurde von klugen Ökonomen auch als rabiater Keynesianer erkannt. In ihrer Substanz ist Rüstung nicht sinnvoller als wenn, nach einem von John Maynard Keynes vorgestellten Rezept, das Schatzamt Banknoten unter städtischem Müll verbuddeln und es dem privaten Unternehmergeist überlassen würde, die Noten wieder auszugraben. So könne auch Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Rüstung ist Vergeudung pur und zugleich ein Mittel, das kapitalistische Grundübel eines Nachhinkens der Gesamtnachfrage hinter dem Gesamtangebot zu lindern. Auf Dauer jedoch ist die rüstungsbedingte Umverteilung keineswegs systemstabilisierend – im Gegenteil. Dass die Rüstungsausgaben heute zwölf Mal so groß sind wie die Ausgaben für Entwicklungshilfe, ist eine Hauptursache globalen wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichts.

Internationale Untersuchungen weisen nach, dass Investitionen in das Gesundheits- und Bildungswesen im Vergleich zu Investitionen in die Rüstung zwei bis drei Mal so viele Arbeitsplätze schaffen würden. Die in einigen Rüstungsfirmen agierenden Arbeitskreise alternativer Fertigung, die konkrete Vorschläge ziviler Produktion entwickeln, verdienen Unterstützung. Ausschlaggebend aber wird sein, wie die Einsicht greift, dass Rüstung geächtet und abgeschafft werden muss. Sie ist sinnlos, wirtschaftlich schädlich, menschenfeindlich.

Rüstung ist ein Unheil vor allem deshalb, weil ihre Gegenstände gebraucht werden wollen; kontinuierliche Rüstung verlangt kontinuierlichen Verbrauch, erzwingt zumindest Vernichtung durch technologische Neuerung, damit auch immer weiter steigende Ausgaben. Rüstung ist der wirtschaftliche und machtpolitische Nährboden aller Kriegslügen.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Mai 2011


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