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"Israelische Waffen sind an Zivilisten getestet"

Tel Aviv gibt prozentual dreimal mehr für Militär aus als Washington. Krieg durchdringt Gesellschaft. Ein Gespräch mit Shir Hever *


Shir Hever ist israelischer Wirtschaftswissenschaftler und arbeitet für das Alternative Informationszentrum in Jerusalem.


Sie forschen zur israelischen Kriegsökonomie und sprechen am Wochenende auf der 9. Strategiekonferenz der »Kooperation für den Frieden« in Magdeburg. Worüber werden Sie berichten?

Die israelische Wirtschaft ist in hohem Maße militarisiert. Das hat seine Gründe und seine Geschichte. Es gibt viele Profiteure der Kriegsökonomie, aber noch viel mehr Verlierer.

Es läßt sich ein Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts (BIP) errechnen, der angibt, welcher Anteil auf das Militär und private Subunternehmen entfällt. Darin sind Kosten für zivile Staatsorgane, wie die Polizei, nicht enthalten.

Wie hoch ist der?

Dieser Anteil beträgt in Deutschland rund ein Prozent der Wirtschaftsleistung, in anderen europäischen Ländern zwischen ein und zwei Prozent. Die USA verwenden vier Prozent ihres BIP auf Militärausgaben, Israel dagegen nach offiziellen Angaben acht Prozent. Allerdings erfüllt ein Großteil der Polizei ebenfalls militärische Aufgaben, und zwar in den besetzten Gebieten. Außerdem werden in den Gefängnissen des Landes palästinensische Häftlinge festgehalten, die nicht als Kriegsgefangene behandelt werden. Zählt man diese versteckten Kosten hinzu, ergeben sich über zwölf Prozent Armeeausgaben. Nur Ruanda leistet sich im Verhältnis noch mehr, der Iran dagegen deutlich weniger.

Israel besitzt nicht nur Waffen, es exportiert auch viele. Ist das bereits einberechnet?

Nein, denn diese Kosten fallen in den Importländern an. Deutschland führt übrigens viel mehr Rüstungsgüter aus. Historisch hat Israel durch das Hinzukommen der US-amerikanischen Militärhilfe seit den siebziger Jahren plötzlich mehr Waffen produziert, als es selbst benötigt. Das besondere an der heutigen Exportindustrie ist, daß sie sich auf Technologien für die innere Sicherheit spezialisiert hat, also Überwachungstechnik, biometrische Erkennung, Datenauswertung und Mittel zur Aufstandsbekämpfung. In ihrer Außenwerbung rühmen sich die Firmen mit der Tatsache, daß ihre Technologie an menschlichen Versuchskaninchen in den besetzten Gebieten und im Libanon erprobt ist. Das macht sie zum Verkaufsschlager.

Wie eng sind Armee und private Sicherheitsfirmen verquickt?

Es gibt das Beispiel des früheren Generals Gal Hirsch, der für den erfolglosen Libanon-Krieg 2006 schwer in der Kritik stand. Nachdem er das Militär verlassen mußte, ging er 2008 nach Georgien und bereitete dort den Krieg gegen russische Truppen in Abchasien und Südossetien vor. Dabei soll er Kenntnisse und Techniken aus dem Libanon-Konflikt genutzt haben. Die Rolle Israels im russisch-georgischen Krieg ist bis heute nicht geklärt.

Der Spruch »Preußen hat keine Armee, Preußen ist eine Armee« gelte auch für Israel, wird häufig gesagt. Gibt es dafür Belege?

Jeder Besucher des Landes wird sich zunächst darüber wundern, daß so viele Schußwaffen im Straßenbild zu sehen sind. Es gibt eine Kampagne der Friedensorganisation »New Profile«. Unter dem Slogan »Pistole auf dem Küchentisch« informiert sie darüber, daß viele private Sicherheitsleute ihre Waffe mit nach Hause nehmen und eines Tages gegen Familienangehörige einsetzen.

Es gelingt einfach nicht, die Gewalt, die gegen Palästinenser ausgeübt wird, im zivilen Leben einzudämmen. Wer es gewöhnt es, Konflikte so zu lösen, setzt das im Privaten fort.

Wie sieht es in den Außenbeziehungen aus? Das US-Verteidigungsministerium warnt vor einem israelischen Angriff auf den Iran.

Premierminister Benjamin Netanjahu hat in der Armee keinen hohen Posten ausgefüllt, er übt sich aber gerne in kriegerischer Rhetorik. So nutzt er Angst, um sich im Wahlkampf zu profilieren. Die Furcht vor dem Iran war ein Hauptgrund, warum er Regierungschef werden konnte. Er verspricht sich einen politischen Vorteil davon, den Iran anzugreifen. Es gibt aber Widerspruch von den Profis, also den Militärs, die keine Abenteuer wollen. Das äußert sich über Journalisten, die deren Position in die Öffentlichkeit tragen. Eine der wichtigsten Angriffswaffen sind übrigens U-Boote aus deutscher Produktion.

Interview: Mirko Knoche

* Aus: junge Welt, 10. Februar 2012


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