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Rüstungsgeschäfte

Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung 2000

Die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung, das jährliche Stelldichein der Rüstungsproduzenten aller Herren Länder, fand Anfang Juni 2000 in Berlin statt. Sogar Formationsflüge waren wieder im Programm. Die Rüstungsproduzenten, die zum Teil auch zivile Güter verkaufen (obwohl bei Luftfahrzeugen die Übergänge fließend sind), trafen sich mit Interessenten, d.h. Militärs und ihrer politischen Vertreter. Proteste der Friedensbewegung - es gab sie - wurden von der veröffentlichten Meinung kaum wahrgenommen. Wir dokumentieren einen Hintergrundbericht aus der "jungen welt".

Berlin- Brandenburg: Der Eurofighter und seine Gegner

Der Schauflug des Eurofighter ist eine der Hauptattraktionen der diesjährigen Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA). Kein Zuschauer auf dem Südgelände des Flughafens Berlin-Schönefeld wird den markerschütternden Krach vergessen, mit dem das als »Taifun« bezeichnete Kampfflugzeug durch die Wolken rast. Der Prototyp von DaimlerChrysler Aerospace, der in Rückenlage gerade mit dem Cockpit nach unten über die Zauschauerreihen fegt, ist nach Angaben der Veranstalter besonders im Bereich zwischen einfacher und doppelter Schallgeschwindigkeit »besonders wendig«. Am Schluß der Vorführung schraubt der britische Testpilot die Maschine noch einmal in den Himmel und donnert, lange Kondensstreifen an den Flügelspitzen hinter sich herziehend, noch einmal drohend auf die Gäste zu.

Dieses Ding, so die Botschaft, sollte man nicht zum Feind haben, also kaufen. Selbst Griechenland hat für 2005 schon mal 60 Eurofighter bestellt, Norwegen will bis 2010 für 2,6 Milliarden Mark gut 30 dieser Maschinen anschaffen. Über die Tatsache, daß ausgerechnet das Gastgeberland dieser weltgrößten Luftfahrtausstellung, so die Eigenwerbung, sich mit dem Kauf des hier so glanzvoll präsentierten Eurofighter über Jahre schwer tat, wird schamhaft verschwiegen. Das gehört unter Rot-Grün ja auch der Vergangenheit an.

Für den Messebesucher bietet ein britischer Schausteller eine Light-Version des Fluges an. Sechs Minuten lang kann man sich in eine dunkle Röhre in Form des Eurofighters setzen, auf den Bildschirm starren und durch das Rollen und Stampfen des Simulators das Gefühl eines Kampfpiloten nachempfinden. Ohne Waffeneinsatz, versteht sich. Der Eurofighter ist ein Friedensbringer. Am Ausgang werden die Taifuns als Pappmodelle zum Zusammenstecken verteilt.

Die hitzigsten Gefechte finden hinter den lackierten Kulissen der ILA statt. Im Katalog ist die russische Antonow 70 verzeichnet. Diese sollte künftig auch der deutschen Luftwaffe als Transportflugzeug dienen. Doch Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) widerrief eine bereits gemachte Zusage seines CDU-Amtsvorgängers Volker Rühe und beschloß, die Bundeswehr künftig mit dem Airbus A 400M zu bestücken. Den haben nämlich bereits die europäischen Bündnispartner Großbritannien, Frankreich und Spanien bestellt, da wollte Scharping nicht aus der Reihe tanzen.

Die Russen sind wütend, halten den Rückzieher für einen weiteren Beweis dafür, daß die Westeuropäer an einer Integration Rußlands nicht interessiert sind. Die Antonow blieb zu Hause im Hangar. Statt dessen lud die Moskauer Flugzeugindustrie zum ILA-Auftakt am Dienstag zu einer eilig einberufenen Pressekonferenz, um neueste Ergebnisse der jüngsten MiG-Testflüge zu präsentieren. Die fünfte Generation des legendären russischen Kampffliegers habe kürzlich ihren erfolgreichen Jungfernflug absolviert.

Doch das sind Nebenkriegsschauplätze. In Wirklichkeit will die europäische Rüstungsindustrie eher nicht die ehemaligen Sowjetmächte ausstechen, sondern die amerikanische Konkurrenz. Das Fachblatt Flug Revue bescheinigt europäischen Produkten wie dem Eurofighter, der Rafale der französischen Firma Dassault sowie dem schwedischen Gripen-Kampfflugzeug aus dem Hause Saab eine rosige Zukunft. Die europäischen Rüstungsbetriebe Eurocopter, Agusta und GKN Westland machen derweil auf dem Gebiet der Kampfhubschrauber den USA-Firmen Bell, Boeing und Sikorsky den Vorrang streitig. Die deutsche Bestellung von 80 Tiger-Kampfhubschraubern ab 2002 ist ein Triumph von Eurocopter gegen den Apache von Boeing. Die europäischen Waffenschmiede hoffen außerdem auf eine Serienbestellung des mit Agusta entwickelten Mehrzweckhubschraubers NH90. Das für die ILA geplante »Memorandum of Understanding« zwischen Deutschland, Frankreich, Italien und Holland wäre zugleich eine Garantie für den Absatz von bis zu 200 NH90.

»Die ILA wird in diesem Jahr der Schauplatz wichtiger Programm- und Beschaffungsentscheidungen sein«, bestätigte der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrt, Hans Eberhard Birke. Karl-Joachim Kierey, Geschäftsführer der Messe Berlin GmbH, wies auf die sich formierenden Zusammenschlüsse zur »Euro-pean Aeronautic Defence and Space Company« (EADS) hin. Das klingt wie die europäische Antwort auf das US-amerikanische SDI-Projekt. Tatsächlich schließen sich im Juli die Unternehmen DaimlerChrysler Aerospace, Aerospatiale Matra aus Frankreich und die spanische Construcciones Aeronautics zum weltweit ersten grenzüberschreitenden Luft- und Raumfahrtunternehmen zusammen. Mit dem darauf folgenden Börsengang von EADS erhalten Investoren die Möglichkeit, sich an Programmen wie Airbus, Ariane und Eurofighter zu beteiligen. Mit dem Konkurrenten Boeing werde man künftig »von gleich zu gleich« sprechen, hieß es aus der Unternehmensleitung.

Unter diesen Voraussetzungen werden selbst zivile Flugzeuge zu Kriegsmaschinen. »Airbus greift Boeing an«, kommentiert die bereits zitierte Flug Revue die Kampagne um den geplanten »Super Airbus« A3XX. 24 Milliarden Mark Entwicklungskosten muß die Airbus-Zentrale in Toulouse von der deutschen, französischen, britischen und spanischen Regierung zusammenbekommen, damit das für 650 Passagiere gedachte Riesenflugzeug in Hamburg montiert werden und den amerikanischen Boeing-Konzern das Fürchten lehren kann. Prompt hat die US-Konkurrenz angekündigt, noch in diesem Jahr ein eigene Verkehrsmaschine im XXL-Format zu entwickeln.

So gesehen ist es verwunderlich, wie zivil die fünfte ILA daherkommt. An einem Messestand kann man sich in einen Fallschirmgurt hängen lassen und mit einem Helmbildschirm das punktgenaue Landen üben. Das ist zwar »infolge neuer militärischer Anforderungen« kriegerisch gemeint, erinnert aber an ein Freizeitvergnügen. Der Ausbilder macht sich sogar über die vier Streifen auf der Schulterklappe eines Bundeswehrangehörigen lustig: »Das ist wohl der neue Dienstgrad Mannschaftsgeneral«.

Noch bis Donnerstag bleibt die ILA den Spezialisten von Presse, Militär und Industrie vorbehalten. Von Freitag bis Pfingstmontag steht sie dann der Bevölkerung offen. Auf dem Ausstellungsgelände, zwischen all den Militärmaschinen, wird gerade eine kleine Aquila-Propellermaschine von vier Leuten vorbeigerollt. Neben Segelflugzeugen und kleinen Düsenfliegern für reiche Geschäftsleute gibt es natürlich auch das Neueste zum Thema Raumfahrt. Im Jahr 2001 soll ein von Studenten gebauter Minisatellit mit einer Ariane-5- Trägerrakete ins All geschossen werden. Der 100 Kilogramm schwere Körper hat die Aufgabe, den Südpol des Mondes anzufliegen, »um dort nach Landeplätzen, möglichen Arealen für Mondstationen und lunaren Wassereisressourcen zu suchen«. Organisiert wird die Lehrmission vom Innsbrucker Institut für Astrophysik. Weitergehende Ziele verfolgt die »Mars Society Deutschland«, deren 700 Mitglieder auf ihrem Gründungskongreß in Colorado vor zwei Jahren beschlossen, sich für eine bemannte Expedition zum roten Planeten einzusetzen. Im Juli werden die Mars-Enthusiasten eine Test- Station in der kanadischen Arktis ausprobieren. Bis Sommer kommenden Jahres soll ein Mars-Rover entwickelt worden sein.

Das deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt erinnert daran, daß im Juli 2004 die vom US-Raumschiff Cassini transportierte europäische Sonde Huygens auf dem Saturnmond Titan zu landen versucht. Dies ist der einzige Trabant des Sonnensystems mit einer Atmosphäre.

Nur bei einem einzigen Projekt ist die Konkurrenz zwischen Rußland, Europa und den Vereinigten Staaten scheinbar vergessen. Die Internationale Raumstation (ISS) vereint alle Gegner in friedlicher Zusammenarbeit. Ein US-Labor schmiegt sich auf den Katalogbildern an ein russisches Modul, und eine europäische Forschungsstation hängt sich an beide. Zu schön, um wahr zu sein. Deshalb gibt es das Bild auch als 3D- Illustration, zu betrachten durch eine rote und grüne Brille.

Leif Allendorf

Aus: junge welt, 08.06.2000

Eine Presseerklärung zur Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung

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