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Deutsche Massenmörder

Das "Schwarzbuch Waffenhandel" von Jürgen Grässlin nimmt die Rüstungsindustrie ins Visier. Kleinwaffenproduzenten sind für die meisten Kriegstoten verantwortlich

Von Frank Brendle *

Heckler&Koch ist die tödlichste Firma Europas.« Jürgen Grässlin liebt deutliche Worte. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Friedensaktivist mit Rüstungsexporten. Im seinem »Schwarzbuch Waffenhandel«, das er in diesen Wochen auf einer Lesereise quer durch die Republik vorstellt, bündelt er eine Vielzahl von Informationen, die er im Lauf der Zeit angesammelt hat.

Lesungen im herkömmlichen Sinn gibt es bei Grässlin nicht. Der 55jährige Lehrer aus Freiburg im Breisgau hat eine Mission: Er unternimmt mit den Besuchern seiner Buchvorstellungen einen Parforceritt durch so viele Aspekte des Waffengeschäftes, wie man in einer Stunde kaum aufnehmen kann. Er stellt die Produktpalette der Rüstungsunternehmen vor. Er präsentiert »Täterbiographien«, sprich: er stellt Personen vor, die als Produzenten oder Lobbyisten am Rüstungsgeschäft verdienen, er belegt, welche Politiker die Hand über sie halten. Er zeigt die Wege, auf denen Waffen legal und illegal ins Ausland gelangen, und nicht zuletzt fragt er nach den Opfern.

Der Waffenschmiede Heckler&Koch im schwäbischen Oberndorf, die unter anderem das Bundeswehr-Standardgewehr G36 und die Maschinenpistolen MP5, 6 und 7 produziert, gilt Grässlins besondere Gegnerschaft. Nicht nur, weil er in der Nähe wohnt: Es sind die sogenannten Kleinwaffen, insbesondere Gewehre, und nicht etwa Großgerät wie Panzer oder Flugzeuge, die die meisten Kriegstoten produzieren. Grässlin rechnet vor, wie viele Kriegsopfer es weltweit jährlich gibt, wie hoch der Anteil deutscher Waffen weltweit ist (rund neun Prozent), um zum Resultat zu kommen, daß die schwäbische Firma schon mehr als zwei Millionen Menschen auf dem Gewissen hat.

Durch Grässlins Vortrag blitzt stets der moralische Appell, seine Informationen nicht nur zu konsumieren, sondern mit ihnen politisch zu handeln. Er selbst macht es vor: Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft. Als Kritischer Aktionär nervt er den Daimler-Vorstand regelmäßig mit Fragen nach den Folgen seiner Exporte. Vor zwei Jahren hat er den Aachener Friedenspreis erhalten, und seit neuestem ist er Sprecher der Aktion Aufschrei, einer Kampagne von 130 Organisationen, die das bedingungslose Verbot von Rüstungsexporten fordert.

Grässlin ist aber auch ein akribischer Sammler von Zahlen und Fakten, der sich durch 40 Jahre bundesdeutsche Rüstungsexporte gearbeitet hat. Am schlechtesten kommt dabei die Regierungszeit von SPD und Grünen weg, die das Exportvolumen in wenigen Jahren verdoppelten, auf über zwei Milliarden Euro, womit die BRD an dritter Stelle weltweit liegt. Wenn Grünen-Chefin Claudia Roth etwa vor laufenden Fernsehkameras die Tränen kommen, weil die Bundesregierung Panzer nach Saudi-Arabien liefern will, hält ihr Grässlin entgegen, daß unter »Rot-Grün« erstmals Scharfschützengewehre in das feudale Scheichtum exportiert worden waren.

Manchmal gelingt dem Aktivisten ein kleiner Coup, etwa, wenn er von H&K-Aussteigern mit Insiderinformationen versorgt wird. So hat er die Staatsanwaltschaft dazu bringen können, gegen die Firma zu ermitteln, weil er Belege dafür hat, daß sie illegal Gewehre und Ausbilder nach Mexiko geschickt hat. Das ist ungewohnt für Grässlin. Normalerweise ist er derjenige, der von der Industrie angezeigt wird, weil er für die Täter (auch die in der Politik) gerne mal den Begriff »Massenmörder« verwendet. Wer sie genauer kennenlernen will, ist mit dem Buch gut bedient.

Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient. Heyne Verlag München, 624 Seiten, 14,99 Euro. ISBN 978-3-453-60237-3

* Aus: junge Welt, Samstag, 25. Mai 2013


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