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Kirchen kritisieren Waffenexporte

Bundesregierung verweigerte Angaben zur Rüstungsausfuhr / Weltweit weniger Kriege

Von Olaf Standke *

Hohe deutsche Rüstungsexporte und unzureichende Transparenz der Bundesregierung kritisierte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) am Montag (13. Dez.) in Berlin. Obwohl sich die Zahl der Kriege auf 32 verringert habe, sei die Welt nicht friedlicher geworden, bilanziert die Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) in ihrem ebenfalls gestern vorgelegten Jahresbericht.

2009 hat die Bundesregierung 16 201 Einzelausfuhrgenehmigungen für deutsche Rüstungsgüter erteilt. Zwölf Monate zuvor waren es noch 15 458 mit einem Gesamtwert von 5,79 Mrd. Euro. Wie hoch die Summe im Vorjahr lag, konnte die GKKE in ihrem 14. Rüstungsexportbericht noch nicht sagen. Weder die Bundesregierung noch der Europäische Rat haben Zahlen und Werte über Exportgenehmigungen zur Verfügung gestellt. Damit sei ein vorläufiger Höhepunkt an fehlender Information und Transparenz erreicht, hieß es gestern in Berlin. »Skandalös« nannte das Prälat Karl Jüsten, der katholische GKKE-Vorsitzende.

Aus den Antworten der Bundesregierung auf Parlamentarische Anfragen erwartet die GKKE für 2009 jedoch ein anhaltend hohes Niveau der Kriegswaffenausfuhr. Die US-Studie »Conventional Arms Transfers to Developing Nations 2002–2009« beziffert die Rüstungstransfers im Vorjahr auf 2,8 Mrd. US-Dollar. Damit rangiert Deutschland hinter den USA und Russland auf Platz drei. Die Neuaufträge lagen danach bei 3,7 Mrd. US-Dollar. Nach Einschätzung des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI sorgten um 100 Prozent gestiegene deutsche Ausfuhren in insgesamt 55 Länder zwischen 2005 und 2009 für einen Anteil von elf Prozent am weltweiten Waffenhandel. Scharf kritisiert die GKKE dabei den Anstieg der gewährten Hermes-Kredite in Höhe von rund 1,92 Mrd. Euro gegenüber 21 Mio. Euro 2008. »Damit wird das Geschäftsrisiko zu Lasten des Steuerzahlers reduziert, was einer indirekten Subvention von Rüstungsausfuhren gleich kommt«, betont Prälat Jüsten.

Auch die Ausfuhrgenehmigungen für »Kleinwaffen« bewegen sich auf dem hohen Vorjahresniveau. Man wisse von Projektpartnern in der Entwicklungspolitik um ihre destabilisierende Wirkung. »Sie fordern uns zur Eindämmung auf. Solche Exporte sollte die Bundesregierung nur an Staaten genehmigen, die das UN-Kleinwaffenprogramm konstruktiv begleiten«, verlangt Prälat Bernhard Felmberg, der evangelische GKKE-Vorsitzende. »Sie gehören nicht in Konfliktregionen.«

Ihren Niederschlag finden diese Waffenlieferungen auch in den Kriegsbilanzen. Nach Untersuchungen der Hamburger AKUF hielt der Trend zu weltweit weniger bewaffneten Konflikten zwar an, verringerte sich deren Zahl doch nochmals um zwei auf nunmehr 32 und damit den niedrigsten Stand seit 1993. So wurde auch in Mali – ähnlich wie zuvor in Niger – der Konflikt mit den Tuareg-Rebellen beigelegt. Dies bedeute aber nicht, dass die Welt friedlicher geworden sei. Auch 2010 seien zahlreiche Konflikte gewaltsam, aber unterhalb der Kriegsschwelle ausgetragen worden. Wie in Zentralnigeria, wo islamische und christliche Milizen immer wieder Menschen der anderen Religionszugehörigkeit angriffen, oder im Süden Kirgistans zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit. Zugleich eskalierten langjährige Konflikte wie der Kampf der Ogaden in Äthiopien.

Die von organisierten Kämpfen am stärksten betroffenen Weltregionen waren dabei Asien, der Nahe und Mittlere Osten sowie Afrika mit jeweils zehn kriegerischen Konflikten – alles auch wichtige Märkte für Waffenexporte. Negativ verlief laut AKUF die Entwicklung 2010 vor allem in Jemen, wo neben dem Krieg mit den schiitischen Rebellen in der nordöstlichen Provinz Saada auch der Konflikt mit Al Qaida zum Krieg eskaliert sei.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2010


Tiefpunkte

Von Olaf Standke **

Die gute Nachricht zuerst: Die Zahl der Kriege ist weltweit weiter gesunken. Doch klangen die Hamburger Friedensforscher, die die Schlachtfelder analysieren, gestern keineswegs euphorisch. Nicht nur, weil 32 bewaffnete Konflikte noch immer 32 zu viel sind. Beteiligt sind immer mehr Nationen und es ziehen ganze Staatengruppen in den Krieg, wie es in einer aktuellen UN-Studie heißt. Allzu viele gewaltsame Auseinandersetzungen schwelen zudem unterhalb der Kriegsschwelle und können jederzeit eskalieren. Die niedrigste Kriegszahl seit 17 Jahren bedeutet also nicht unbedingt, dass die Welt friedlicher geworden wäre.

Für viele Länder vor allem in Afrika, Asien und Nahost ist die erhoffte Friedensdividende nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ausgeblieben. Was auch an jenen liegt, die mit Kriegswaffen den goldenen Schnitt machen. Dazu gehören in vorderster Front hiesige Waffenschmieden. Dank einer nur in politischen Sonntagsreden restriktiven Genehmigungspolitik hat sich Deutschland unter den Todeshändlern längst auf Platz 3 vorgearbeitet. Und die Bundesregierung hielt es nicht einmal mehr für nötig, der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung die erforderlichen Zahlen für ihren alljährlichen Rüstungsexportbericht zur Verfügung zu stellen. Während die im Fall der Fälle über Staatsbürgschaften vom Steuerzahler subventionierten Waffenlieferungen verantwortungslos hoch bleiben, ist dies ein Tiefpunkt auch in Sachen Transparenz.

** Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2010 (Kommentar)

Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE)
Joint Conference Church and Development (GKKE)
Für die Presse

Heftige Kritik der Kirchen: Noch immer keine amtlichen Zahlen zu Rüstungsexporten in 2009

Bonn/Berlin, 13.12.2010 - Weder die Bundesregierung noch das Generalsekretariat des Europäischen Rates haben die Zahlen und Werte über Rüstungsexportgenehmigungen in 2009 zur Verfügung gestellt. Damit sei ein vorläufiger Höhepunkt an fehlender Information, Transparenz und mangelnder Beteiligung im sensiblen Feld der Rüstungsexportpolitik erreicht, so die GKKE bei der Vorstellung ihres 14. Rüstungsexportberichts heute in Berlin.

Aus den Antworten der Bundesregierung auf Parlamentarische Anfragen im zurückliegenden Jahr erwartet die GKKE für 2009 ein anhaltend hohes Niveau für Rüstungsexportgenehmigungen Auf der Grundlage einer US-amerikanischen Studie muss für das nächste bzw. die nächsten Jahre von einer weiteren Steigerung aufgrund der hohen Zahl abgeschlossener Neuverträge ausgegangen werden.

Heftig kritisiert die GKKE den Anstieg der in 2009 gewährten Hermes-Kredite in Höhe von rund 1,92 Mrd. € gegenüber 21 Mio. in 2008. „Denn damit wird das Geschäftsrisiko von Rüstung exportierenden Firmen zu Lasten des Steuerzahlers reduziert: dies kommt einer indirekten Subvention von Rüstungsausfuhren gleich!“, so Prälat Jüsten, der katholische Vorsitzende der GKKE. Dieser enorme Anstieg erstaune gerade auf dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise.

Die Ausfuhrgenehmigungen für kleine und leichte Waffen bewegen sich etwa auf dem hohen Niveau des Vorjahres. „Wir kennen die destabilisierende und entwicklungshemmende Wirkung dieser Waffen auch aus der Schilderung unserer Projektpartner in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit, die uns auffordern zur Eindämmung der Kleinwaffenflut beizutragen. Derartige Exporte sollte die Bundesregierung nur an solche Staaten genehmigen, die das Kleinwaffenaktionsprogramm der Vereinten Nationen konstruktiv begleiten“, forderte Prälat Felmberg, der evangelische GKKE-Vorsitzende. Erfreut zeigte er sich über die Fortschritte, die im letzen Jahr bei der Ausarbeitung eines weltweiten Vertrag zur Kontrolle des Waffenhandels (Arms Trade Treaty, ATT) gemacht wurden und das Engagement der Bundesregierung für einen möglichst starken und umfassenden ATT.

Verwerfungen durch die internationale Finanzkrise bei Rüstungsherstellern und -abnehmern - sollten als Chance für Abrüstung und Rüstungskontrolle genutzt werden. Auch anstehende Kürzungen bei der Bundeswehr sollten nicht zur Lockerung bei den Ausfuhrgenehmigungen führen, wie es Rüstungshersteller fordern, darauf wies Dr. Moltmann, der Vorsitzende der GKKEFachgruppe hin. Denn Rüstungsausfuhren machten nur 1% des deutschen Außenhandels aus.

In der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) arbeiten der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) und die Deutsche Kommission Justitia et Pax zusammen. Vorsitzende: Prälat Dr. Bernhard Felmberg und Prälat Dr. Karl Jüsten.




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