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Milliardengrab Eurofighter 2000:

Eine unendliche Geschichte. Von Thomas Klein

Anfang Dezember 2000 ist es im Haushaltsausschuß des Bundestages zu einem wirklich bemerkenswerten Vorgang gekommen. Wie Uwe-Jens Rössel als PDS-Berichterstatter für den Verteidigungshaushalt erklärte, habe der Ausschuß fast »ins Blaue hinein«, gegen die Stimmen der Opposition, dem Abschluß eines Beschaffungsvertrages für die gemeinsam mit Großbritannien, Italien und Spanien zu entwickelnden Defensivavionik vom Typ »Eurodass« zugestimmt.

Nicht nur, daß sich dadurch wieder einmal immense »Nebenkosten« für das Rüstungsprojekt »Eurofighter 2000« auftaten und die Bewilligung zusätzlicher Mittel für ein von den jetzigen Berliner Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor noch nicht allzu langer Zeit abgelehntes Rüstungsprojekt zur Debatte stand: Auch die Entscheidungsgrundlage für die Ausgabe »von sage und schreibe drei Milliarden Mark«, so Rössel, war mehr als kurios.

Zu den Begleitumständen dieser Entscheidung gehörte, daß sich sowohl der Berichterstatter der SPD-Fraktion, Volker Kröning, als auch der Berichterstatter der bündnisgrünen Fraktion, Oswald Metzger, aufgrund eines vorliegenden, kritischen Berichtes des Bundesrechnungshofes ausdrücklich für die Absetzung der gemeinsamen Vorlage des Bundesfinanzministers und des Bundesverteidigungsministers ausgesprochen hatten. Dennoch sei es nur zu einer Verschiebung der Debatte um einen Tag gekommen. Obwohl sich dann nach neuen Beratungen an der unklaren Faktenlage »nichts Nennenswertes geändert hatte«, so der PDS-Mann, habe in einer neuen Ausschußsitzung die Mehrheit der SPD- und grünen Abgeordneten »die Freigabe von 2,929 Milliarden Mark für das System Eurodass durchgedrückt«.

Rössels Erklärung zu diesem bemerkenswerten Vorgang: »Die bei der Vorberatung anwesende Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, Brigitte Schulte (SPD), hatte bis zuletzt versucht, zumindest die Berichterstatter der Regierungskoalition zur Zustimmung für die Beschaffungsvorlage zu bewegen. Als dies nicht gelang, kündigte sie (...) andere Druckmittel an. Offenbar hatte sie damit auch Erfolg.«

Milliarden für ein »sinnloses Projekt«

Vor dem Regierungswechsel im Bund war es für SPD- und Bündnis 90/Die Grünen keine Frage: Der Eurofighter 2000, vormals als Jäger 90 in der Diskussion, ist aus verschiedenen Gründen abzulehnen. Bei den Grünen wurden in Oppositionszeiten sowohl sicherheits- als auch finanzpolitische Erwägungen gegen dieses milliardenschwere, für militärische Abenteuer out-of-area (also außerhalb des NATO- Bündnisses) gedachte Jagdflugzeug angeführt.

Auch die SPD-Bundestagsfraktion bezog bis kurz vor dem Regierungwechsel noch eindeutig Position gegen dieses Rüstungsvorhaben. Zur Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1998 legte die SPD-Fraktion einen aus heutiger Sicht erstaunlichen Änderungsvertrag zum Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums vor. Darin begründeten »Rudolf Scharping und Fraktion« ausführlich, daß die Mittel für die Beschaffung des Waffensystems Eurofighter 2000, mit einem Ansatz von 847 Millionen Mark für 1998, sowie Verpflichtungsermächtigungen von 23,315 Milliarden Mark gestrichen werden sollten.

Die Begründung liest sich schlüssig: Obwohl die SPD- Bundestagsfraktion »den Jäger 90 und den Eurofighter 2000 in zahlreichen Anträgen immer wieder abgelehnt« hätten, versuche nun die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung das umstrittene Projekt weiter voranzutreiben und »Fakten zu schaffen«. Das sei aus mehreren Gründen zu verurteilen. Aus finanzpolitischer Sicht berge dieses Projekt ungeheure Risiken: »Die Bundesregierung nennt 23 Milliarden Mark, der Bundesrechnungshof prognostizierte 30 Milliarden Mark oder mehr an Kosten«. Die für eine so weitreichende Entscheidung maßgeblichen Lebenswegkosten des Eurofighters beliefen sich nach Angaben des Bundesrechnungshofes sogar auf sage und schreibe 87 Milliarden Mark.

Auch die sicherheitspolitische Begründung für die Anschaffung von neuen Jagdflugzeugen vom Typ Eurofighter sei nicht erbracht. Schließlich gebe es neben dem Eurofighter »zwei weitere europäische Flugzeuge, nämlich die schwedische Gripen und die franzöische Rafale, und darüber hinaus die amerikanischen Flugzeuge F-18 und F-22«. Außerdem werde bei dem Rüstungsvorhaben ganz außer acht gelassen, so Rudolf Scharping und Fraktion, »daß die Öffnung der NATO - und die damit verbundene geographische Erweiterung« nicht berücksichtigt werde.

Ein in der Tat entscheidender Punkt. Den Eurofighter- Befürwortern war angesichts der Entwicklung in Europa die Legitimationsbasis komplett entzogen worden. Einige Zeit mußte schlicht in den luft- bzw. »feindleeren« Raum hinein geplant werden. Der Friedensforscher Michael Brzoska brachte es während dieser Entwicklungsphase des Projekts so auf den Punkt: »Die Bedrohung aus dem Osten gibt es nicht mehr, eine andere militärische Bedrohung deutschen Territoriums ist nicht in Sicht. Die Luftwaffe hat sowieso zu viele Flugzeuge für ein abgerüstetes Europa. Die 300 MRCA- Tornados (MRCA steht für Multi Role Combat Aircraft - T.K.), die die Bundeswehr für das Bombenwerfen in der DDR, in Polen, der CSFR und in der westlichen Sowjetunion vorgesehen hatte, sind ohne Aufgabe. Man könnte sie auch als Abfangjäger einsetzen.«

Rühe: Der Jäger 90 ist tot

Kaum weniger deutliche Worte wählte Volker Rühe 1992 bei seinem Einstand als Verteidigungsminister im Kabinett Kohl: »Der Jäger 90 paßt nicht mehr in unsere Zeit. In einer Demokratie kann man langfristig nur das durchsetzen, was man gut begründen kann. Der Jäger 90 ist tot.« In Zeitungskommentaren wurde der neue CDU-Minister daraufhin gelobt als ein Mann, der einen notwendigen und längst überfälligen Schritt getan habe. Doch dieses Bild hielt sich nicht lange: Volker Rühe als ein forsch auftretender Minister, der schier allmächtigen Industriebossen die Stirn bietet und insbesondere dem schon seinerzeit größten Unternehmen Deutschlands, Daimler-Benz, (dessen Tochter DASA Mitproduzent des neuen Jagdflugzeugs ist), Grenzen aufzeigt. Zwar sinnierte Rühe auch noch im Mai 1992 über Sinn und Unsinn des Rüstungsprojekts: »Ich bin skeptisch, ob man angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage diesen Supervogel braucht«, - aber nach und nach zeigte sich, daß der so forsch ins Amt gestartete Minister den Mund zu voll genommen hatte. Mit zunächst vorsichtigen Absetzbewegungen von dieser Position vollzog Rühe im Lauf des Jahres eine Kehrtwende um 180 Grad.

Während ein als unzeitgemäß und nicht finanzierbar eingestuftes Rüstungsvorhaben für tot erklärt worden war, flossen gleichzeitig weiterhin Millionenbeträge in dessen Entwicklung: Daimler-Benz reichte genau in dieser Zeit für die von der Industrie, allen anderslautenden politischen Willensbekundungen zum Trotz, fortgeführte »Jäger-90- Entwicklung« deftige Rechnungen ein. Für den Rüstungsgegner und Sprecher der Kritischen AktionärInnen bei Daimler eine ungeheure Dreistigkeit: »Mit der Begründung, noch seien >keine verbindlichen Verträge ausgehandelt< kassierte der Konzern weitere Millionen ab.« Tatsächlich sollte es noch einige Zeit dauern, bis »verbindliche Verträge« ausgehandelt wurden.

Vorerst begnügte sich die Bundesregierung damit, Gelder in die Entwicklungsphase zu stecken. Immerhin wollte der mit großen Ankündigungen ins Amt gestartete Verteidigungsminister wenigstens noch einen kleinen Erfolg verbuchen: Die Vorgabe an die Industrie lautete nun: Begrenzung der Kosten - nicht mehr als 90 Millionen Mark pro Stück dürfe am Ende zu Buche schlagen.

Doch auch hier hatte der auf einmal gar nicht mehr so forsche Minister Rühe den Mund zu voll genommen. Nachdem die CSU-Staatssekretäre Erich Riedl und Holger Pfahls, beides wichtige Rüstungslobbyisten in Bonn, dem Minister öffentlich Unfähigkeit in Fragen militärtechnischer Notwendigkeiten unterstellten, und Daimler-Chef Schrempp mit der Schließung ganzer Werke drohte, vollzog sich die wundersame »Wiedergeburt« eines scheintoten Supervogels.

Bundesverfassungsgericht: Neue Feinde in Sicht

Im Dezember 1992 fiel eine weitreichende Entscheidung: Die Verteidigungsminister der an dem Projekt beteiligten Länder Großbritannien, Deutschland, Italien und Spanien beschlossen eine »Reorientierung der Programme für ein neues europäisches Jagdflugzeug«. Die Rüstungslobby hatte sich durchgesetzt - aus dem Jäger 90 war der »Eurofighter 2000« geworden. Daß die neuen Jagdflugzeuge in den Folgejahren alle vom Bund vorgegebenen finanziellen Obergrenzen stets mühelos sprengten, von den 90 Millionen Mark pro Stück schon bald niemand mehr redete, war für die Bundesregierung nach diesem Beschluß aus dem Jahr 1992 kein Anlaß mehr, das Projekt nochmals grundsätzlich in Frage zu stellen.

Im Juli 1997 warf der Geschäftsführer der CSU- Landesgruppe im Bundestag, Eduard Oswald, dem grünen Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei, der öffentlich mehrfach den Ausstieg aus dem Projekt forderte, »grüne Panikmache mit überzogenen Kostenangaben« vor. Nachtwei wolle nur »Stimmung machen«. Der Abgeordnete hatte u.a. in einem Interview mit dem Autor dieser Zeilen deutlich Stellung bezogen: Es sei den Menschen immer weniger zu vermitteln, »warum wir angesichts ständiger Sozialkürzungen ein milliardenteures Jagdflugzeug brauchen. Warum muß sich die Bundeswehr teure Kampfmaschinen zulegen, wenn wir von >Freunden umzingelt< sind und keine Luftwaffe der Welt die NATO ernsthaft in Bedrängnis bringen könnte? Die Vernunft gebietet, dieses Rüstungsprojekt abzulehnen«.

Doch die militärische Vernunft der CDU/CSU/FDP- Koalition hatte sich in der Zwischenzeit in eine Richtung »weiterentwickelt«, die neue Perspektiven für das überflüssig gewordene Jagdflugzeug eröffnete. Denn der einstmals u.a. von Michael Brzoska und anderen in der Friedensforschung tätigen Rüstungsexperten vorgebrachte Einwand, »die Luftwaffe braucht einfach keine neuen Abfangjäger, zumindest solange Einsätze >out-of-area< politisch nicht durchgesetzt sind«, hatte unter Rühe nicht länger Bestand. Nachdem im Juli 1994 das Bundesverfassungsgericht entsprechende Einsätze rechtlich »absegnete«, war der entscheidende Durchbruch erzielt: Deutsche MRCA-Tornados waren ab Mitte der neunziger Jahre im Luftraum über dem Balkan, also außerhalb des NATO-Gebietes im Einsatz. Die »Sinnkrise«, die ganz offensichtlich zu Beginn der neunziger Jahre bestand, löste sich »out-of-area« auf. So wie gestern Tornados »out-of-area« im Einsatz waren - unter Schröder, Fischer und Scharping zum ersten Kriegseinsatz seit 1945 -, sollen morgen »Eurofighter« in anderen Regionen der Welt eingesetzt werden.

Die »Kontinuität der Außenpolitik« (Joseph Fischer) machte es möglich: Die Kündigung der Verträge mit der Industrie, der Ausstieg aus dem Projekt »Eurofighter«, war nach der Bundestagswahl 1998 kein Thema mehr - schließlich sind weltweite Einsätze der Bundeswehr auch unter der neuen Regierung beschlossene Sache - und »moderne Jagdflugzeuge« (Eduard Oswald) sind inzwischen auch von Scharping gerne gesehen.

Die »Nebenkosten« irritieren allerdings bis heute noch einige Parlamentarier in der Regierungskoalition. Was diese aber nicht daran hinderte, Milliarden für das einst als »Wahnsinnsprojekt« titulierte Vorhaben zu bewilligen. Wahrhaftig ein »Wahnsinnsprojekt«!

Der Eurofighter ist ein »löchriger Eimer«

In der Friedensforschung unstrittig ist, daß neben den finanzpolitisch katastrophalen Auswirkungen auch die sicherheitspolitischen Argumente der Eurofighter-Befürworter einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Besonders bemerkenswert ist das, was der ehemalige britische Verteidigungsminister, ein halbes Jahr bevor im Bundestag die Anschaffung der neuen Jagdflugzeuge beschlossen wurde, zum Eurofighter verkündete: »Es handelt sich um kein effektives Waffensystem, das außerdem zu Zeiten des Kalten Krieges erdacht worden war und dessen Bedarf von den Ereignissen überholt wurde. Der Eurofighter wird als Arbeitsbeschaffungsprogramm präsentiert - ich habe immer etwas Sympathie für keynesianische Ethik, doch sollten weniger ausgefallene Wege gefunden werden, um Leute für löchrige Eimer zu bezahlen. Wir brauchen diese Flugzeuge nicht«. (Allan Clark im Juli 1997 vor dem britischen Unterhaus)

Der »bare Aberwitz«

"24 Milliarden zur Bekämpfung einer Phantom-Malaise - das ist der bare Aberwitz. Die geballte rote Faust, auf die verweisend Militärs zwischen Elbe und Rhein einstmals Schrecken verbreiten konnten, ist längst amputiert, der Warschauer Pakt Makulatur geworden, aber die Milliarden für den Eurofighter werden weiter budgetiert. Schulen? Krankenhäuser? Stützung der Sozialausgaben? Ein paar Milliarden mehr für die Kultur? Papperlapapp! Der Euro will fighten - gegen wen, das spielt keine Rolle." (Inge und Walter Jens, in: Die Zeit, 28. Februar 1997)

Die Grünen zeigen sich einsatzfähig

Nicht nur Winfried Nachtwei, auch die grüne Abgeordnete und militärpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Angelika Beer, sprach sich immer wieder gegen das Rüstungsprojekt aus. Am 26. November 1997, dem Tag, als in Bonn mit den Stimmen der CDU/CSU- und FDP-Fraktion die Anschaffung der Flugzeuge beschlossen wurde, erklärte sie: »Der Eurofighter ist nicht nur sicherheitspolitisch überflüssig, sondern auch friedenspolitisch schädlich. Der Eurofighter ist nicht zu verantworten; er muß gestoppt werden.«

Fast auf den Tag genau drei Jahre später hört sich das so an: »Wir werden dafür Sorge tragen, daß der Eurofighter nicht nur steht, sondern daß er auch fliegen kann und einsatzfähig ist.« (Angelika Beer laut Bundestagsprotokoll vom 29. November 2000)

Aus: junge welt, 6. Januar 2001


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