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Supermarkt für Killer

Verhaltener Jubel: EADS und BAE Systems wollen zusammengehen. Es soll der größte Rüstungskonzern der Welt entstehen

Von Stephan Müller *

Der Jubel über die angekündigte Fusion von EADS und BAE Systems zum weltgrößten Rüstungskonzern ist verhalten. Normale Menschen mögen keine Waffenhändler, das ist klar. Aber auch Börsen, Banken, Regierungen und deren Übersetzer in den Medien reagieren nicht gerade euphorisch.

Der gleiche Thomas »Tom« Enders, der jetzt Chef des neuen Konzerngiganten werden möchte, hatte schon 1999 versucht, den Deal hinzubekommen und war gescheitert. Damals agierte der Manager als Leiter der Konzernentwicklung (»Corporate Development«) von Daimlers Rüstungstochter DASA – und mußte die Gespräche mit der British Aerospace, also dem Vorgänger von BAE, ergebnislos abbrechen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD; »Enttabuisierung des Militärischen«) durfte dann im Jahr 2000 die European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) für Daimler aus der Taufe heben, in der die DASA, die französische Rüstungsfirma Aérospatiale Matra und die spanische CASA aufgingen. In dem Konstrukt wurden die deutschen und französischen Kapital- und Staatsinteressen fein austariert. Spanien blieb als fünftes Rad am Wagen dabei. Die Interessen der BRD wurden offiziell von Daimler vertreten, was zunächst praktisch erschien. So ist das im Prinzip heute noch, nur hat der Stuttgarter Konzern das damals angestrebte Konzept des rüstungsintensiven »integrierten Technologiekonzerns« mit einem Auto- und einem Luft- und Raumfahrtflügel aufgegeben. Außerdem ist er, was seine Eigentümerstruktur betrifft, nicht mehr direkt an die Deutsche Bank gekoppelt. Das erschwert die Vermittlung zwischen den Interessen der deutschen Großbourgeoisie und den kurzfristigen Profitzielen der Daimler-Aktionäre. Der Konzern drängt also seit einiger Zeit darauf, aus der EADS-Konstruktion auszusteigen – und Enders darf wieder an die Fusionsfront.

EADS weist rund 60 Milliarden US-Dollar Umsatz aus und gliedert sich in die Bereiche Airbus, Eurocopter und den Raumfahrtbereich Astrium – mit jeweils zivilen und militärischen Komponenten – und den Rüstungsbereich »Cassidian« im engeren Sinne. Cassidian stellt zum Beispiel den Eurofighter »Typhoon« her, aber auch Drohnen und elektronische Waffensysteme. Im Gegensatz zu BAE Systems produziert der deutsch-französische Konzern aber keine Panzer und Kriegsschiffe. EADS beschäftigt etwa 130000 Mitarbeiter.

British Aerospace konzentrierte sich nach der abgesagten Fusion von 1999 auf die Rüstung mit Schwerpunkten im »Heimatmarkt«, den USA und Saudi-Arabien. 2006 verkäußerten die Londoner ihren 20prozentigen Airbus-Anteil, um sich in den größten Rüstungsmarkt der Welt, USA, einzukaufen. Heute sind bei der inzwischen in BAE Systems umfirmierten Gesellschaft in den Vereinigten Staaten rund 40000 Menschen beschäftigt, das ist etwa die halbe Belegschaft des Konzerns. Auch die Hälfte des derzeitigen Weltumsatzes von knapp 30 Milliarden US-Dollar kommt aus den USA.

Zusammen würden EADS und BAE etwa zur Hälfte zivile und militärische Waren produzieren – ähnlich wie der Hauptkonkurrent Boeing. Nur mehr: Mit etwa 80 Milliarden US-Dollar Umsatz wäre der fusionierte Konzern größer als die derzeitige Nummer eins Boeing, vor allem aber der weltgrößte Rüstungskonzern.

Warum sollte nun 2012 eine Fusion gut sein, die 1999 nicht gewollt wurde? Dafür gibt es natürlich strategische Gründe, begründet in der Kräfteverschiebung zwischen dem deutschen, dem britischen, dem französischen und dem US-Imperialismus. Zunächst aber haben sich die Gewinnaussichten der jeweiligen Aktionäre verändert. Der Militäretat Washingtons war 2011 mit 711 Milliarden US-Dollar der mit weitem Abstand größte der Welt. Die Ausgaben des britischen, des deutschen und des französischen Staates für Kriegsgerät und Militär zusammen kamen dagegen auf umgerechnet »nur« 173 Milliarden US-Dollar. EADS hat es zudem nicht geschafft, größere US-Bestellungen zu bekommen. Die Order zur Erneuerung der US-Lufttankerflotte, die mit Anschlußaufträgen auf ein Volumen von 30 bis 50 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, ging an Boeing. Dabei war sie EADS schon zugesagt, doch dann ging sie nach spektakulären politischen Winkelzügen wieder an den Konkurrenten.

Andererseits verdüstern sich die Profitaussichten für die – ausschließlich privaten – BAE-Aktionäre gerade durch die einseitige Ausrichtung auf den in den Jahren ab 2000 so profitablen US-Rüstungsmarkt. Die ausufernden heißen Kriege, die das Pentagon in aller Welt führt, und die die NATO-Alliierten immer unwilliger mitfinanzieren, haben nicht unwesentlich zur Verschuldung der USA beigetragen. Die Obama-Regierung versucht nun, wie schon die Administrationen der Nach-Vietnam-Zeit, die heißen konventionellen Scharmützel durch billigere »kalte«, CIA-gesteuerte Kriege zu ersetzen. Für die findet man eher Verbündete zur Mitfinanzierung.

Dem US-Militärbudget droht eine Kürzung um 500 Milliarden Dollar über die nächsten zehn Jahre – was eigentlich verfassungsmäßig als Schuldenbremse vorgesehen ist, wohl aber nicht ganz umgesetzt wird. Das Wachstum der Ausgaben in den Jahren der Regierung George W. Bush dürfte für BAE also Vergangenheit sein. Gleichzeitig kommen durch die europäische Staatsverschuldung zur Bankenrettung auch dort die Rüstungsbudgets unter Druck. EADS muß neue Exportmärkte auftun.

Im Moment ist nicht abzusehen, welchen Ausgang das Feilschen um den größten Hersteller von Tötungstechnologie der Welt haben wird. Nach den britischen Börsenregeln müssen die Akteure bis zum 10. Oktober definitiv sagen, ob sie die Fusion wollen. Ein Gespenst geht um in Europa. Früher hieß das Krupp. Die damaligen Panzerkreuzer heißen heute womöglich Airbus Military A400M.

* Stephan Müller schreibt u.a. für die Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ) und Theorie und Praxis.

Aus: junge Welt, Samstag, 22. September 2012


"Krise als Chance"

Von Stephan Müller **

Mit der geplanten Fusion der Rüstungsgiganten EADS und BAE Systems würde das immer schwerer zu haltende Nachkriegskräfteverhältnis zwischen den imperialistischen Großmächten geändert. Andreas Wehr hat auf diese Entwicklung am 18. September in dieser Zeitung hingewiesen. Seit den Zeiten Konrad Adenauers braucht der wirtschaftliche Riese Deutschland die schwächere Siegermacht Frankreich, um militärisch »auf Augenhöhe« mit dem Weltpolizisten USA reden zu können. Die politische Leitfigur des deutschen Revanchismus, der CSU-Mann Franz Josef Strauß, wußte, daß es auf die Luft- und Raumfahrtindustrie und die Atombombe ankommt. »Man muß mit den Amis gehen, solange man noch nicht wieder Manns genug ist«, war seine – und Adenauers – Devise. Der Anlauf zur Weltmacht brauchte Umwege über Paris: Das erste Mal mit Schlieffens Plan und das zweite Mal mit noch größerer verschlagener Raffinesse, im Einklang mit einem Teil der von der Volksfront bedrohten französischen Monopolbourgeoisie und einem »Drôle de guerre« (komischen Krieg), sind schiefgegangen. Diesmal tritt man bescheidener auf. Die Mehrheit des neuen Rüstungsgiganten, mit dem man »Manns genug« werden will, soll – zunächst – bei französischen und britischen Interessengruppen bleiben. An diesem »Zunächst«, den Vertragsklauseln mit der Option auf deutsche Kontrolle, sind bisher derartige Konstruktionen gescheitert. Die Verhandlungen werden kompliziert durch die Rücksichtnahme auf den rechten Flügel in der deutschen Bourgeoisie.

Für die BRD-Regierung sondiert der Leiter der Wirtschaftsabteilung im Bundeskanzleramt, Lars-Hendrik Röller, ein Vertrauter der DAX-Konzerne mit EU-Hintergrund (siehe jW vom 16. Juni 2011) das Terrain. Der muß für Frau Merkel herausfinden, wohin sich die Waage der Kapitalkraft beim geplanten Deal neigt. Inzwischen darf ihr unbedarfter, aber williger Luftfahrtkoordinator, Expfarrer Peter Hintze, die Bedenken der offenen Reaktionäre vortragen. Während Hintze versucht, Pflugschare und Socken auseinanderzuhalten, kann Röller über seinen Brüsseler Thinktank Bruegel die Stimmung im französischen und US-Großkapital erkunden und den deutschen Konzernerben und Entscheidungsträgern die Vorzüge des Merkel-Mottos »Krise als Chance« erläutern. Der deutsche Krise-als-Chance-Aasgeier-Imperialismus breitet seine Flügel aus. Zu viele Linke schauen noch zu und erträumen sich ein ökologisch-sozial-demokratisches Europa.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. September 2012 (Gastkommentar)


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