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"Seelöwen" lernen das Fliegen nicht

Der ganz normale Rüstungswahn: EADS liefert untaugliche Hubschrauber und droht mit Arbeitsplatzabbau

Von René Heilig *

Was sich im Sommer beim Skandal um die Aufklärungsdrohne Euro Hawk angedeutet hat, ist nun beim Einsatz des NH90-Hubschraubers klar geworden: EADS kann mehr als einen Skandal produzieren.

Der Vorstandsvorsitzende von EADS, Thomas (Tom) Enders weiß, wie es geht. Gegenüber der »Süddeutschen Zeitung« erklärte er, warum man den Konzern, insbesondere die Rüstungssparte Cassidian samt militärischem Anteil von Airbus umbauen muss. Dabei sei zu bedenken, »dass wir in den vergangenen Jahren gerade in Deutschland erhebliche Auftragsvolumina verloren haben. Hier handelt es sich um Milliardenbeträge!« Die Einschränkungen betreffen neben der Euro-Hawk-Drohne das Transportflugzeug A400M, den Eurofighter sowie Hubschrauber.

Der Konzernchef meint mit Einschränkungen weniger die verminderten Leistungsparameter der Erzeugnisse als vielmehr die abgesenkten Stückzahlen. Ungeniert droht der Pfuschlieferer: »Was an den deutschen Standorten passiert, hängt im Wesentlichen von der Auftragslage in Deutschland ab.« Die ist nicht schlecht, doch bei weitem nicht so gut, wie EADS sich das wünscht. Das Verteidigungsministerium hat im Zuge der Bundeswehrreform den Kauf von zu viel bestellten Kampfhubschraubern »Tiger« und NH90-Transportern storniert. Minister Thomas de Maizière (CDU) traf sich höchstselbst mit Tom Enders und verabredete einen Deal: Die EADS-Tochter Eurocopter liefert 63 »Tiger« und NH90 weniger, bekommt aber dennoch fast die gesamte für 202 Hubschrauber vereinbarte Summe von acht Milliarden Euro ausgezahlt. Dafür erhält die Marine zusätzlich 18 Hubschrauber des NH90 »Sea Lion« im Wert von 915 Millionen Euro. Für 22 weitere wurde eine Option vereinbart.

Wäre der neu gewählte Bundestag schon arbeitsfähig, müssten sich Verteidigungs- und Haushaltsexperten spätestens jetzt dringend mit diesem Rüstungsskandal befassen. Einige der wenigen, Jahre verspätet ausgelieferten NH90-Maschinen sind in Afghanistan eingesetzt. Nicht zur Freude der Soldaten, denn sie verursachen gravierende Probleme. Neben konstruktiven Mängeln sind es oft nur technische Kleinigkeiten, die Unfälle provozieren und die Einsatzbereitschaft der Helikopter einschränken. Doch gerade die ist nach dem Abzug der US-MedEvac-Hubschrauber, die bislang den Transport verletzter Bundeswehrsoldaten übernommen hatten, wichtiger denn je. Doch der deutsche NH90-Helikopter bietet mehr Schein als Sein.

Auch die deutschen Seestreitkräfte erwarten dringend Hubschrauber, denn die bislang eingesetzten Seaking-Helikopter sind flügellahm. Es gibt kaum noch Ersatzteile für sie und so kostet eine Flugstunde rund 26 000 Euro. Der Vorrat schmilzt. Es gelingt nicht einmal mehr, zu jeder Zeit die drei geforderten Hubschrauber für die Seenotrettung bereitzustellen.

Besserung sollte der NH90 »Seelöwe« bringen. Doch die Hoffnung ist trügerisch. Erstens, weil die Kosten pro Flugstunde gleich bleiben. Zweitens, weil der neue Hubschrauber wesentlich weniger kann als der alte. Sorgenvoll studieren die Marinetechniker die Erfahrungen der Kollegen vom Heer. Dort braucht man 170 Wartungsstunden, um den NH90 für nur eine Stunde in die Luft zu schicken.

Und dort erfüllt der »Sea Lion« simple Anforderungen nicht. Beispiel: das Abseilen von Boarding-Teams. Um beispielsweise Piratenboote rasch zu entern, müssen sich in schneller Folge Marinesoldaten abseilen. Doch der dafür vorgesehene Ausleger der Maschine hält das Gewicht der ausgerüsteten Soldaten nicht aus. Was nicht weiter schlimm ist, denn auch die im Hubschrauber installierten Sitze schaffen die geforderte Last von 110 Kilogramm nicht. Von U-Boot-Such- und -Bekämpfungsfähigkeiten des neuen Hubschraubers ist schon lange nicht mehr die Rede.

Doch nicht nur auf dem Militärsektor hält EADS die Hand auf. Gerade ist der Streit um einen Millionenkredit für die A350-Entwicklung neu entbrannt. Das Darlehen für die Anschubfinanzierung über 1,1 Milliarden Euro war 2010 vereinbart worden. Rund 500 Millionen Euro waren noch im selben Jahr ausgezahlt worden. Nun drängt der Flugzeugbauer die neue Bundesregierung, die Restsumme zur weiteren Erprobung des Langstreckenflugzeugs freizugeben.

Die EADS-High-Tech-Gruppe ist mit über 140 000 Mitarbeitern an weltweit über 170 Standorten globaler Marktführer in den Bereichen Luft- und Raumfahrt sowie Verteidigungstechnik.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 30. Oktober 2013


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