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Ungebremster Rüstungswettlauf in Asien – China und die USA kämpfen um ihre Vormachtstellung

Interview in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" mit Prof. Michael Brzoska


Musch-Borowska (Moderation):
In Asien hat ein neuer Rüstungswettlauf begonnen. Wie das internationale Friedensforschungsinstitut SIPRI in Stockholm in seinem Jahresbericht 2011 festgestellt hat, lagen die Militärausgaben weltweit bei rund 1.800 Milliarden US-Dollar. Während in Europa und den USA die Rüstungsausgaben faktisch etwa gleich geblieben sind, gab es in Asien einen deutlichen Anstieg. Ich fragte Prof. Michael Brzoska, vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, nach dem Grund für diese Entwicklung:


Interview Bernd Musch-Borowska / Michael Brzoska

Brzoska: Ich denke mal, es hat vor allen Dingen wirtschaftliche Gründe. Es liegt vor allen Dingen daran, dass die Volkswirtschaften in China und Indien, aber auch in anderen Staaten Südostasiens mit hohen Wachstumsraten größer werden, und deswegen auch die Möglichkeiten, Geld für das Militär auszugeben, verbessert worden sind. Und das zeigt sich dann in den Militärausgaben, aber auch in den Rüstungsbeschaffungen. Es kommt hinzu, dass vor allen Dingen China und Indien durchaus auch geopolitische Interessen haben, ihr Einflussgebiet erweitern wollen. Das sehen wir im Moment vielleicht stärker bei Indien als bei China. Aber China ist natürlich viel größer, und deswegen sind diese beiden Staaten, vor allen Dingen, wenn es um Rüstungsexporte und Rüstungsimporte geht, ganz vorne etwa auf der Liste bei SIPRI.

Musch-Borowska: Kann man denn sagen, dass beispielsweise China und Indien in einen Rüstungswettlauf eintreten, so wie wir das vor 30, 40 Jahren bei den USA und Russland gesehen haben, bzw. der Sowjetunion damals?

Brzoska: Ja, man kann durchaus Elemente eines Rüstungswettlaufs sehen. Allerdings ist dieser Rüstungswettlauf jetzt nicht so zu interpretieren, dass man jetzt Panzer gegen Panzer etwa beschafft. Wir haben ja seit mindestens 50 Jahren eine Konfrontation zwischen China und Indien etwa im Bereich des Himalaya. Da gibt es zwar im Moment keine konkreten militärischen Auseinandersetzungen, aber zumindest aus indischer Sicht gibt es Gebiete, die von China völkerrechtswidrig besetzt sind. Darüber hinaus hat ja Indien seine eigene Atomrüstung, die seit einigen Jahren ja auch offiziell zugegeben wird, immer auch damit begründet, dass China auch Atomwaffen hat, und dass man deswegen die chinesische Machtposition ausgleichen müsste mit ähnlichen Waffensystemen. Und dann haben wir schließlich durchaus inzwischen auch konkrete Auseinandersetzungen zwischen indischen und chinesischen Interessen im Südchinesischen Meer. Indien ist zwar eigentlich kein Anrainer dieses Meeres, aber hat doch inzwischen sehr gute Beziehungen zu Vietnam aufgebaut. Und Vietnam und China streiten sich im Südchinesischen Meer sowohl über Territorien als auch insbesondere über die Ausbeutung von Öl. Und da ist Indien eben als neuer Akteur in Kombination mit vietnamesischen Firmen zum Beispiel auch in der Ölexploration aktiv.

Musch-Borowska: In dieser Region engagiert sich auch die andere Weltmacht, die USA, die dort ihre Interessensphäre durch eine eigene Präsenz in der Region demonstrieren. Im Südchinesischen Meer, in Japan beispielsweise, seit neuestem auch weiter südlich, in Australien. Welche Rolle spielen die USA in dieser konfliktreichen Situation?

Brzoska: Traditionell waren natürlich die USA die Schutzmacht überhaupt für eine Reihe von Staaten in der Region. Für Taiwan natürlich seit dem Ende der Dominanz des Chiank-kai-shek-Regimes über ganz China und des Aufstiegs der Volksrepublik China. Für Südkorea, für die Philippinen, früher auch für Südvietnam. Also die USA waren ja eigentlich die dominierende Macht in Südostasien bis Mitte der 70er Jahre, und seit dem auch noch für eine Reihe von Staaten. Diese Rolle wollen die USA auch nicht aufgeben, und das führt natürlich zu einem strukturellen Konflikt mit der aufsteigenden Weltmacht China. Und das sehen wir ganz massiv, dass chinesische Interessen weiter vom Festland China hinaus durch die Marine, durch Stützpunkte auch auf bestimmten Inseln in das Südchinesische Meer getragen werden, während gleichzeitig die USA eben nicht bereit sind, ihre Position aufzugeben. Also da haben wir in der Tat einen Konflikt, der in der Zukunft wirklich zu einem größeren Konflikt werden könnte, weil eben hier zwei Dynamiken gegeneinander stehen. Einerseits das Interesse der USA, ihre eigene Position zu erhalten, und gleichzeitig die chinesische Position, dass diese Region eigentlich eine chinesische ist, und dass die USA die Vormachtstellung Chinas in dieser Region eigentlich anerkennen müssten.

Musch-Borowska: Gibt es denn in einer solchen Situation Chancen für eine Art Rüstungskontrolle, ganz zu schweigen von einer Abrüstung, wo ja eine Aufrüstung im Gange ist?

Brzoska: Ich denke es gäbe schon Chancen, allerdings bisher sind die Ideen und Ansätze, die es da gegeben hat, nicht sehr weit gekommen. Wir müssen ja hier auch zwischen den verschiedenen Ebenen von Waffensystemen, die man kontrollieren könnte durchaus unterscheiden. Also es gibt im Bereich der Nuklearwaffen bisher noch keine wirklichen Verhandlungen, in die etwa die chinesischen und die indischen Nuklearwaffen einbezogen wären. Aber es besteht eigentlich bei allen Nuklearwaffenstaaten Übereinstimmung, dass das zu irgendeinem Zeitpunkt geschehen müsste. Aber Chinesen und auch Inder verweisen natürlich darauf, dass die USA und Russland so viel mehr an Atomwaffen haben, dass die erst mal auf ein Niveau runterkommen sollten, das dem der Chinesen oder dem der europäischen Staaten mit Atomwaffen entspricht, und dann könnte man verhandeln. Aber das wird kommen müssen, denn man kann sich ja nicht vorstellen, dass das was etwa der US-Präsident Obama verkündet hat, nämlich eine Nuklearwaffen freie Welt kommen kann, ohne dass auch die Chinesen und die Inder irgendwann mal auch an den Verhandlungen beteiligt werden. Im Bereich der konventionellen Waffen sind das größte Problem die Seestreitkräfte, denn das ist natürlich gegebenermaßen der Bereich in dem die meiste Aufrüstung stattfindet. Hier sehe ich schon das Potenzial für Abkommen, die vor allen Dingen Irrtümer und das ungewollte Anfangen von Kriegen verhindern könnten. Dass man also bestimmte Abmachungen trifft, dass in bestimmten Situationen eben nicht zuerst geschossen und dann gefragt wird, sondern dass man etwa über Kommunikationskanäle abstimmt, was da eigentlich passiert. Wir haben ja durchaus in den letzten Jahren immer wieder Ereignisse gehabt, in denen etwa Fischerboote angegriffen worden sind, versenkt worden sind, es Kommunikationsprobleme gab, und man fragt sich, ob jetzt zum Beispiel auch Kriegsschiffe, die da auftauchten, möglicherweise aggressive Absichten hatten. Also da kann man was machen. Ich denke auch, dass man, wenn es um die Stationierung von Seestreitkräften geht, in bestimmten Abschnitten bestimmte Territorien abgrenzen könnte. Also weniger die Quantität an Kriegsschiffen vermindern, als deren Einsatzgebiete. Und ich sehe schließlich einen dritten Bereich, in dem wir im Moment durchaus auch einige Fortschritte mit Unterstützung von Staaten in der Region haben, das ist im Bereich der Kleinwaffen. Da geht’s jetzt eher um die inneren Auseinandersetzungen. Die Frage inwieweit man das, was da noch auf den Philippinen etwa, oder auch in Indonesien an bürgerkriegsähnlichen oder Vorbürgerkriegssituationen existiert, wie man das entschärfen könnte, und da, wie gesagt, gibt’s im Moment vielleicht den größten Fortschritt zu verzeichnen.

Musch-Borowska: Hier in Europa haben wir als Forum für Konfliktentschärfung, für Rüstungskontrolle die OSZE. Lässt sich so eine Struktur übertragen auf den asiatischen Raum? Gibt es dort ein vergleichbares Forum, beispielsweise die Shanghai Cooperation Organisation, die Gruppierung von mehreren asiatischen Staaten, die sich mit diesem Thema, ich sage mal weitgehend befassen?

Brzoska: Also ich denke, und das ist das was ich immer wieder von Kollegen aus der Region dort höre, dass eine derart institutionalisierte Form der Konfliktlösung für die Parteien, für die Staaten in der Region nicht attraktiv ist. Dass man diese Art von organisierter Form mit allen möglichen Verträgen usw. eher als Problem ansieht, denn als Lösung. Was es ja in der Region gibt, Sie deuteten es an, sind einige Staatenverbünde, die relativ locker über bestimmte Probleme nachdenken. Die Schanghai-Organisation ist eine davon, mit Schwerpunkt vor allen Dingen auf Terrorismusbekämpfung. Da gibt es durchaus interessante Ansätze der Kooperation zum Beispiel auch zwischen Russland und China. Jetzt sind einige weitere Staaten, auch Indien, dabei. Und da könnte man sich auch vorstellen, dass sich da Vertrauen entwickelt und insofern, was insbesondere den Bereich Terrorismusbekämpfung angeht, sich auch mehr Kooperation ergibt. Sonst ist das wichtigste Forum, das sogenannte Asian Regional Forum ARF, an dem auch die USA und Russland beteiligt sind, ausgehend von den ASEAN-Staaten, wo eine Reihe von politischen Deklarationen verabschiedet worden sind, auch mit China. Was zum Beispiel die Konfliktlösung im Südchinesischen Meer angeht.

Musch-Borowska: Zum Schluss noch ein kleiner Ausblick in die Zukunft. Verschiedene Pentagon-Studien gehen davon aus, dass es in den nächsten Jahren, Jahrzehnten doch zu Konflikten in dieser Region kommt, zu militärischen Konflikten. Sehen Sie das auch so? Was müsste passieren, um das vielleicht doch zu vermeiden?

Brzoska: Die Gefahr besteht. Und die Gefahr besteht insbesondere, dass es zwischen China und den USA möglicherweise dann auch, unter Einbeziehung anderer Staaten wie etwa Vietnam oder die Philippinen, zu Auseinandersetzungen kommt. Und das Grundproblem aus meiner Sicht ist eben dass wir eine sich verändernde weltweite Dynamik der großen Staaten haben, und dass das bisher noch nicht wirklich angekommen ist. Insbesondere bei den Führenden in den Vereinigten Staaten. Also man muss, glaube ich, aus meiner Sicht vor allen Dingen versuchen, zwischen China und den Vereinigten Staaten einen Dialog hinzubekommen, der einen gewissen Ausgleich, der einfach vorhandenen Interessensgegensätze ermöglicht. Das wird wahrscheinlich damit verbunden sein, dass die Rolle der USA in der Region abnimmt, dass die Bedeutung Chinas zunimmt, und dass dies aber möglichst in einer Form geschieht, so dass die kleineren Staaten das nicht als Bedrohung ansehen. Das ist, glaube ich, die große Aufgabe für die Zukunft, aber eine Aufgabe, die ich für lösbar halte.

* Michael Brzoska ist Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg - IFSH.

Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 27. Juli 2012; www.ndrinfo.de



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