"Heute steht ihr auf Seiten derer, die aktive Beihilfe zum Völkermord leisten."
Ein Brief von Jürgen Grässlin an Bundestags-Abgeordnete der Grünen
Jürgen Grässlin
Freiburg, den 2. März 2001
Bundessprecher Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) und Vorstandsmitglied Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg (RIB e.V.)
An
Angelika Beer, Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Winfried Nachtwei,
Claudia Roth, Christian Simmert, Christian Sterzing, Hans-Christian
Ströbele, Sylvia Voß,
Mitglied des Deutschen Bundestags, Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Platz der Republik
11011 Berlin
OFFENER BRIEF
zur Kenntnisnahme Friedens- und Menschenrechtsbewegung und Medien
Betreff: Rot-grüne Rüstungsexportpolitik / Bericht in "Kontraste" vom
01.03.01
Liebe FreundInnen,
den gestrigen TV-Bericht von Roland Jahn und Susanne Opalka in "Kontraste"
(Manuskript siehe Internet), in dem ich mich sehr kritisch über die
Rot-Grüne-Rüstungsexportpolitik geäußert habe, nehme ich zum Anlass, mich
auch persönlich an euch zu wenden.
Noch 1993 haben Angelika Beer (für den GRÜNEN Bundesvorstand) und ich (für
das Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg/RIB e.V.) zusammen mit
vielen weiteren Menschenrechts- und Friedensorganisationen gegen die
vormalige CDU/CSU-FDP-Bundesregierung Strafanzeige wegen Erfüllung des "Tatbestands
des Völkermordes nach §220 a STGB" in Sachen Rüstungsexporten gestellt.
In einem flammenden Plädoyer für Menschenrechte hat Angelika Beer im Fall
der Türkei angemahnt: "Mitten in Europa herrscht Krieg - doch niemand
sieht hin." Die "eigenen Kriegsverbrecher" dürfte man nicht weiter "ungestraft
Beihilfe Völkermord am kurdischen Volk leisten" lassen. So Angelikas
Forderung im Namen der GRÜNEN mit Blick auf die vormalige Bundesregierung.
Diese Forderung stimmte damals und stimmt immer noch. Inzwischen sind SPD
und GRÜNE für die hemmungslose Rüstungsexportpolitik verantwortlich. Wer
sind nach eurer Definition heute die "eigenen Kriegsverbrecher"?
Unter Rot-Gün stieg die Zahl deutscher Rüstungsexporte weiter an - auch in
das Krisen- und Kriegsgebiet Türkei. So liegt die Türkei mit
Waffentransfers in Höhe von rund 1,9 Milliarden DM mit deutlichem Abstand
an erster Stelle der Empfängerländer.
Mittlerweile hat der Bundessicherheitsrat die Lieferung einer
Munitionsfabrik (Kooperationsprojekt bei Beteiligung der deutschen
Rüstungsfirma Fritz Werner) genehmigt. Bundesaußenminister Joschka Fischer hat dagegen votiert und ansonsten geschwiegen. Deutsche Munition aus deutschen Gewehrläufen
ist die tödlichste Form der Beihilfe zum Massenmorden an Kurdinnen und Kurden!
Im Nahen Osten (siehe "Kontraste"-Bericht) werden weiterhin nahezu alle
Staaten mit deutschen Waffen, Rüstungsgütern (bzw. deren Teile) beliefert.
Ich erspare euch weitere Ausführungen - der Rüstungsexportbericht der
Bundesregierung von 1999 ist euch bekannt. Die Öffentlichkeit - so euer
Glück - hat sich dafür bislang kaum interessiert. Dieser Tatbestand entschuldigt
nichts und legitimiert auch nicht eure weitgehende Passivität.
Aus den genannten Fakten schließe ich: Heute steht ihr auf Seiten derer,
die aktive Beihilfe zum Völkermord mit deutschen Waffen leisten. Bisher
spielen Menschenrechte in der Rot-Grünen Rüstungsexportpolitik allenfalls
auf dem Papier, nicht aber in der Praxis eine relevante Rolle. Ihr wollt oder
könnt euch nicht gegen die deutsche Rüstungsindustrie durchsetzen - das
kann ich nicht beurteilen. Offensichtlich aber ist, dass das Profitinteresse
der Rüstungskonzerne über eure Schönwetterreden einer "glaubwürdigen
Menschenrechtspolitik" dominiert. Politik ist kein Zustand, den man
erdulden muss - Politik wird gemacht und umgesetzt: im Fall von Rüstungsexporten seitens
der Bundesregierung und der untergeordneten Behörden.
Gerne bin ich bereit, mit euch in persönlichen und öffentlichen Gesprächen
über die Gründe, Fakten und Änderungsmöglichkeiten der
Rot-Grünen-Exportpolitik in einen intensiven Meinungsaustausch zu treten.
Ich bin mir sicher, dass eine Vielzahl von Menschenrechts- und Friedensorganisationen an
diesem Diskussionsprozess teilhaben wollen.
Nach Erkenntnissen des "Forum Rüstungsexporte der deutschen
Nichtregierungsorganisationen" könnte die Lieferung der Munitionsfabrik
von Fritz Werner kurzfristig noch gestoppt werden. Ihr solltet alles Menschenmögliche
unternehmen, um diesen Transfer zu verhindern. Weitere Waffenexporte und
Lizenzvergaben (z.B. Großwaffensysteme sowie Handfeuerwaffen, z.B. das
Gewehr G36) - gerade in die Türkei und an andere menschenrechtsverletzte Regierungen
bzw. Regime - dürfen nicht erfolgen.
Euren Vorschlägen sehe ich mit gespannter Erwartung entgegen. Bitte
handelt jetzt!
Liebe Grüße
Jürgen Grässlin
Bundessprecher DFG-VK, RIB-Vorstand
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