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Waffenschmiede

Ein Sammelband zur Rüstungsindustrie in Bremen

Von Sönke Hundt *

Ursprünglich sollte es »nur« eine Broschüre werden, aber nun hat sich der Sammelband »Erfolgsgeschichten aus Bremen? Rüstungsstandort an der Weser« zu einem 176-Seiten-Reader gemausert. Das Buch kommt gerade rechtzeitig, um für die zur Zeit heftig geführte bundesweite Diskussion über die Zivilklausel und die problematische Einflußnahme von Bremer Rüstungsunternehmen (unter anderem OHB und Rheinmetall) auf Lehre und Forschung an der Universität und der Hochschule der Hansestadt Informationen und Argumente zu liefern.

Für den Band ist ein breites Bündnis von Autoren und Organisatoren zusammengekommen. Ein Grußwort hat der Friedensbeauftragte der örtlichen evangelischen Kirche formuliert. Das Bremer Friedensforum, die Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung in dem Stadtstaat, die Linksfraktion in der Bürgerschaft, der AStA der dortigen Universität und die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen und Kriegsdienstgegner (DFG-VK) haben das Projekt ideell und materiell unterstützt. 16 Autorinnen und Autoren beschreiben und analysieren umfassend die Bremer Rüstungsindustrie sowie viele ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen.

Zivilklausel

Das Bundesland an der Weser ist eine ausgesprochene Rüstungshochburg mit einigen bedeutenden Marktführern in der Tötungs- und Überwachungsbranche. Lühr Henken, einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Mitglied im Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI), beschreibt in seinem Beitrag im Detail die örtlichen Rüstungsunternehmen Atlas Elektronik GmbH (weltweit führender Elektronikausstatter für U-Boote), EADS Airbus Bremen (maßgeblich an der Entwicklung und Fertigung des A 400 M, des neuen Militärtransporters, beteiligt), Rheinmetall Defence Electronics (weltweit agierendes Systemhaus für die Ausrüstung von Landstreitkräften), Friedrich-Lürssen-Werft (baut Schnellboote, Korvetten, Fregatten, Minensucher, Minenjäger) und Orbitale Hochtechnologie OHB (SAR-Lupe, Galileo-Satelliten-Navigationssystem). Rheinmetall ist aktuell verantwortlich in Masar-i-Scharif für die komplette technische und logistische Betreuung der Kampfdrohne »Heron« Rudolph Bauer (Professor an der Universität Bremen) und Dietrich Schulze (ehemaliger Betriebsratsvorsitzender im Kernforschungszentrum Karlsruhe, jetzt KIT Campus Nord) sind bundesweit bekannt geworden durch ihre Kritik an der Einflußnahme von Rüstungsunternehmen auf Lehre und Forschung an Hochschulen und Universitäten. In ihren Beiträgen schildern sie im Detail die Auseinandersetzungen um die Zivilklausel. Speziell an der Bremer Universität schwelt ein Konflikt, seit ihr die OHB-AG eine Stiftungsprofessur spendieren wollte und dafür unverblümt die Änderung der dort noch gültigen Zivilklausel verlangte.

Kriegsmarine

Rüstungskonversion war vor über 20 Jahren ein großes Thema in Bremen, und verschiedene Initiativen und Projekte konnten sich auf ein breites gesellschaftliches Bündnis von Friedensbewegung, politischen Parteien, Wissenschaft, Belegschaftsvertretern und Gewerkschaften stützen. Die Zeiten sind offenbar lange vorbei. Die Hoffnungen auf eine Friedensdividende nach Ende des Kalten Krieges sind durch die Entfesselung der Kriege in Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Libyen zertrümmert worden. Damals hatten sich noch Gewerkschaften, vor allem die IG Metall, und Betriebsräte an verschiedenen Konversionsinitiativen beteiligt. Im neuen Antirüstungsreader aber fehlt ein Beitrag von gewerkschaftlicher Seite. Heute sind die Waffenschmieden mächtiger und einflußreicher denn je. Der Unternehmer Friedrich Lürssen z.B. begleitete im Juli 2011 die Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Luanda. Mit dem ebenso korrupten wie diktatorisch regierenden Präsidenten von Angola, José Eduardo dos Santos, wurde über den Aufbau und die Finanzierung einer Kriegsmarine für das afrikanische Land verhandelt. Die Lürssen-Werft, auch das kann man der informativen Broschüre aus Bremen entnehmen, ist übrigens schon lange, nämlich seit dem Flottenbauprogramm vor dem Ersten Weltkrieg, im Rüstungsgeschäft.

AStA der Universität Bremen/Bremer Friedensforum/Bremische Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung/Abrüstungsinitiative Bremer Kirchengemeinden/DFG-VK Bremen/Die Linke, Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft (Hg.): Erfolgsgeschichten aus Bremen? Rüstungsstandort an der Weser. Produktion, Forschung und Perspektiven. Eigenverlag, Bremen 2011, 176 Seiten. Schutzgebühr 6 Euro (plus 1 Euro Porto)

Bezug: Villa Ichon, Goetheplatz 4, 28203 Bremen, E-Mail: info@­bremerfriedensforum.de oder Direktversand bei Einzahlung der Gebühr auf das Konto Ekkehard Lentz, Postbank Hannover, Konto-Nr. 123268306, BLZ 25010030 (Stichwort Rüstungsbroschüre)

* Aus: junge Welt, 16. Januar 2012

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