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Rüstungsexporte: Internationalisierung verlangt nach neuen Kontrollstrategien

Das Bonner Institut für Konversionsforschung (BICC) kommentiert den Rüstungsexportbericht der Bundesregierung

Anlässlich der Debatte über den Rüstungsexportbericht der Bundesregierung im Bundestag am 22. Februar 2002 veröffentlichte das BICC nachfolgende Erklärung:

PRESSEERKLÄRUNG, 21. Februar 2002

Der Bundestag berät am Freitag, den 22. Februar, den "Rüstungsexportbericht 2000" der Bundesregierung. Wie nie zuvor ist die deutsche Rüstungsindustrie internationalisiert. Das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) fordert deshalb anlässlich dieser Debatte von Bundesregierung und Bundestag, den Verlust an Kontrolle auf nationaler Ebene durch verbesserte internationale Regelungen auszugleichen.

Die von den BICC-Wissenschaftlern Michael Brzoska und Hartmut Küchle verfasste Studie "Folgen, Auswirkungen und Gestaltungsmöglichkeiten internationaler Abkommen für eine restriktive deutsche Exportpolitik" dokumentiert die wichtige Rolle internationaler Kooperationen insbesondere innerhalb der Europäischen Union. So ist beispielsweise der mit Abstand größte Rüstungshersteller in Deutschland, die EADS, in Holland registriert, hat gleichberechtigte deutsche und französische Manager und produziert in vielen europäischen Ländern. Der Hauptanteil der deutschen Rüstungsexporte, vor allem Bauteile für in Gemeinschaft produzierte Waffen, geht in andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.

In dem 2001 in Kraft getretenen "Rahmenabkommen über Maßnahmen zur Erleichterung der Umstrukturierung und der Tätigkeit der europäischen Rüstungsindustrie" haben sich die sechs größten Rüstungsexporteure in der EU - Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und Schweden - auf die Anwendung gemeinsamer Verfahren, insbesondere für den Export aus Gemeinschaftsprojekten, verpflichtet. Die Autoren der Studie bewerten in diesem Zusammenhang die Einführung einer sogenannten "weißen Liste" als Kontrollinstrument als positiv. Diese Zusammenstellung von Ländern, in die Waffen geliefert werden dürfen, muss von den Beteiligten vor Beginn der Zusammenarbeit einvernehmlich vereinbart werden. "Dadurch hat die Bundesregierung einen starken Hebel, um ihre Vorstellungen über eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik durchzusetzen. Dies ist ein großer Fortschritt gegenüber der Situation vor Unterzeichnung des Rahmenabkommens", betont der Direktor des BICC Peter Croll.

Allerdings besteht auch die Gefahr, dass die Bundesregierung aus dem Interesse heraus, nicht von Gemeinschaftsvorhaben ausgeschlossen zu werden, hinter die bisherige deutsche Rüstungsexportpolitik zurückfällt. Die Zustimmung zum Gemeinschaftsexport in kritische Länder könnte Präzedenzfälle schaffen und zu direkten Lieferungen von Waffen aus der Bundesrepublik in eben diese Staaten führen. Gemeinschaftsprojekte würden so zum Instrument, um eine restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik auszuhebeln.

Insgesamt kritisiert das Bonner Konversionszentrum, dass der Deutsche Bundestag bisher wenig Interesse an den Folgen der Internationalisierung für den deutschen Rüstungsexport gezeigt hat. Vor allem wurde die Gelegenheit verpasst, vor der Ratifizierung dieses zwischenstaatlichen Vertrages im Bundestag über die Thematik zu diskutieren. Durch den Verzicht auf ein parlamentarisches Ratifizierungsverfahren hat sich der Bundestag die Chance genommen, der Bundesregierung Hinweise für die Umsetzung des Rahmenabkommens zu geben, wie es etwa durch die Parlamente in Schweden, Frankreich und Großbritannien geschehen ist.

Wegen seiner grundlegenden Bedeutung sollten der Bundestag oder geeignete Ausschüsse nun
  • der Umsetzung des Rahmenabkommens größere Aufmerksamkeit widmen,
  • sich regelmäßig über die Verhandlungen über weiße Listen informieren lassen und
  • möglicherweise unter Einschaltung des Europäischen Parlamentes einen Informationsaustausch mit entsprechenden Ausschüssen der anderen beteiligten Länder anstreben.
Die weißen Listen sollten, wie die direkten Empfänger deutscher Rüstungsgüter, in zukünftigen Rüstungsexportberichten offen gelegt werden.

Weitere europäische Staaten beabsichtigen dem Rahmenabkommen beizutreten und die US-Regierung hat ebenfalls ihr Interesse an ähnlichen transatlantischen Vereinbarungen bekundet. Der Bundestag sollte sich auch über diese Entwicklungen regelmäßig informieren lassen, um seine Funktion als Kontrollorgan der Bundesregierung auch in diesem kritischen Bereich wahrzunehmen.

Die Presseerklärung ist datiert vom 21. Februar 2002


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