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Arbeit schaffen durch mehr Waffen

IG Metall macht sich mit Rüstungslobbyisten gemein und wehrt sich gegen Haushaltskürzung

Von René Heilig *

Im Verteidigungsministerium gibt es eine »Horrorliste«. Durch die Verkleinerung und Effektivierung der Bundeswehr will man weniger Waffen und Gerät abnehmen, als bestellt wurden.

Statt 60 will man nun nur 25 Airbus400Military beschaffen, von den derzeitig fliegenden 185 Tornados werden 100 stillgelegt, man verzichtet auf 37 Eurofighter und streicht das Talarion-Programm. Das beschäftigt sich mit dem Bau unbemannter Kampfflugzeuge und ist alleine drei Milliarden Euro schwer. Doch die im Haus Guttenberg diskutierte »Priorisierungsliste Materialinvestitionen« hält noch weitere Grausamkeiten für die profitverwöhnte Rüstungsindustrie bereit. Die Stückzahl des – noch immer nicht einsatztauglichen – NH-90-Transporthubschraubers wird von 122 auf 80 gesenkt, statt 80 – nicht einsatzfähigen – Tiger-Kampfhubschraubern will man nur die Hälfte abnehmen. Hersteller EADS schäumt, doch nicht nur der Konzern.

»Wir werden als IG Metall diesem Streichkonzert nicht tatenlos zusehen und deshalb dagegen mobilisieren und zu Aktionen aufrufen«, tönte Mitte der Woche der Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Ingolstadt, Bernhard Stiedl. Es ginge schließlich um einen »ganzen Industriezweig«. Man bezweifle »nicht die Notwendigkeit der Konsolidierung der staatlichen Haushalte. Wir bezweifeln aber die Entscheidung, mit der in Deutschland zukunftsfähige Forschungs- und Entwicklungskompetenzen kaputt gemacht werden sollen.«

Das klingt nach einer Kriegserklärung wider die Haushälter. Die IG Metall stellt die Fußtruppen, die Operation »Hände weg von unseren Rüstungsprofiten« leitet jedoch eine Truppe, die sich »Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie« (BDSV) nennt. Der Lobbyistenverband sitzt nahe der Regierung in der Friedrichstraße 60 in Berlin. Geschäftsführer ist ein Herr Heinz Marzi. Wem der Name aus der Truppe bekannt vorkommen sollte, der irrt nicht. Marzi wechselte am 1. April 2009 in den »Ruhestand«, bis dahin war er Stellvertreter des Inspekteurs der Luftwaffe im Führungsstab der Luftwaffe im Bundesministerium der Verteidigung. An seiner Seite ist ein Herr Christian-Peter Prinz zu Waldeck, der ist auch Geschäftsführer im Verband »Vereinigung wehrtechnisches Gerät«, Reinhardstraße 29 c. Der Verband gehört zum Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung.

Apropos Metall. Die IG Metall macht nun – um es nett zu sagen – parallel zum BDSV gehörig Wind wider die Haushaltskürzungen auf rüstungstechnischem Gebiet. Man schreit das Gespenst der Massenarbeitslosigkeit herbei. Der BDSV spricht von 80 000 gefährdeten Arbeitsplätzen. Die IG Metall warnt angesichts der Sparpläne von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) vor dem Verlust von zehntausenden Jobs allein im militärischen Flugzeugbau.

Pure Übertreibung. Selbst wenn man alle in der gesamten deutschen Rüstungsindustrie Beschäftigten addiert, kommt man höchstens auf 40 000. Die Taktik mit der herbeigeredeten drohenden Massenarbeitslosigkeit ist dennoch wirksam. Wie man am Beispiel Großbritannien sieht. Dort geistert durch die BBC-Nachrichten, dass die Reduzierung der Rüstungsproduktion bis zu 1000 Jobs allein beim Rüstungsgiganten BAE kosten werde.

Keine Frage, dass es Aufgabe auch der IG Metall ist, drohender Arbeitslosigkeit EU-weit entgegenzutreten. Und Alternativen zu benennen. Die jedoch muten seltsam an. Wenn schon nicht die eigene nationale Armee genügend Mordwerkzeug abnehmen wolle, dann solle die Bundesregierung sich zumindest dafür einsetzen, dass Waffen exportiert werden können. Sagt die IG Metall und sagt der BDSV. Doch – und hier verfängt sich die Logik beider bereits das erste Mal – gelingt das natürlich nur, wenn die Waffensysteme bereits durch die Bundeswehr – am besten im scharfen Schuss – erprobt wurden.

Zweiter Schwachpunkt der gemeinsamen Gewerkschafts-Lobbyisten-Logik: Der europäische Markt ist übervoll mit Angeboten fürs Militär. Bleibt die dritte Welt als Kunde. Doch da sind andere Staaten wie die USA, Russland und China den Europäern weit voraus. Seltsamerweise hört man auf Gewerkschaftsseite so gut wie nichts über den einzig zukunftsfähigen Gegenentwurf zur Rüstungsproduktion. Er ist überschrieben mit dem Wort »Konversion«.

* Aus: Neues Deutschland, 16. September 2010

Dokumentiert: IG Metall zu Rüstungsexporten

Keine Fürsprecher von Waffenexporten

Wehrtechnik: Konversionsprozesse fördern **

23.07.2010 - Im Jahr 1989 waren in den alten Bundesländern 280 000 und in den neuen Bundesländern 120 000 Beschäftigte in der Rüstungsindustrie angestellt. Heute sind es insgesamt nur noch rund 80 000 Arbeitsplätze, die von der Rüstungsindustrie abhängen. Kai Burmeister erklärt, wie die IG Metall versucht, diese Arbeitsplätze zu sichern und gleichzeitig die Standorte unter sozialen und ökologischen Aspekten umzuwidmen.

Kai Burmeister ist Koordinator des Betriebsräte-Arbeitskreises "Wehrtechnik und Arbeitsplätze" und beim IG Metall-Vorstand zuständig für Wehrtechnik. In einem Interview mit dem "FriedensJournal" bezieht er Stellung zu Fragen der Rüstungsproduktion.

Militärische Produktion in zivile Linie überführen

Verglichen mit vor 20 Jahren gebe es heute deutlich weniger Arbeitsplätze in der Rüstungsbranche. Zum Teil deswegen, weil es mancherorts gelungen sei, die militärisch ausgerichtete Produktion in eine zivile Linie zu überführen und auch die militärisch genutzten Standorte unter sozialen und ökologischen Aspekten umzuwidmen. Diese Konversion sei vielfach von Vertrauensleuten und Betriebsräten der IG Metall angestoßen worden, sagt Burmeister. Aber auch wenn der Grundgedanke von Konversion - also die Frage, was produziert wird - weiterhin faszinierend sei "Wir müssen leider auch feststellen, dass viele gute Ideen sich in der praktischen Umsetzung nicht bewährt haben, weil sie oft von den Unternehmen nicht aufgegriffen wurden."

Kein Führsprecher für Waffenexporte

Arbeitsplätze in der Wehrtechnik hängen natürlich vom Verteidigungshaushalt beziehungsweise von den Exporten ab, räumt Burmeister ein. Die Beschäftigten hätten einen klaren Anspruch darauf, dass die IG Metall ihre Interessen vertritt. "Das heißt anders herum aber nicht, dass die Gewerkschaften zum Fürsprecher für Waffenexporte werden. Das waren wir in der Vergangenheit nicht und das bleibt auch so."

** Aus: Website der IG Metall, 23. Juli 2010; www.igmetall.de




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