Noch ist der letzte Stolperstein nicht beseitigt
Der neue Vertrag über die Begrenzung strategischer Offensivwaffen soll zu 95 Prozent fertig sein
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Immer noch sind »einige Momente« des neuen Vertrages über die Begrenzung
der strategischen Offensivwaffen (START-Nachfolgevertrag) nicht
abgestimmt. Aus Moskau verlautet jedoch, Anfang April könnten das
Abkommen unterzeichnet werden.
Michail Margelow, der Chef des außenpolitischen Ausschusses im
russischen Föderationsrat, der zweiten Kammer des Parlaments, versprüht
Optimismus: Bis zur Unterzeichnung eines Folgeabkommens für den im
Dezember ausgelaufenen START-I-Vertrag zur Begrenzung strategischer
Offensivwaffen sei es nicht mehr ein halber, sondern nur noch ein
viertel Schritt.
Alle Streitpunkte seien ausgeräumt, es gehe nur noch um Absprachen
darüber, wann und wo beide Präsidenten - Dmitri Medwedjew und Barack
Obama - das Abkommen unterschreiben. Wahr-scheinlich »irgendwo in
Osteuropa« und auf jeden Fall vor der dreitägigen Überprüfungskonferenz
zum Atomwaffensperrvertrag, die am 12. April in Washington beginnt.
Am Rande eben dieser Konferenz, kündigte Margelow bei Radio »Echo
Moskwy« an, werde es auch eine gemeinsame Sitzung der außenpolitischen
Ausschüsse des russischen Föderationsrats und des US-amerikanischen
Senats zwecks Vorbereitung der Ratifizierung geben. Weil beide
Parlamente ihre Zustimmung verweigert hatten, war das eigentliche
Folgeabkommen - der 1993 von Boris Jelzin und seinem Amtskollegen George
Bush unterzeichnete START-II-Vertrag - nie in Kraft getreten.
Eigentlich wollten beide Seiten das Abkommen schon 2009 unterzeichnen.
Die Verhandlungen traten jedoch monatelang auf der Stelle.
Hauptstreitpunkt war ein Junktim zwischen Angriffs- und
Verteidigungswaffen - mit Kernsprengköpfen bestückten
Interkontinentalraketen und Raketenabwehr -, auf dem Moskau besteht.
Russland fühlt sich auch durch die von Ba-rack Obama modifizierten Pläne
für die Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Mittelosteuropa nach
2015 bedroht. Beteuerungen der NATO, wonach das System allein die von
Iran ausgehenden Gefahren neutralisieren soll, klingen aus hiesiger
Sicht wenig überzeugend. Vielmehr könne ein solches System die
russisch-US-amerikanische Kräftebalance zugunsten der USA verschieben.
Über den Inhalt des Kompromisses, den Experten beider Seiten jetzt
offenbar ausgehandelt haben, liegen bisher keine detaillierten Angaben
vor. Moskau wie Washington hatten gleich zu Beginn der Konsultationen im
Spätsommer 2009 striktes Stillschweigen bis zur Unterzeichnung vereinbart.
Definitiv vom Eis ist die Kuh dennoch offenbar nicht. Der Vertrag,
erklärte Generalstabschef Nikolai Makarow in einem Exklusivinterview für
die von der russischen Regierung herausgegebene »Rossijskaja Gaseta«,
sei zwar zu 95 Prozent fertig. Nach wie vor fehle jedoch die Zusage der
USA, die Raketenabwehr-Problematik in diesem Vertrag in juristisch
verbindlicher Form zu regeln. Moskau aber müsse zwecks Wahrung seiner
nationalen Interessen darauf bestehen.
Russland, meinte der General weiter, habe bei den START-I-Verhandlungen
zu viele Kompromisse gemacht, beim neuen Abkommen müsse streng auf
Parität geachtet werden.
Hintergrund
In den START-Abkommen haben Moskau und Washington die Verringerung der
strategischen Nuklearwaffen (Strategic Arms Reduction Treaty)
vereinbart. Der START-I-Vertrag wurde 1991 noch zwischen den USA und der
damaligen Sowjetunion geschlossen. Die Bestände der weitreichenden
Systeme (über 5000 km) sollten auf etwa 8500 US-amerikanische und rund
7000 sowjetische Sprengköpfe verringert werden. START II wurde im Januar
1993 unterzeichnet. Der Vertrag sieht u.a. den völligen Verzicht auf
bodengestützte Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen vor. Im
Streit um die US-Raketenabwehrpläne wurde er durch das SORT-Abkommen
(Strategic Offensive Reductions Treaty) ersetzt. Im Vorjahr vereinbarten
dann die Präsidenten Obama und Medwedjew ein START-Nachfolgeabkommen und
einigten sich, die Zahl der atomaren Sprengköpfe deutlich auf etwa 1500
bis 1675 Stück zu verringern. ND
* Aus: Neues Deutschland, 24. März 2010
USA schlagen Unterzeichnung von neuem START-Vertrag in Prag vor **
Die USA haben Tschechien ersucht, die Unterzeichnung des neuen russisch-amerikanischen Vertrages über die Reduzierung der Strategischen Offensivwaffen (START-Vertrag) in Prag stattfinden zu lassen.
Das teilte die Agentur France-Presse am Mittwoch (24. März) unter Hinweis auf eine diesbezügliche Mitteilung des tschechischen Außenministeriums mit.
Nach Angaben der Agentur richtete Washington bereits ein entsprechendes Schreiben an Prag. Das Datum der Unterzeichnung werde darin jedoch nicht genannt.
„Sie (die USA) richteten ein Schreiben in Bezug auf die Möglichkeit der Unterzeichnung des Vertrages in Prag an uns und wir willigten ein. Bisher wurde kein Datum festgelegt“, zitiert France-Presse den Pressechef des tschechischen Außenamtes, Jiri Benes.
Dabei betonte Benes, dass die endgültige Entscheidung über den Termin und den Ort der Unterzeichnung des Vertrages Moskau und Washington treffen müssten.
Zuvor hatte die Ukraine Russland und den USA angeboten, den Vertrag in Kiew zu unterzeichnen.
Der Vertrag zwischen Russland und den USA über die Reduzierung der strategischen Offensivwaffen, der im Laufe von 15 Jahren den Prozess einer planmäßigen Reduzierung der Kernwaffenpotentiale beider Länder gesichert hatte, ist am 5. Dezember 2009 abgelaufen.
Moskau und Washington führen Verhandlungen über den Abschluss eines neuen START-Vertrages und erklärten mehrmals, dass er demnächst unterzeichnet werden könne.
Dass Russland und die USA den START-Vertrag im April, und am ehesten nicht in Washington, sondern in Europa unterzeichnen könnten, teilte der stellvertretende Leiter des Apparates der russischen Regierung, Juri Uschakow, am vorigen Freitag, dem 19. März, nach Verhandlungen zwischen dem russischen Premierminister Wladimir Putin und US-Außenministerin Hillary Clinton mit.
** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 24. März 2010; http://de.rian.ru
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