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Kein START am 5. Dezember?

Russland und USA machen wenig Hoffnung

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Eigentlich wollten Russland und die USA am Sonnabend ein Folgeabkommen für den am selben Tag auslaufenden START-1-Vertrag zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen unterzeichnen. Doch daraus scheint nichts zu werden.

Schon im Juli hatten sich Präsident Dmitri Medwedjew und sein USA-Kollege Barack Obama über neue, verringerte Obergrenzen für die strategischen Offensivwaffen beider Seiten verständigt. Außenministeriumssprecher Andrej Nesterenko lobte die Genfer Verhandlungen der Experten, die sich über die Endfassung des Vertragstextes einigen sollen, noch Mitte November als »sachlich und konstruktiv«. Dabei tritt man seit Wochen auf der Stelle. Auch die beiden Präsidenten konnten die Differenzen offenbar nicht ausräumen, als sie sich am 15. November am Rand des Asien-Pazifik-Gipfels in Singapur trafen. Am 27. November meldete Radio »Echo Moskwy« unter Berufung auf offizielle Quellen, der vorgesehene Termin könne wohl nicht gehalten werden. Und Ian Kelly, Sprecher des US-Außenministeriums, teilte am Montag mit, die USA rechneten mit einer Vorbereitung des Entwurfs des neuen Vertrags bis Ende Dezember. Zugleich schloss er nicht aus, dass der Entwurf doch bereits am 5. Dezember vorgelegt wird.

Strittig sollen vor allem zwei Punkte sein: die neuen Grenzen für Trägermittel von Kernsprengköpfen (bisher 1600) und die Kontrolle über Russlands mobile Raketensysteme des Typs »Topol«. Bei diesen besteht Washington auf einer Verschärfung der Mechanismen, denn die USA haben derzeit nichts Gleichwertiges. Moskau aber will die »Topol«-Systeme nicht in den Rang einer gesonderten Kategorie erheben. Zudem peilt es angeblich eine neue Grenze für Trägermittel von 500 an. Denn viele seiner vorhandenen Systeme sind veraltet und müssten ersetzt werden, wenn die USA sich durchsetzen, die auf 1100 Raketen pro Seite bestehen. Das aber würde Russlands Haushalt bis an die Schmerzgrenze belasten. START-1 hatte eine Obergrenze von 1600 Trägermitteln festgelegt, über die aber beide Seiten derzeit nicht verfügen.

Nicht nur technische Details belasten indes das Ringen um einen Folgevertrag für START-1. Auch das gegenseitige Misstrauen, das sich durch die Hegemonieansprüche der abgewählten Bush-Regierung in den letzten Jahren wie Mehltau über die russisch-amerikanischen Beziehungen gelegt hat, ist trotz gegenteiliger Sonntagsreden noch nicht vom Tisch. Vor allem das erklärt, warum Russland über Offensiv- und Defensivwaffen - Raketen und deren Abwehr - im Paket verhandeln und gleichzeitig eine Verbindung zur konventionellen Rüstung herstellen will.

Mit dem Aufschub der Stationierung des USA-»Raketenschilds« in Mittelosteuropa bis 2015, wie ihn Obama Mitte September verkündete, seien die damit verbundenen Bedrohungen für Russland nicht vom Tisch, warnte dessen NATO-Botschafter, Dmitri Rogosin kürzlich bei »Echo Moskwy«. Denn im Prinzip habe Obama nichts verändert. Seegestützte Abwehrsysteme im Mittelmeer oder in Nordeuropa könnten bald auch vor den Küsten Russlands auftauchen und wären ein »gewichtiges Argument bei regionalen Konflikten im Kaukasus oder bei der Eskalation des Streits mit der Ukraine um die Halbinsel Krim und die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte«.

Von Zugeständnissen der USA könne daher keine Rede sein. Das Misstrauen zwischen beiden Mächten bestehe weiter und werde fortlaufend von den Falken in Washington genährt. Alle militärischen Aktivitäten an Russlands Grenzen, warnte Rogosin, riefen bei den Militärs Besorgnis hervor. Ein politischer Neustart reiche nicht, das Vertrauen wiederherzustellen. Vielmehr müssten Russland und die NATO ein Abkommen über vertrauensbildende Maßnahmen auf militärischem Gebiet schließen, wie es an der russisch-chinesischen Grenze gilt.

Auch würde Moskau im START-Folgeabkommen gern einen prinzipiellen Zusammenhang zwischen atomarer und konventioneller Abrüstung - vor allem in Europa - herstellen. In Moskau sieht man die eigentlichen Bremser für das Inkrafttreten des überarbeiteten Abkommens über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) in Washington sitzen. Dieses Abkommen wurde 1999 von der OSZE beschlossen und trägt dem Ende des Warschauer Vertrags Rechnung. Weil die NATO-Staaten sich gegen die Ratifizierung sperren, gilt derzeit die alte, 1991 ausgehandelte Variante, die von der Konfrontation zweier zahlenmäßig etwa gleichwertiger Bündnisse ausgeht und Russland erhebliche Beschränkungen auferlegt, sogar für Truppenbewegungen im eigenen Land. Wladimir Putin, damals Präsident, setzte die Erfüllung des KSE-Vertrags daher Ende 2007 aus. Auch deshalb hätte ein europäischer Sicherheitsvertrag, für den Nachfolger Medwedjew wirbt, durchaus seine Berechtigung.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Dezember 2009


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