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Endlich Licht am Ende des Tunnels?

Hoffnung auf Fortschritte in Verhandlungen zwischen den USA und Russland

Von Wolfgang Kötter *

Wenn Barack Obama im Januar als Präsident der USA ins Weiße Haus einzieht, könnte auch in die seit langem festgefahrene Abrüstung wieder Bewegung kommen. Besonders wichtig wären Fortschritte in den Verhandlungen zwischen den beiden militärisch stärksten Mächten der Welt, den Vereinigten Staaten und Russland.

Momentan entzündet sich der Streit vor allem an der geplanten Stationierung der US-amerikanischen Raketenabwehr in Polen und Tschechien. Obwohl die Vorgängerregierung in Washington alles getan hat, um vor ihrem Amtsende die Stationierungspakete festzuzurren und vollendete Tatsachen zu schaffen, können beide Seiten noch umkehren, bevor es zu spät ist. Zwar sind die Verträge mit Prag über die Errichtung einer Radaranlage und mit Warschau über die Stationierung von 10 Abfangraketen unterschrieben, aber die Parlamente haben sie noch nicht ratifiziert und die entscheidenden Abstimmungen erst einmal auf kommendes Jahr verschoben.

Die tschechische Regierung unter Mirek Topolanek hat das Projekt zwar im Senat durchgedrückt, doch eine Zustimmung im Abgeordnetenhaus scheint fraglich. »Ich bin überzeugt, dass in Tschechien kein US-Radar aufgestellt wird«, meint Abgeordnetenhauschef Miloslav Vlcek. Das Radarabkommen werde nicht die notwendige Mehrheit finden, weil neben den Sozialdemokraten und den Kommunisten auch einzelne Abgeordnete der Regierungskoalition dagegen stimmen würden. Vom Koalitionspartner der konservativen Regierungspartei, den Grünen, baten sogar zwei Abgeordnete den designierten US-Präsidenten in einem Offenen Brief, das gesamte Vertragswerk nochmals zu überdenken, denn »70 Prozent der tschechischen Bevölkerung wünschen kein Radarsystem auf dem Territorium unseres Landes«.

Polens stationierungsfreudiger Präsident Lech Kaczynski jubelte zwar nach einem ersten Telefonat, Obama hätte ihm versichert, das Projekt fortzuführen. Doch das Dementi kam umgehend. Der künftige Präsident halte sich seine Optionen zum geplanten Raketenabwehrsystem in Mitteleuropa offen und habe sich »nicht festgelegt«, hieß es aus Washington. Auch der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski widersprach seinem Staatschef: »Wir müssen jede Entscheidung der US-Regierung akzeptieren, anstatt als Lobbyisten einer Pentagon-Fraktion aufzutreten. Was der designierte US-Präsident nicht sagte, dürfen wir ihm nicht unterstellen.«

Russlands Präsident Dmitri Medwedjew bietet seinerseits Verhandlungen über eine doppelte »Nulllösung« an. Moskau sei bereit, auf die Dislozierung von Raketen in der russischen Exklave Kaliningrad zu verzichten, wenn die USA ihre Stationierungspläne aufgäben. Außerdem habe Washington nicht auf das Angebot geantwortet, im Rahmen eines gemeinsamen Sicherheitssystems die Frühwarn- und Radaranlagen in Russland und Aserbaidshan zu nutzen. Die Iskander-Raketen und funkelektronischen Störsender würden nur dann wie angekündigt in Kaliningrad stationiert, wenn die USA tatsächlich eine Radaranlage in Tschechien und Abfangraketen in Polen aufstellen würden, versichert auch der russische Außenminister Sergej Lawrow. Die Raketen an der Ostseeküste seien nur zur »Neutralisierung der Bedrohung« durch den US-Raketenschild geplant. Moskau sieht dem Neuen im Weißen Haus durchaus optimistisch entgegen. Obama sei »offen für einen Meinungswandel«, erwartet Medwedjew: »Er ist zum Dialog bereit und vielleicht zur Streichung des Projekts.«

Erwartungsgemäß reagierte die Bush-Regierung ablehnend auf das Angebot. Aber die zukünftige Obama-Regierung sieht das Raketenprojekt weitaus kritischer und knüpft ihre Entscheidung an dessen Funktionsfähigkeit. Im Wahlkampf hatte der designierte Präsident erklärt: »Wenn wir verantwortungsbewusst eine Raketenabwehr stationieren können, die uns und unsere Verbündeten schützt, sollten wir das tun - aber nur, wenn das System funktioniert.« Er werde das Projekt nur unterstützen, »falls es keine Ressourcen von anderen Sicherheitsprioritäten abzieht und wenn wir überzeugt sind, dass die Technologie die amerikanische Bevölkerung wirklich schützt«.

Gerade das jedoch wird von den Kritikern bezweifelt. Allein das Osteuropa-Projekt soll 3,5 Milliarden Dollar kosten. Insgesamt hat der US-amerikanische Steuerzahler für die Entwicklung der Raketenabwehr bereits über 100 Milliarden aufbringen müssen. Bei einer Fortsetzung kämen jährlich mindestens 13 Milliarden hinzu. Auch die Zuverlässigkeit lässt zu wünschen übrig, denn von den bisherigen Raketentests schlug nahezu die Hälfte fehl. Selbst die als gelungen deklarierten Abschüsse fanden unter manipulierten Bedingungen statt. Im »Bulletin of the Atomic Scientists« rät der Kernphysiker Pavel Podvig von der Stanford University der neuen Regierung deshalb: »Statt über Voraussetzungen und Bedingungen der Stationierung von Abwehrraketen zu streiten, sollte Washington das bestehende Moskauer Angebot akzeptieren, seine Frühwarnanlagen in Armawir und Gabala zu nutzen, um ein gemeinsames Kontrollsystem zu bauen.«

Doch nicht nur darüber wird zu reden sein. Verhandlungen mit Russland hat Obama ebenfalls über die Senkung der atomaren Alarmbereitschaft, die Sicherung nuklearen Spaltmaterials, ein Verbot von Anti-Satellitenwaffen und »dramatische Einschnitte« in die Atomwaffenarsenale angekündigt. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf, denn die bilateralen START- und SORT-Verträge über strategische Offensivwaffen laufen ohne eine Nachfolgeregelung demnächst aus. Moskau drängt bereits seit längerem auf einen Dialog über weitere Reduzierungen der Kernwaffenarsenale.

Außenminister Lawrow gibt sich optimistisch. Man habe Obamas Positionen studiert und hoffe, mit ihm konstruktiv über Lösungen reden zu können. Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung wären auch wichtig, um die weitere Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Denn »ohne eine entschlossene Initiative für eine erneuerte nukleare Abrüstung wird es innerhalb einer Generation 20 bis 30 Kernwaffenstaaten geben und die Welt wird ein sehr gefährlicher Ort sein«, warnt der Leiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Harald Müller. Bereits im kommenden Frühjahr steht die Vorbereitung der nächsten Überprüfungskonferenz zum Kernwaffensperrvertrag an. Wenn bis dahin auch noch keine konkreten Ergebnisse zu erwarten sind, könnte zumindest die Aussicht auf neue Abrüstungsvereinbarungen zu ihrem Erfolg beitragen. Ob aber das Licht am Horizont die Abend- oder die Morgendämmerung ist, bleibt abzuwarten

* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2008


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