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START beendet Streit um US-Schild nicht

Moskau bleibt bei Kritik an Raketenabwehr

Ungeachtet ihrer Abrüstungsvereinbarung zu Atomwaffen streiten Russland und die USA weiter um die geplante US-Raketenabwehr in Europa.

Moskau behält sich das Recht vor, aus dem neuen START-Vertrag über die Reduzierung strategischer Offensivwaffen wieder auszusteigen, wenn es Washingtons Raketenpläne weiter als Bedrohung ansieht. »Der Vertrag enthält keine Bestimmungen, die den Aufbau einer US-Raketenabwehr erleichtern, die eine Gefahr für Russland darstellen würde«, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow dem Moskauer Fernsehsender »TV Zentr«.

Die Stationierung von Raketenabwehrkomponenten in Rumänien werde lediglich in getrennten Erklärungen zum START-Vertrag »in unverbindlicher Sprache« erwähnt, berichtete indes die »New York Times«.

US-Präsident Barack Obama und Kremlchef Dmitri Medwedjew hatten sich am Freitag telefonisch auf das neue Abkommen zur Reduzierung strategischer Offensivwaffen geeinigt, das am 8. April in Prag unterzeichnet werden soll. Bis zuletzt habe der seit Langem schwelende Streit um die Raketenabwehr die START-Einigung gefährdet, meldete die Zeitung am Wochenende. Erst in letzter Minute habe Russland nachgegeben. Noch Ende Februar habe es bei einem Telefongespräch zwischen Obama und Medwedjew Ärger gegeben. Obama habe offen gedroht, den Deal doch noch platzen zu lassen, berichtete das Blatt unter Berufung auf US-Regierungsquellen.

Russland hatte den Raketenschutzschild stets als Bedrohung für seine Sicherheit abgelehnt. Die USA behaupten, das System ziele nicht auf russisches Gebiet. Moskau und Washington hatten seit vergangenem Sommer über ein Nachfolgeabkommen für den im Dezember 2009 ausgelaufenen START-Vertrag verhandelt.

»Das START-Abkommen ist erstens wichtig, um die strategische Stabilität in der Welt zu verbessern«, sagte Lawrow. Zweitens werde dank des Vertrags bald der Punkt erreicht, an dem auch die anderen Atommächte in den Abrüstungsprozess mit einbezogen werden müssten.

Die EU begrüßte die Einigung. Das neue START-Abkommen sei ein »bemerkenswerter Fortschritt in der Erfüllung der Abrüstungsverpflichtungen der Beteiligten«, sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Wochenende in Brüssel. Es bedeute auch einen Sicherheitsgewinn für die gesamte internationale Gemeinschaft.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen forderte unterdessen erneut, Russland mit unter das Dach eines transatlantischen Raketenabwehrsystems zu nehmen. Damit könnten sich die Mitglieder der westlichen Allianz und Russland gemeinsam gegen Bedrohungen von Staaten wie beispielsweise Iran schützen. Die Einbeziehung Russlands werde allerdings auch »praktische Herausforderungen« nach sich ziehen wie bei der Frage nach der Teilung vertraulicher Informationen.

Rasmussen rief Europa zu höheren Ausgaben für ein gemeinsames Raketenabwehrsystem der Allianz auf. Der Reformvertrag von Lissabon habe die EU »mit einer stärkeren Verteidigungs- und sicherheitspolitischen Dimension« ausgestattet, sagte er am Wochenende bei einer Sicherheitskonferenz in Brüssel. Dies werde aber ein »Papiertiger« bleiben, wenn dem nicht Beiträge zu notwendigen militärischen Projekten folgten. Die Raketenabwehr könne einer der Schlüsselbereiche der gemeinsamen Verteidigung werden, betonte Rasmussen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. März 2010


Neu-START

Von Detlef D. Pries **

Ganz ohne Zweifel: Die Einigung auf ein neues Abkommen über den Rückbau der Atomwaffenarsenale Russlands und der USA ist ein ermutigendes Zeichen. Die Ratifizierung des ausgehandelten Vertrags vorausgesetzt, werden beide Staaten ihre Bestände an strategischen Offensivwaffen immerhin um 30 Prozent verringern. Es ist allerdings weniger der Umfang der Reduzierung, der ermutigt. Die jeder Seite verbleibenden 1550 Atomsprengköpfe reichen allemal, die Erde für menschliches Leben unbrauchbar zu machen. Ob dieser Schritt der beiden mit Abstand kernwaffenreichsten Staaten ausreicht, andere Atommächte ebenfalls zur Abrüstung und atomare »Habenichtse« zum Verzicht zu bewegen, bleibt fraglich. Zumal die USA von ihrer Strategie des »vorbeugenden« Ersteinsatzes von Atomwaffen selbst gegen Staaten, die kein solches »Teufelszeug« besitzen, bisher nicht abgerückt sind. Auch Russland setzt in seiner neuen Militärdoktrin auf eine abschreckende Wirkung von Nuklearwaffen. Überdies dauert der Streit um ein Raketenabwehrsystem der USA in Europa an: Russland will und kann kein solches System akzeptieren, solange es nicht gemeinsam betrieben wird, und behält sich daher gegebenenfalls den Ausstieg aus dem »Neuen START-Vertrag« vor. Ermutigend ist deshalb vielmehr, dass die Blockade überwunden scheint: Erstmals in diesem Jahrhundert wurde wieder ein Abrüstungsschritt vereinbart. Das ist ein Neu-START – für einen wahren Marathon.

** Aus: Neues Deutschland, 29. März 2010 (Kommentar)


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