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"Nichts hält sich so zäh in der Welt wie Torheiten"

Gespräch mit Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag

Im Folgenden dokumentieren wir ein Gespräch, das die Wochenzeitung uz (unsere zeit) im Anschluss an den Friedenspolitischen Ratschlag 2007 mit einem seiner Organisatoren von der AG Friedensforschung führte.



UZ: In deinem Eröffnungsbeitrag zum 14. Friedenspolitischen Ratschlag hast du davon gesprochen, dass wir uns weltweit in einer brisanten Übergangszeit befinden. Was hast Du damit gemeint?

Peter Strutynski: Mit der epochalen Wende 1989/91 haben sich die weltpolitischen Koordinaten grundlegend verändert. Das realsozialistische (Halb-)Weltsystem hatte aufgehört zu existieren, der siegreiche Kapitalismus feierte seinen Triumph mit einer beispiellosen Welle der Neo-Liberalisierung der Märkte, des Welthandels und der Arbeitsbeziehungen. Diese eindeutige Weichenstellung zur Durchkapitalisierung der Weltwirtschaft fand in der internationalen Politik keine direkte Entsprechung. Ich möchte vier Beispiele nennen. Erstens: Einer Phase der durchaus bemerkenswerten Abrüstung (so sanken die weltweiten Rüstungsausgaben bis Mitte der 90er Jahre um ein Drittel!) folgte eine Phase der Wiederaufrüstung, die Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts an die Hochrüstung des "Kalten Kriegs" anknüpfte und offenbar weiter nach oben gerichtet ist. Zweitens war das Ende des Kalten Kriegs bezeichnenderweise begleitet von einer Zunahme "heißer" Kriege, wozu der zweite Golfkrieg 1991 den Startschuss gab. Drittens wird die zunächst uneingeschränkte hegemoniale Stellung der Supermacht USA in den letzten Jahren von den Verlierern des Umbruchs (v. a. Russland), den "Riesen" unter den Entwicklungsländern (China, Indien), einigen Ländern der Europäischen Union und nicht zuletzt den sich emanzipierenden Gesellschaften Lateinamerikas zunehmend in Frage gestellt. Viertens wächst international die Einsicht, dass die großen Menschheitsprobleme wie Hunger, Armut oder die drohende Klimakatastrophe nur gemeinsam von der Staatengemeinschaft gelöst werden können, was die großen Mächte allerdings nicht daran hindert, weiterhin ihre nationalen Interessen durchsetzen zu wollen. Niemand kann heute mit Sicherheit sagen, welche Trends und Interessen sich künftig durchsetzen werden.

UZ: Du sagst, der Kalte Krieg sei eigentlich nur in Europa beendet. In Ostasien und im Pazifik sei er immer noch im Gange. Kann man das so sagen? War denn das Substantielle des Kalten Krieges nicht vor allem die Systemkonfrontation und Ringen zweier Supermächte um die Vorherrschaft im Weltmaßstab?

Peter Strutynski: Richtig: Es ging um die Auseinandersetzung zweier Systeme, zweier unterschiedlicher ökonomischer und sozialer Prinzipien, zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Dabei hatte keines der Systeme grundsätzlich den Anspruch auf seine weltweite Durchsetzung aufgegeben. In außenpolitischer Beziehung gab es aber einen wichtigen Unterschied: Das Programm des kapitalistischen Westens war seit der berüchtigten Truman-Doktrin von 1947 auf die offensive Bekämpfung und Zurückdrängung des Sozialismus gerichtet. Demgegenüber verfolgten die Sowjetunion und ihre Verbündeten mit der "friedlichen Koexistenz" eher eine Politik der eigenen ökonomischen und politischen Stabilisierung sowie der Aufrechterhaltung des weltpolitischen Status quo. Diese Rechnung ist, wie wir gesehen haben, zumindest in Europa, in die Hosen gegangen. In Asien und im pazifischen Raum stellen sich andere Fragen. Unabhängig davon, ob die ökonomische Aufholjagd der Volksrepublik China im Sozialismus oder im Kapitalismus enden wird (vieles spricht aus meiner Sicht im Moment für letzteres), nimmt die weltpolitische Rivalität zwischen den USA und China Züge des überwunden geglaubten "Kalten Kriegs" an.

UZ: Den "Antiterrorkrieg" nennst du einen neuen Kalten Krieg, der bei Bedarf auch heiß geführt wird. Gleichzeitig sei er die "Grundtorheit des 21. Jahrhunderts". Ist diese Torheit in absehbarer Zeit überwindbar? Was sind die Voraussetzungen?

Peter Strutynski: Nichts hält sich so zäh in der Welt wie Torheiten. Schon aus diesem Grund muss leider damit gerechnet werden, dass der unheilvolle "Antiterrorkrieg" noch längere Zeit weiter geht. Die USA verwenden 45 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben für ihren globalen Krieg. Und die Europäische Union weiß nichts besseres, als sich diesem Irrsinn anzuschließen und sich ebenfalls - wenn auch auf bescheidenerem Niveau - für weltweite Militärinterventionen fit zu machen. Ich denke, dieser Wahnsinn ist nur zu stoppen, wenn die Regierungen zu rechtsstaatlichem Handeln im Inneren und zur Einhaltung des Völkerrechts in den Außenbeziehungen zurückkehren. Das wäre ja vielleicht noch möglich, wenn es wirklich nur um die Bekämpfung der Schwerkriminalität "Terrorismus" ginge. In Wahrheit dient der Terror aber dazu, Interventions- und Kriegsvorwände zu liefern - z. B. in Staaten und Regionen, die über interessante Rohstoffe, insbesondere Kohlenwasserstoffe verfügen. Der "Krisenbogen" vom Maghreb über den Nahen und Mittleren Osten bis nach Zentralasien ist - wen wundert es? - nicht nur die konfliktreichste, sondern auch die energiereichste Region der Erde. Die USA und andere Energiefresser müssen gezwungen werden, Energie einzusparen, auf erneuerbare Energie umzustellen und den Rest an benötigter fossiler Energie zu normalen Marktkonditionen einzukaufen.

UZ: Du sagst die "transatlantische Geschlossenheit" geht nach dem Kalten Krieg verloren. Europa, Japan und die USA stehen sich wie vor 100 Jahren zunehmend als Rivalen gegenüber. Andererseits gehen diese Mächte bei allen "Anti-Terror"-Aktionen mehr oder weniger geschlossen vor. Wie passt das zusammen oder was driftet da eher auseinander?

Peter Strutynski: Nun, auch die Staaten der Europäischen Union, vor allem das wieder großmächtige Deutschland, nutzen den sogenannten "Krieg gegen den Terror", um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Der Aufbau der EU-Eingreiftruppen oder der EU-Battlegroups und andere Aufrüstungsmaßnahmen einschließlich der militärischen Verstärkung der EU-Außengrenzen (z. B. Frontex) sind Schritte, um eine eigenständige Weltmachtrolle einzunehmen und zugleich die Wohlstandsfestung Europa gegen die Habenichtse aus der Dritten Welt zu verteidigen. Wenn man die Militarisierung der Politik will, dann kommt jedes Feindbild gerade recht. Und der islamistische Fundamentalismus oder wie man den Feind auch nennen mag, eignet sich für beide, die USA und Europa, als Projektionsfläche für eine aggressive Außenpolitik. Die transatlantischen Gemeinsamkeiten sind aber damit schon fast erschöpft. Übrig bleiben "national" verbrämte ökonomische und geostrategische Interessen, deren Durchsetzung nicht mehr gemeinsam, sondern nur gegeneinander möglich erscheint. Wobei übrigens für die Europäische Union vollkommen offen ist, ob sie künftig gemeinsam als ein Konkurrent gegen die USA, China und Russland auftritt oder doch wieder in verschiedene Nationalismen zerfällt. Deutschland jedenfalls spielt sehr gern die europäische Karte, weil es auf sich allein gestellt zu wenig ökonomische Potenz aufweisen würde. Außerdem werden deutsche Alleingänge aus historischen Gründen im Ausland nicht gern gesehen.

UZ: Du nimmst den Gedanken von Immanuel Wallerstein auf, dass die USA eine absteigende Weltmacht seien, die nur noch militärisch führend sei. Wallerstein stellt die Frage, ob die USA in "Würde" als führende Macht abtreten könnten. Ist es nicht eher so, Würde hin oder her, dass die USA - ob auf- oder absteigend - bei Strafe des eigenen Unterganges ihre Machtposition verteidigen werden?

Peter Strutynski: Die Frage nach dem "Untergang" stellt sich nicht für die amerikanische Gesellschaft, sondern allenfalls für die ökonomisch und politisch herrschende Elite. Auch eine Weltmacht wie die USA könnte sich, statt auf ihre Waffen, auf ihre ökonomische Kraft, ihre freiheitlichen Traditionen und ihre zivilisatorischen, wissenschaftlichen und kulturellen Potenziale besinnen, um weiterhin eine führende Rolle in der Welt zu spielen. Aus Gründen der Wohlfahrt des Landes wäre eine drastische Senkung der Rüstungsausgaben ohnehin eine vordringliche Aufgabe der USA. Einen Militärhaushalt, der größer ist als der Gesamthaushalt etwa der Bundesrepublik Deutschland, kann sich keine noch so starke Volkswirtschaft auf lange Sicht erlauben. Die Crux ist nur, dass selbst nach dem Abtritt des Kriegspräsidenten Bush eine grundlegende Änderung seiner Politik nicht zu erwarten ist. Die USA rettet kein Präsidentenwechsel, sondern nur ein Politikwechsel. Wenn der ausbleibt, dann werden die USA mit ihrem Abstieg noch so manches andere niederreißen - zum Schaden der ganzen Menschheit.

Die Fragen stellte Adi Reiher

Aus: unsere zeit, Nr. 51/52, 21. Dezember 2007


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