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Jeder möchte frei sein

Das Ende der westlichen Weltherrschaft

Von Peter Bender *

Dieses Buch reizt zum Lesen und nötigt zum Nachdenken. Es ist kurz, glänzend geschrieben, klar argumentierend. Es beeindruckt gleichermaßen durch Realismus und Idealismus. Der Realismus zeigt sich im Untertitel »Das Ende der westlichen Weltherrschaft«, der Idealismus verbirgt sich im Haupttitel »Was bleibt von uns?«. Da gibt es also etwas, das die Herrschaft des Westens überlebt.

Den Machtverfall beschreibt Jan Roß, politischer Redakteur der »Zeit«, ohne die üblichen Beschönigungen und Einschränkungen. Nicht nur das alte Europa, auch das jüngere Amerika hat seinen Höhepunkt hinter sich und befindet sich im Abstieg, ganz gleich, wie schnell Chinesen und Inder hochkommen, die dem Westen technische und ökonomische Modernisierung abgucken. Der Westen wird Opfer seiner selbst, wird mit den eigenen Waffen geschlagen: Die Globalisierung war einst sein Weg in die »Dritte Welt«, aber wurde nun zum Einfallstor in umgekehrter Richtung; und die Asiaten sind schneller. Gegenüber der globalen Kraft- und Machtverschiebung verringern sich die amerikanisch-europäischen Gegensätze zum Familienstreit. Um klarzumachen, was vorgeht, vergleicht Roß die deutschen und indischen Wünsche nach einem Sitz im UN-Sicherheitsrat. Die Deutschen würden auf das Veto verzichten, um nur hineinzukommen, die künftige Weltmacht Indien könne sich gar nicht mit einem Platz in der zweiten Reihe begnügen.

Doch vor knapp zwei Jahrzehnten sah sich alles ganz anders an. Die Sowjetunion war am Ende, für Demokratie und Marktwirtschaft gab es keinen ideologischen Gegner mehr, einer Globalisierung des Westens schien nichts mehr im Wege zu stehen. Nicht nur die Amerikaner gingen daran, die Welt zu bekehren, Roß zeigt, dass auch die Europäer es versuchten. Die Methoden unterschieden sich stark, aber in der Zielsetzung »war die EU kaum weniger missionarisch als die Vereinigten Staaten«. Doch der Siegesgewissheit folgte der schnelle Absturz in die neue multipolare Welt, die dem Westen nicht nur Grenzen setzt, sondern ihn sogar in die Defensive drängt. Der Absturz war, wie der Autor darlegt, durchaus selbst verschuldet. Auch »liberaler« oder »wohlwollender« Imperialismus der Amerikaner war Imperialismus, auch die europäischen Mahnungen zu sozialem Fortschritt, good governance und Zivilgesellschaft verrieten eine Überlegenheitshaltung, die Abwehr hervorrufen musste. Die Macht des Westens schwindet, seine Mission scheitert. Was ist da zu tun, fragt der Autor.

Die erste Antwort lautet, dass die Macht so schnell nicht schwindet. Die Vereinigten Staaten bleiben der mächtigste Staat und Vorbild der Aufhol-Länder. Auch Europa bleibt im Vergleich zu den Nöten der übrigen Welt eine Insel der Seligen. Aber das ist nur eine Antwort auf Zeit. Die Botschaft, auf die alle Überlegungen dieses Buches hinlaufen, lautet: Auch wenn die physische Macht des Westens zurückgeht, bleibt die geistige Macht, der die übrige Welt nichts entgegenzusetzen habe. Die »globale Bestimmung des Westens« sei daher die »humanisierende ,Durchdringung und Transformation« der Welt: Als historisches Vorbild dienen die Griechen, die, selbst machtlos, die Nachfolgereiche Alexanders und die Römer mit ihrer Zivilisation durchdrungen und geprägt haben. Aufgabe des Westens sei, »die Griechen einer globalisierten Welt zu sein«.

Schön wäre es, wenn es so würde. Aber sind die nicht-westlichen Zivilisationen so schwach und wehrlos, dass westliche Werte sie durchdringen können? Der Islam inspiriere niemanden außer den eigenen Gläubigen. Aber seit Jahren sind zahllose dieser Gläubigen bereit, für den Islam in den Tod zu gehen. Wie viele Verfechter von Demokratie und Menschenrechten wären dazu bereit? Als die »asiatischen Werte« nennt Roß »Familie, Gemeinschaft, Staat, Respekt vor dem Alter, Fleiß in Bildung und Arbeit, gesunder Sinn für Hierarchie und Autorität, Disziplin und Selbstdisziplin«. Doch all das zu propagieren, sei zynisch, weil es nur der Machtwahrung autoritärer Regime diene. Aber welchen üblen Zwecken hat die Propagierung von Demokratie schon gedient?! Und wir bleiben trotzdem Demokraten.

Die Griechen konnten die Mittelmeerwelt hellenisieren, weil Alexanders Makedonen und die Römer ohne vergleichbare Kultur und daher offen waren für fremden Einfluss. »Im Zentrum der chinesischen Erfolgsgeschichte« sieht Jan Roß ebenfalls einen gewaltigen »Hohlraum«, weil Peking westlichen Menschenrechtsforderungen ausweicht. Kann man das so einfach behaupten von einem Land, dessen Selbstbewusstsein nicht nur seiner erfolgreichen Rivalität mit Amerika entspringt, sondern auf einer Geschichte und Tradition ruht, die Europäer und Amerikaner als Parvanus erscheinen lassen? Auch sonst geht der Autor etwas zu schnell um den Globus. Indien, Indonesien und die Philippinen zählt er schon »zur demokratischen Familie«, Russland verachtet er als eine »Großmacht des Ressentiments«.

Die Werte des Westens, Roß' stärkstes Argument, sind universell. Kein Mensch will gefoltert werden, jeder möchte frei sein von Not, Furcht und Gewaltherrschaft. Die Welt wäre für alle Menschen lebenswert, wenn alle Länder danach lebten. Aber das tun sie nicht und werden sie nicht tun. Roß' Hoffnung, die humane Botschaft des Westens werde die Welt veredeln, ist eine schöne Utopie. Wenn es eine historische Aufgabe für Europäer und Amerikaner gibt, dann wird sie darin bestehen, die Botschaft im Inneren zu bewahren und nach außen zu verteidigen. Das war auch, soweit der Vergleich trägt, die gemeinsame Leistung der Griechen und Römer für die Nachwelt.

Jan Roß: Was bleibt von uns? Das Ende der westlichen Weltherrschaft. Rowohlt, Berlin 2008. 220 S., geb., 17,90 EUR.

* Von Peter Bender, ehemaliger WDR- und ARD-Korrespondent, erschien 2003 das Buch "Weltmacht Amerika - Das Neue Rom" (Klett-Cotta).

Aus: Neues Deutschland, 5. Juni 2008



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