Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Pionierexpress" gegen Streubomben

In Oslo startet eine internationale Konferenz zum Verbot von Streumunition

Von Wolfgang Kötter *

In Norwegens Hauptstadt kommen heute (22. Februar) Vertreter von mehr als 40 Regierungen und internationalen Organisationen zur "Oslo Conference on Cluster Munitions" zusammen, begleitet werden sie von hunderten Aktivisten der Internationalen Kampagne gegen Streumunition ("Cluster Munition Coalition"- CMC). "Wir müssen jetzt konkrete Maßnahmen ergreifen, um dem großen menschlichen Leiden ein Ende zu setzen, das durch Streumunition verursacht wird", sagt Gastgeber, Außenminister Jonas Gahr Støre, "und wir sind froh darüber, dass immer mehr Menschen ein internationales Verbot von Streumunition fordern, die unannehmbare humanitäre Konsequenzen hat. Norwegen übernimmt jetzt eine führende Rolle, um ein solches Verbot zu erreichen."

Die "Cluster Bombs" bestehen aus mehreren Sprengsätzen in einer Bombe. Sie werden von Flugzeugen abgeworfen, können aber auch als Streumunition verschossen werden. Die Behälter öffnen sich noch in der Luft und verbreiten bis zu 200 "Bomblets", die kaum die Größe von Coladosen haben. Deren Füllung wiederum kann aus Splittergeschossen oder Minen bestehen. Manche explodieren beim Aufprall auf gegnerische Panzer, Fahrzeuge oder auf den Erdboden, oft jedoch bleibt dies durch eine dichte Vegetation oder weichen Untergrund zunächst aus. Bei einer Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent verwandeln sich "Cluster Bombs" dann faktisch zu Landminen mit langer Lebenszeit. Wird Streumunition mittels Artillerieraketen, Haubitzen oder Mörsern eingesetzt, verbreiten sich innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen an Splittern über ein großes Gebiet, sodass sie Menschen noch in über hundert Metern Entfernung treffen können.

Auf zahlreichen Konfliktschauplätzen bedeutet nicht-detonierte Munition eine tödliche Gefahr für Kriegsflüchtlinge auf der Nahrungssuche, für Rückkehrer, die nach den Kämpfen ihre Felder bestellen wollen, aber auch für Hilfsorganisationen und internationale Friedenstruppen. Einer Studie von Handicap International zufolge sind 98 Prozent der Opfer Zivilisten. Angewendet wurden "Cluster-Bomben" bereits in rund 25 Ländern, darunter in Afghanistan, im Kosovo, in Tschetschenien und im Irak. Letzter Auslöser für die jetzige Initiative war der Libanon-Krieg im vergangenen Sommer. Während der 34-tägigen Kämpfe im Juli und August setzte vor allem die israelische Armee millionenfach, aber auch die Hisbollah-Miliz Streumunition gegen Wohngebiete ein. Sie übersäten den Boden im Südlibanon mit über einer Million nicht explodierter Sprengkörper, denen seither mehr als 200 Menschen zum Opfer gefallen sind.

Vergeblich forderten Staaten wie Norwegen, Belgien, Irland, Kambodscha, Mexiko, Neuseeland, Österreich und Schweden auf der letzten Überprüfungskonferenz zur Konvention über inhumane Waffen im vergangenen November, Verbotsverhandlungen zu Streumunition aufzunehmen. Wie seinerzeit bei den Antipersonenminen, sperren sich jedoch die Produzenten und Anwender solcher Munition hartnäckig und lenken mit halbherzigen Vorschlägen wie z.B. über Blindgängerquoten von einem umfassenden Verbot ab. Zu den Verweigerern gehören Australien, China, Großbritannien, Indien, Japan, Pakistan, Russland und die USA. "Nach fünf Jahren Reden haben es die Staaten nicht geschafft, eine Waffenart zu ächten, die Zivilisten bei ihrer Anwendung und noch lange nach Beendigung des Konflikts verstümmelt und tötet," beklagt Thomas Nash, Koordinator der rund 150 Organisationen vereinenden Cluster Munition Coalition: "Die Nichtregierungsorganisationen rufen alle für den Schutz von Zivilisten eintretenden Staaten auf, vordringlich die Arbeit an einem neuen Vertrag zu beginnen, so wie sie es bei den Antipersonenminen getan haben."

Diesem Appell folgen nun die Vorreiter einer durchgreifenden Lösung. Die in Oslos Soria Moria Conference Center tagende "Pioniergruppe" von Vorreiterstaaten wird einen Verbotsvertrag aushandeln. Er soll die Anwendung und den Transfer von Streumunition verbieten, zur Vernichtung bestehender Arsenale verpflichten und die Räumung minenverseuchter Gebiete ebenso einschließen wie die Hilfe für betroffene Opfer. Mit dem heute begonnen Prozess und mit Unterstützung der Internationalen Kampagne gegen Streumunition soll ein politischer Druck entstehen, durch den weitere Staaten folgen und schrittweise eine umfassende Ächtung von Streumunition erreicht wird. Es gibt bereits ein Beispiel dafür, dass das Projekt funktionieren kann: Vor zehn Jahren konnte in der Rekordzeit von nur 14 Monaten die Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen ausgehandelt werden, der heute 152 Staaten angehören. Die Internationale Anti-Minen-Kampagne erhielt für ihre Bemühungen im Jahre 1997 den Friedensnobelpreis. Die im Aktionsbündnis Landmine.de zusammengeschlossenen deutschen Nichtregierungsorganisationen rufen die Bundesregierung auf, noch in in diesem Jahr eine Anschluss-Konferenz über ein Verbot von Streumunition zu veranstalten und damit den „Oslo-Prozess“ weiter voranzutreiben.

Zu den Staaten, die Vertragsverhandlungen für ein Verbot von Streumunition unterstützen, gehören: Argentinien, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Chile, Costa Rica, Dänemark, Deutschland, Guatemala, Irland, Italien, Kambodscha, Kroatien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Österreich Peru, Portugal, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Vatikanstadt.


Die Zahlen!
  • 24:
    Anzahl der von Streumunition betroffenen Länder bzw. Regionen, darunter Afghanistan, Albanien, Äthiopien, Bosnien-Herzegowina, Eritrea, Irak, Kosovo, Kuwait, Kambodscha, Laos, Libanon, Pakistan, Syrien,Tadschikistan, Tschetschenien, Vietnam, Westsahara.
  • 34:
    Anzahl der Staaten, die Streumunition herstellen, darunter China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Iran, Israel, KDVR, Russland, Schweiz, Türkei, USA.
  • Mindestens 73:
    Anzahl der Staaten, die Streumunition besitzen, darunter Algerien, Bosnien-Herzegowina, China, Deutschland, Griechenland, Japan, Pakistan, Russland, Südafrika, USA (eine Mrd. Submunitionen im Arsenal).
  • 12:
    Anzahl der Staaten, die Submunition exportieren oder exportiert haben: Ägypten, Brasilien, Chile, Deutschland, Großbritannien, Israel, Ex-Jugoslawien, Russland, Schweden, Südafrika,USA.
(Angaben nach: Handicap International und Cluster Munition Coalition)



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - unter dem Titel "'Pioniergruppe' für Ächtung der Streumunition" im Neuen Deutschland vom 22. Februar 2007

46 Staaten für Verbot der Streumunition

Internationale Konferenz in Oslo beendet

Auf einer internationalen Konferenz in Oslo haben sich 46 Staaten am Freitag auf ein Verbot der gefährlichen Streubomben ab 2008 geeinigt.

46 der 49 Teilnehmerstaaten der Konferenz von Oslo stimmten am 23. Februar 2007 der Schlusserklärung zu, teilte Raymond Johansen, Staatssekretär im norwegischen Außenministerium, mit. Die Übereinkunft sei ein »großer Fortschritt« im Bemühen um die Ächtung dieser Bomben. Unter den Teilnehmern der Konferenz waren auch Deutschland und Großritannien. Nur Japan, Polen und Rumänien verweigerten ihre Zustimmung. Die USA, Russland, China und Israel nahmen an der Konferenz nicht teil.

Das in Oslo zum Abschluss der zweitägigen Konferenz verabschiedete Dokument sieht ein Verbot »der Verwendung, der Produktion, der Lieferung und der Lagerung von Streubomben« vor. Diese Waffen richteten unter Zivilisten »nicht hinnehmbare Schäden« an, hieß es. Das Gastgeberland Norwegen hofft auf einen ähnlichen Durchbruch wie 1997, als das Land eine Konferenz ausrichtete, die schließlich zur Internationalen Konvention zur Ächtung von Antipersonenminen führte. Heute haben 152 Länder die Konvention unterschrieben.

Indes warf die Hilfsorganisation Handicap International Deutschland der Bundesregierung eine Verzögerungstaktik bei den Verhandlungen zum Verbot von Streubomben vor. Deutschland produziere und verkaufe nach wie vor Streubomben und mache damit ein Geschäft, sagte der Geschäftsführer der Organisation, Francois De Keersmaeker, am Freitag im Deutschlandradio Kultur. Wenn erst in einem knappen Jahr weiterverhandelt werde, habe die Industrie genügend Zeit neue Waffen zu entwickeln. Streubomben stellen nach Ansicht vieler Hilfsorganisationen mittlerweile ein ähnlich großes Problem dar wie Anti-Personen-Minen. Denn die Bomben verteilen großflächig Streumunition, die wegen der fehlenden Zielausrichtung vor allem Zivilisten verletzt.

De Keersmaeker sagte, die Industrie habe noch genug Zeit, eine neue Generation von Waffen zu entwickeln und so im Geschäft zu bleiben. Deutschlands Rolle in Oslo sei nicht glaubwürdig. Einerseits äußerten deutsche Vertreter Vorschläge für Texte und Initiativen, andererseits wolle Deutschland nur im Rahmen der UN-Verhandlungen diskutieren. »Die Regierungen verhandeln dort seit 30 Jahren und wissen noch besser als die Hilfsorganisationen, dass das in die Sackgasse führt«, so De Keersmaeker.

Aus: Neues Deutschland, 24. Februar 2007




Zurück zur "Waffen"-Seite

Zur "Streubomben"-Seite

Zurück zur Homepage