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Nach der Explosion einer Phosphor-Bombe ensteht eine Wolke, die alle Lebewesen im Umkreis von 150 Metern tötet

Mehr über den Einsatz von weißem Phosphor im Irakkrieg

"Nach dem US-Verteidigungsministerium hat auch die britische Regierung den Einsatz von weißem Phosphor im Irak bestätigt. "Britische Truppen besitzen weißen Phosphor, aber um Rauch zu erzeugen, und dafür wurde es auch im Irak benutzt", sagte ein Sprecher von Premierminister Tony Blair am 16. Nov. in London." (Agenturmeldung vom 16. Novemver 2005)
Im Folgenden werfen wir drei weitere Schlaglichter auf den Phosphor-Skandal.


Experte: Phosphor-Einsatz im Irak war nicht selektiv

MOSKAU, 17. November (RIA Nowosti). Weißer Phosphor kann nicht selektiv eingesetzt werden, so kommentierte Dr. sc. Lew Fjodorow, Vorsitzender des Verbandes "Für chemische Sicherheit", die Verwendung von Phosphor-Bomben als Waffe im Irak.

Das US-Verteidigungsministerium hatte am Vortag [16.11.2005] zugegeben, Phosphor als militärische Waffe gegen Terroristen im Irak eingesetzt zu haben. Pentagon-Sprecher Barry Venable erklärte am Mittwoch, der Einsatz von Phosphor habe sich nicht gegen Zivilpersonen gerichtet.

Im November 2004 sei weißer Phosphor in Falluja tatsächlich als Brandwaffe gegen feindliche Kämpfer eingesetzt worden. "Weißer Phosphor wurde gebraucht, um verschanzte Terroristen aus ihren Stellungen auszuräuchern, und nur dann, wenn die Anwendung der Artillerie und sonstiger Waffen unzulässig war", sagte der Pentagon-Sprecher.

Weißer Phosphor als Brandwaffe könne grundsätzlich nicht selektiv eingesetzt werden, sagte Lew Fjodorow in einem Interview für das russische Fernsehen. Der Phosphor in solchen Bomben sei vom synthetischen Kautschuk umhüllt. Bei der Detonation fliegen brennende Teile in alle Richtungen. Wo sie festkleben, brennen sie, bis der Phosphor vollständig verbrannt ist. "Das kann man nicht stoppen", sagte der russische Wissenschaftler. "Diese Waffe steht zwar nicht auf der Liste der ABC-Waffen, doch aus der Sicht des Schutzes ist das eine richtige Massenvernichtungswaffe. Sie wirkt nicht selektiv."

Der Einsatz der Phosphor-Bomben ist seit 1980 von der UN-Konvention über konventionelle Waffen verboten, und zwar dann, wenn die Gefahr besteht, dass bei ihrem Einsatz Zivilisten betroffen werden können. Aber die USA haben diese Konvention nicht unterzeichnet, deshalb drohe ihnen keine Strafe, auch wenn das US-Militär in der irakischen Stadt öffentliche Plätze bombardiert hat, sagte Fjodorow.

Der italienische TV-Sender RAI News24 hatte am 8. November berichtet, die Phosphor-Angriffe seien direkt gegen Zivilpersonen gerichtet gewesen, die zum Teil Brandwunden bis auf die Knochen davongetragen haben sollen. Wie ein US-Armeeangehöriger in der Sendung sagte, entsteht nach der Explosion einer Phosphor-Bombe eine Wolke, die alle Lebewesen im Umkreis von 150 Metern tötet. Er habe mit eigenen Augen verbrannte Leichen von Frauen und Kindern gesehen.

Die amerikanische Regierung hatte im Dezember 2004 den Einsatz der verbotenen Waffen als "Mythos" dementiert.

Quelle: Nachrichtenagentur Nowosti: http://de.rian.ru



Feindbeleuchtung

Kriegstechnisches zum Einsatz von weißem Phosphor

Das Pentagon hat inzwischen den Einsatz von weißem Phosphor gegen Iraker zugegeben. Nur feindliche Kämpfer seien damit überschüttet und geschmolzen worden. Zuvor hatte die US-Regierung stets behauptet, weißer Phosphor sei allein zur Beleuchtung gegnerischer Stellungen verwendet worden. Doch erstens berichteten in der März-April-Ausgabe 2005 von Field Artillery Captain James T. Cobb, First Lieutenant Christopher A. LaCour und Sergeant First Class William H. Hight vom Einsatz von weißem Phosphor (WE) gegen Kämpfer, wenn High Explosives (HE) nicht reichten:

White Phosphorous. WP proved to be an effective and versatile munition. We used it for screening missions at two breeches and, later in the fight, as a potent psychological weapon against the insurgents in trench lines and spider holes when we could not get effects on them with HE. We fired “shake and bake” missions at the insurgents, using WP to flush them out and HE to take them out.

Weißer Phosphor bewährte sich als wirksame und vielseitige Munition. Wir benutzten ihn als zweifache Sichtwandwand, und später im Kampf als mächtige psychologische Waffe gegen die Aufständischen in Gräben und Spinnenlöchern, wenn wir mit hochexplosiver Munition keine Wirkung erzielten. Wir feuertern "shake and bake" missions (Schüttel-und-Brat-Salven) auf die Aufständischen: weißer Phosphor scheuchte sie auf, und die hochexplosive Munition löschte sie aus.

Zweitens zeigt das von RAI24 ausgestrahlte Video Bilder von einem WP-Streueinsatz aus Hubschraubern. Diese Einsatzart von WP zum Zweck der Gefechtsfeldbeleuchtung ist einem sachkundigen Bundeswehroffizier, der SteinbergRecherche Auskunft erteilte, aus eigener Erfahrung bislang nicht untergekommen. Gefechtsfeldbeleuchtung findet zweckmäßigerweise über dem Gefechtsfeld statt, nicht auf dem Boden. Sie machen Ihre Zimmerbeleuchtung ja auch nicht unter dem Bett an.

Ein übliches Handling von WP-Gefechtsfeldbeleuchtung ist der Einsatz per Artillerie- oder Mörsergranate, die WP-Ladung am Fallschirm hängend. Der Beobachter sieht dann in 200-400 m Höhe zuerst einen kleinen, schnell fallenden Leuchtpunkt, bis sich der (in der Nacht nicht erkennbare) Fallschirm entfaltet hat. Danach bremst der Leuchtpunkt abrupt ab, gewinnt an Intensität und Strahlkraft, die mit schwindender Höhe einen kleiner werdenden Kreis am Boden ausleuchtet. Eine Standard-NATO-Artilleriegranate WP 155mm sorgt für etwa 2 Minuten nahezu taghellem Licht in einem Umkreis von bis zu 200m, bevor sie – bei guter Feuerleitlösung – noch in der Luft ausbrennt und leer auf den Boden sinkt.

Quelle: www.SteinbergRecherche.com




Fallujah, Vietnam

Phosphorbomben im Irak

Von Jan van Aken*

Amerikanische Soldaten haben im Irak Brandbomben eingesetzt. In einem blutigen Krieg, der bislang 30.000 irakischen Zivilisten und 2.000 amerikanischen Soldaten das Leben kostete, ist das auf den ersten Blick eine eher banale Meldung. Trotzdem hat sie dieser Tage einen weltweiten Sturm der Entrüstung ausgelöst und die amerikanische Regierung zu einer weiteren Kriegslüge verleitet.

Die Entrüstung beruht zunächst einmal auf einem Missverständnis: Der italienische Fernsehsender RAI warf den USA letzte Woche vor, Chemiewaffen im Irak eingesetzt zu haben, und belegte dies mit Bildern von Phosphorbomben, die im April 2004 beim Sturm auf Fallujah eingesetzt wurden. Brandwaffen fallen jedoch keineswegs unter das weltweite Chemiewaffenverbot. Nur solche Chemikalien, die qua ihrer Giftigkeit Menschen verletzen, verstümmeln oder töten, sind verboten. Alle anderen Substanzen, die ihre tödliche Wirkung auf andere Weise entfalten - brennen, schießen, explodieren - gelten nicht als chemische Waffen. Im Krieg ist das Brennen und Morden erlaubt. Der süffisante Vorwurf, dass die US-Regierung jetzt im Irak genau die verbotenen Waffen einsetzt, die zuvor noch als vorgeschobener Kriegsgrund herhalten mussten, läuft also in diesem Fall vollkommen ins Leere. Es gibt auch kein anderes internationales Abkommen, dass den Amerikanern verbieten würde, mit Brandmunition auf gegnerische Kämpfer zu schießen.

Spannend ist allerdings die Frage, warum das Pentagon trotz dieser klaren Rechtslage zunächst hektische Dementis verbreiten ließ und darauf beharrte, dass Phosphor im Irak ausschließlich eingesetzt wurde, um bei nächtlichen Gefechten das Kampfgeschehen zu beleuchten. Erst als sich herausstellte, dass selbst US-Soldaten und unter Zensur stehende 'eingebettete' Journalisten bereits vor Jahresfrist den gezielten Einsatz von Phosphormuniton gegen Menschen in allen Einzelheiten beschrieben hatten, wurde dies auch von offizieller Seite eingestanden.

Die Berichte decken sich und zeigen nichts anderes als die tägliche Grausamkeit und Verrohung im Kriege. Wenn feindliche Kämpfer nicht einfach erschossen oder ausgebombt werden können, weil sie sich in Häusern oder Höhlen verstecken, dann werden sie mit weißem Phosphor beschossen, der sich an der Luft von selbst entzündet und sich durch die Haut bis auf die Knochen seiner Opfer frisst. Wer noch laufen kann und seine Deckung verlässt, wird erschossen. Diese Mischung aus Brandbomben und scharfem Beschuss wird in der US-Armee lapidar als "shake 'n' bake" bezeichnet - in Anlehnung an eine amerikanische Fertiggericht-Marke.

Da kommen Bilder aus längst vergangen geglaubten Zeiten wieder hoch: Kinder, die einem Napalm-Angriff zu entfliehen versuchen und doch schon lichterloh in Flammen stehen; vietnamesische Soldaten, die mit Tränengas aus ihren Höhlen getrieben und dann erschossen werden. Es ist der Geist von Vietnam, der hier heraufbeschworen wird und den das amerikanische Establishment momentan stärker fürchtet als alles andere. Noch ist die Diskussion um Parallelen zwischen Vietnam- und Irak-Krieg auf enge akademische Zirkel und eingefleischte Kriegsgegner in den USA begrenzt. Doch Brandbilder aus dem Irak könnten die Debatte nur allzuschnell emotionalisieren, das Gespenst von Vietnam wieder aufleben und damit die Zustimmung der Amerikaner für den Krieg im Irak noch weiter abstürzen lassen. Im Krieg um die Köpfe hat Washington jetzt zum Mittel der Lüge gegriffen und damit das alte Diktum bestätigt, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist.

Erschienen am 17. 11. 2005 auf www.zeit.de

* Aus: Website von Sunshine-Project, www.sunshine-project.de


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