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Tödliches Kaliber

Kleinwaffen sind die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit. Winnenden führt uns ihre Wirkung wieder einmal nah vor Augen. Sie gehören endlich international verboten

Von Wolfgang Kötter *

Die jüngsten tragischen Amokläufe in Winnenden und in Geneva County in Alabama führen der westlichen Welt einmal wieder die verheerende Wirkung von Kleinwaffen ganz nah vor Augen. Die Zahlen allein wären aussagekräftig genug: Weltweit sterben jährlich eine halbe Million Menschen und zwar nicht durch atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungsmittel. Es sind vielmehr die auf über 875 Millionen geschätzten Kleinwaffen wie Sturmgewehre, Maschinenpistolen, Revolver und Handgranaten, die im privaten Leben wie in bewaffneten Konflikten, Guerillakriegen und Raubüberfällen massenhaft töten. Kleinwaffen sind die eigentlichen Massenvernichtungswaffen unserer Zeit.

Die Bestseller

Kleinwaffen sind laut Internationalem Roten Kreuz für 95 Prozent der Getöteten heutiger Kriege verantwortlich. Vor allem die russische Maschinenpistole Kalaschnikow AK-47, das amerikanische Sturmgewehr M-16 und das deutsche G3-Schnellfeuergewehr sind Bestseller auf dem schwarzen Waffenmarkt. Das Waffengeschäft ist lukrativ, etwa vier Milliarden Dollar werden damit jährlich verdient – und der Waffenmarkt weitaus unübersichtlicher geworden als er noch vor Jahren war.

Neben neuen Händlerstaaten wie Bulgarien, Litauen, Slowakei, Tschechien und der Ukraine halten sich private Waffendealer aus Belgien, Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Pakistan und den USA. Auf internationalen Waffenmessen in Abu Dhabi, Athen, Farnborough, London oder Paris bieten die Makler des Todes ihre Artikel ganz unverfroren an, die Übergänge in die Illegalität sind fließend. Die Waffendealer agieren in globalen Netzwerken, nutzen Internet, Briefkastenfirmen und dubiose Subunternehmen für erdumspannende Kommunikation und Transaktionen. Sie flüchten in Staaten mit laxen Exportbestimmungen, Einzelteile werden in verschiedenen Ländern und von mehreren Produzenten hergestellt.

Resolutionen en masse

Kampfmittel aus vergangenen Konflikten tauchen oft woanders wieder auf. Die Waffen der Balkankriege der 90er Jahre tauchen heute in Darfur, Burundi, Somalia oder an der Elfenbeinküste wieder auf. Der illegale Waffenhandel macht es möglich, hält Warlords an der Macht und verhindert Verhandlungslösungen. Bereits seit Jahren widmet sich die UNO dem Problem von Kleinwaffen. Die Vollversammlung verabschiedete schon die verschiedensten Resolutionen, auch der Sicherheitsrat befasste sich mehrfach mit dem Thema. 2001 fand sogar eine internationale Konferenz allein zu Kleinwaffen und leichten Rüstungen statt und entwarf ein Aktionsprogramm [www.poa-iss.org/PoA/poahtml.aspx].

Das Internationale Aktionsnetzwerk zu Kleinwaffen IANSA [www.iansa.org./index.htm] kritisiert jedoch, diese Plattform habe zu viele Lücken und sei nicht rechtsverbindlich. Eine Überprüfungskonferenz scheiterte am Widerstand der Waffenlobby. Neben Russland, Indien, Pakistan, dem Iran und Israel bremsen besonders die USA internationale Vereinbarungen aus – und das, obwohl gerade dort jedes Jahr rund 350.000 Verbrechen mit Schusswaffen begangen werden. Mehr als 200 Millionen Schusswaffen sind in den USA in Privatbesitz. Zwei von drei Opfern krimineller Gewalt sterben durch Kugeln, jedes Jahr etwa 11.000 Personen. Zwar ist der Einwand richtig, es seien Menschen, die schießen und nicht Waffen. Doch könnte die Zahl der durch Schusswaffen Getöteten einer Studie von Wissenschaftlern der Harvard University of Public Health in Boston zufolge durchaus verringert werden, gäbe es weniger Schusswaffen in privaten Arsenalen. Wie das Forschungsteam vom Injury Control Research Center feststellte, ist die Rate der Fälle von Mord und Totschlag in den US-Bundesstaaten umso größer, je mehr Haushalte im Besitz von Feuerwaffen sind.

Das bestätigen Forscher der Universität Zürich, die herausfanden, dass der Zugang zu Schusswaffen direkten Einfluss auf die Häufigkeit von Suiziden mit diesen Waffen hat. Das Internationale Konversionszentrum in Bonn (BICC) betont zwar, dass die gesellschaftlichen Ursachen für solche extremen Gewaltausbrüche komplex sind.

Dennoch hält BICC-Direktor Peter Croll es "für dringend erforderlich, auch die Diskussion um die Verschärfung der Waffengesetze und um die Rolle der Waffenlobby sowie der NRA (National Rifle Association) in den USA intensiver zu führen". Das proklamierte "Menschenrecht auf Waffen und Selbstverteidigung" werde immer wieder auch in Verbrechen ausarten und weit gehende internationale Abkommen zur Kleinwaffenkontrolle vereiteln.

Es gibt genug Empfehlungen für die Vollversammlung zum weiteren Vorgehen. Nun müssen die Regierungen der 192 Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie etwas gegen die globale Waffenflut tun wollen oder nicht. 2010 trifft man sich erneut in Genf, um zu überprüfen, wie das Aktionsprogramm umgesetzt wird. Bisher haben nur 50 Staaten über ihre Aktivitäten berichtet. Hintergrund

* Wolfgang Kötter ist Politikwissenschaftler und Abrüstungsexperte, er lehrt derzeit an der Universität Potsdam

Aus: Freitag, 13. März 2009

Mit freundlicher Genehmigung durch den Autor.


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