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Mit Militärknüppeln Menschenrechte schützen?

Norman Paech und Gerhard Stuby bilanzieren Fortschritte und Rückstand im Völkerrecht

Von Gregor Schirmer *

Prävention ist die Vorverlagerung der Selbstverteidigung aus der Sphäre der akuten Bedrohung und des Angriffs, wie es Art. 51 UN-Charta erfordert, in die Sphäre des bloßen Verdachts einer Gefahr, konstatieren Norman Paech und Gerhard Stuby. Der vorschnell mit dem Friedensnobelpreis geschmückte US-Präsident Barack Obama hat das von seinem Vorgänger begründete Konzept beibehalten und um den »Drohnenkrieg« zur gezielten Tötung von Terrorismusverdächtigen »bereichert«. Ein eindeutiger Verstoß gegen die Friedensprinzipien der UN-Charta. »Aus den großen Interventions-Staaten der Nato und aus Israel kommen ständig Überlegungen und Erklärungen, auch ohne Mandat des Sicherheitsrats militärisch einzugreifen, wenn er durch ein Veto blockiert sei, wie in den Fällen Syrien und Iran«, so Paech und Stuby.

Die beiden Juristen haben ihr bemerkenswertes Werk »Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen« aktualisiert und erweitert. Sie geben einen umfassenden Überblick über die historischen Epochen des Völkerrechts und der Völkerrechtsdoktrin von der weltweiten Expansion des europäischen Staatensystems durch Entdeckung, »Landnahme« und Kolonisierung der außereuropäischen Welt bis zur Entwicklung nach 1945. Neu eingefügt ist der Abschnitt über die Legitimierung (nicht Legalisierung!) des Krieges als Mittel der Politik durch den Dauerzustand des »War on Terror«.

Die Publikation von Paech/Stuby folgt nicht angestaubter Dogmatik gängiger Völkerrechtslehrbücher. Die Autoren beziehen sich konkret auf jüngste Ereignisse (Kongo, Sudan, Somalia, Libyen, Libanon, Syrien, Israel/Palästina, Kosovo, Georgien usw.). Sie registrieren schwache und ergebnisarme Fortschritte des Völkerrechts, aber auch eklatante Fehlleistungen und Rückstände.

Das erste Kapitel behandelt die Akteure: Staaten, internationale Organisationen, transnationale Konzerne, Aufständische, Befreiungsbewegungen, Völker. »Der Staat ist trotz aller globalen Veränderungen, die seine politische und ökonomische Handlungsfähigkeit eingeschränkt haben und trotz der Verlagerung substanzieller Souveränitätsrechte auf supranationale Organisationen der wichtigste Akteur in den internationalen Beziehungen geblieben und nach wie vor das zentrale Völkerrechtssubjekt.« Das zweite Kapitel gibt einen Einblick in das Wesen des Völkerrechts als Konsensrecht. Gebührende Aufmerksamkeit wird der Herausbildung des Selbstbestimmungsrechts der Völker zu einer zwingenden Völkerrechtsnorm gewidmet. Ein Recht auf Sezession halten die Verfasser nur dann für gegeben, »wenn die Rechte der betroffenen Bevölkerungsgruppe dauerhaft und schwerwiegend verletzt werden und einen Autonomiestatus von dem Staat verweigert wird«. Ansonsten geben Paech/Stuby dem Schutz der staatlichen Integrität den Vorrang.

Die Autoren diskutieren das Versagen der UNO in diversen Kriegen und bewaffneten Konflikten. Mit Recht weisen sie darauf hin, dass die vielfach gepriesene »responsibility to protect« keine neue zulässige Ausnahme vom Gewaltverbot geschaffen hat. »Militärische Knüppel fördern kaum internationale Menschenrechte«, betonen sie.

Peach/Stuby sind Realisten. In einer von imperialistischer Machtpolitik geprägten Welt liegen die Grenzen der Wirksamkeit des Völkerrechts nicht in dessen »Durchsetzungsschwäche und dem fehlenden Sanktionspotential«, wie man oft liest, sondern außerhalb des Rechts – nämlich in den realen politischen, militärischen und ökonomischen Machtverhältnissen.

»Das Völkerrecht fordert ein Kooperationsrecht gleichberechtigter Subjekte und eine konsensgebundene Rechtsordnung einer demokratisch gestalteten und nicht hegemonial dominierten Staaten- und Konfliktordnung«, betonen Peach/Stuby und mahnen: »Es wird daher stets eine unsichere Zukunft haben … Der Inhalt dieser Ordnung, der Fortschritt und die Effektivität ihrer auf Frieden und sozialer Gerechtigkeit ausgerichteten Rechtsprinzipien werden weitgehend davon abhängen, inwieweit es wirklich gelingt, die Gewalt- und Herrschaftsstrukturen in den internationalen Beziehungen zu nivellieren, das heißt zu demokratisieren. Entscheidend für diesen Prozess ist der innere Zustand der Demokratisierung in den Staaten des ›Nordens‹, insbesondere der gegenwärtigen Hegemonialmacht USA und ihrer europäischen Kooperationspartner, unter ihnen nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland.«

Norman Peach/Gerhard Stuby: Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen. VSA- Verlag, Hamburg 2013. 1054 S., geb., 60 €.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 18. Oktober 2013


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