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Revolution im Völkerrecht

Am 27. August 1928 wurde der Briand-Kellogg-Pakt unterzeichnet

Von Gregor Schirmer *

Das Gemetzel des Ersten Weltkrieges war für die Herrschenden nicht Grund genug, um in der Satzung des Völkerbunds von 1919 ein klares Verbot des Aggressionskrieges zu verankern. Die Beherrschten hatten nicht die Kraft und wohl auch nicht den Willen, ein solches Verbot zu erzwingen. Lenins Dekret über den Frieden blieb im Westen ungehört und hatte keine völkerrechtlichen Konsequenzen. 1924 scheiterte das bereits unterzeichnete Genfer Protokoll, das ein deutliches Verbot des Angriffskrieges enthielt, an der Ablehnung der Ratifikation durch Großbritannien. Nach den zwiespältigen Verträgen von Locarno 1925 kam es dann – nicht zuletzt unter dem Einfluß der stärker gewordenen Friedensbewegung – außerhalb des Völkerbunds 1928 zum Abschluß des Briand-Kellogg-Pakts. Der Vertrag über die Ächtung des Krieges wird gewöhnlich nach seinen Initiatoren Aristide Briand, der von 1925 bis 1932 Außenminister Frankreichs war, und dessen US-amerikanischen Kollegen Frank B. Kellogg (1925–1929) benannt. Kellogg erhielt 1929 den Friedensnobelpreis.

Briand hatte den USA im April 1927 ursprünglich vorgeschlagen, eine zweiseitige Deklaration über die Ablehnung des Krieges als Mittel der nationalen Politik zu verabschieden. Nach einigem Zögern antwortete Kellogg mit der viel weitgehenderen Idee, einen multilateralen Vertrag über die Ächtung des Krieges abzuschließen. Er wollte die Chance für die USA nutzen, in der Weltpolitik eine führende Rolle zu spielen. Am 27. August 1928 wurde der Pakt von elf Staaten unterzeichnet, darunter Deutschland, Italien, die USA, Japan und Austra­lien. Er sollte nach Artikel III »für den Beitritt aller anderen Mächte der Welt offenstehen«.

Die Sowjetunion war zum Aushandeln des Pakts nicht eingeladen worden. Ihr damaliger Volkskommissar des Äußeren, Georgi Tschitscherin, erklärte dazu: »Der Ausschluß der Sowjetunion aus der Zahl der Verhandlungsteilnehmer hat in uns vor allem einen Gedanken wachgerufen: Offensichtlich ist es die klare Absicht der Initiatoren dieses Paktes, aus ihm ein Instrument zur Isolierung der UdSSR und zum Kampf gegen sie zu schmieden.« Sie bog den antikommunistischen Stachel durch alsbaldigen Beitritt ab und vereinbarte am 9. Februar 1929 mit einer Reihe von Nachbarstaaten ein Protokoll über das vorzeitige Inkrafttreten des Pakts in den Beziehungen zwischen diesen Staaten.

Aggressionskrieg verboten

Der Pakt trat danach relativ schnell, nämlich am 24. Juli 1929, in Kraft. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges waren 63 Länder, fast alle damals als souverän geltenden Staaten, Partner des Vertrages. Nach dem Zweiten Weltkrieg traten zwar kaum noch weitere Staaten dem Abkommen bei, weil er als in den weitreichenderen Regelungen der UN-Charta aufgegangen betrachtet wurde. Er ist aber weiterhin für alle Teilnehmer verbindlich und kann und muß für die Beurteilung von deren Verhalten in den internationalen Beziehungen herangezogen werden.

Substantiell enthielt der Pakt nur zwei kurze, aber inhaltsschwere Artikel: Verbot des Aggressionskrieges und Gebot friedlicher Streitbeilegung. Das war der Beginn einer Revolution im Völkerrecht, die in der Charta der Vereinten Nationen ihren Kulminationspunkt fand. In der Zeit vor dem Pakt war das Ius ad bellum, das Recht zum Krieg als oberste Prärogative souveräner Staatlichkeit zwar in gewisser Weise eingeschränkt, aber nicht abgeschafft. Nunmehr war zum ersten Mal in der Geschichte des Völkerrechts jeglicher Angriffskrieg verboten. Selbstverteidigung gegen einen Angriff war zulässig. Auch ein Krieg in Ausführung eines Beschlusses des Völkerbunds galt als erlaubt.

Die Aggressoren in den nachfolgenden Kriegen zwischen Paktteilnehmern haben ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag skrupellos beiseite geschoben. Japan führte 1931 einen Aggressionskrieg gegen den Paktstaat China, Italien 1936 einen Angriffskrieg gegen den Paktstaat Äthiopien. Das waren eindeutige und schwerwiegende Verletzungen der Vereinbarungen. Das Deutsche Reich und seine Verbündeten brachen den Pakt mit dem faschistischen Aggressionskrieg gegen andere Mitgliedstaaten 1939/41 in verbrecherischer Weise.

War der Pakt also nutzlos? Den Zweiten Weltkrieg hat er jedenfalls nicht verhindert. Aber er hat einen verbindlichen Maßstab geliefert. Im Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher 1946 hat der Gerichtshof vor allem die Verletzung des Briand-Kellogg-Pakts herangezogen, um Völkerrechtswidrigkeit und verbrecherischen Charakter des deutschen Aggressionskrieges zu begründen und die Täter wegen Verbrechens gegen den Frieden zu verurteilen.

Abrüstungsverpflichtung

Die Charta der Vereinten Nationen hat im Ergebnis des Sieges der antifaschistischen Weltkoalition Konsequenzen aus dem Scheitern des Paktes gezogen. Die verquaste Sprache wurde in eindeutigere Formulierungen übersetzt. Und vor allem: Artikel 2 verbietet nicht nur den Aggressionskrieg, sondern auch die Anwendung militärischer Gewalt unterhalb der Schwelle eines Krieges und unabhängig von einer »Kriegserklärung«. Verboten ist auch die Androhung von Gewalt. Der Pakt enthielt keine Unterscheidung zwischen Aggressionskrieg und Verteidigungskrieg und hatte keinen Mechanismus zur Durchsetzung der Vereinbarungen geschaffen. In der Präambel steht der dubiose Satz, »daß jede Signatarmacht, die in Zukunft danach strebt, ihre nationalen Interessen dadurch zu fördern, daß sie zum Kriege schreitet, dadurch der Vorteile, die dieser Vertrag gewährt, verlustig erklärt werden sollte«. Dagegen unterscheiden die Charta der Vereinten Nationen und nachfolgende Beschlüsse wie die Deklaration über die Prinzipien des Völkerrechts von 1970 und die Aggressionsdefinition von 1974 eindeutig zwischen Aggression und individueller und kollektiver Selbstverteidigung. Der Sanktionsmechanismus in Kapitel VII der Charta ist allerdings im Kalten Krieg und danach nie so zur Wirkung gekommen, wie das vorgesehen war.

Einen Weg zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zeigte der Pakt nicht auf. Die Charta beinhaltet ein Kapitel VI über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten. Die Streitparteien – so heißt es in Artikel 33 – »bemühen sich zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen und Abmachungen oder durch andere Mittel eigener Wahl«. Wenn das nicht gelingt, soll der Sicherheitsrat aktiv werden. Dieser Mechanismus sollte ausgebaut und verpflichtend gestaltet werden.

Der Briand-Kellogg-Pakt enthielt keine Abrüstungsverpflichtungen. Trotz seiner Existenz rüsteten Staaten hemmungslos auf. Das ist eine Hauptursache für sein Scheitern. Kriegsächtung ohne Abrüstung mußte eine Schimäre bleiben. Solange Waffen hergestellt und verkauft werden, können sie kriegerisch verwendet werden. Das ist wohl die wichtigste Lehre aus dem Scheitern des Paktes vor 1939.

Angesichts des gegenwärtigen Wiederauflebens von Theorie und Praxis des Krieges als Mittel und Werkzeug nationaler Politik, ob im Balkan, im Nahen Osten, in Afrika oder im Kaukasus, ist die Erinnerung an den Pakt hochaktuell. Der Aggressionskrieg ist zwar immer noch oder wieder die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Aber seit dem Pakt ist er ein völkerrechtswidriges Mittel, ein internationales Verbrechen. Oder sollte man nicht besser sagen: Der Krieg ist das Ende von Politik?

Quellentext: Vertrag über die Ächtung des Krieges, 1928

Art. I. Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, daß sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.

Art. II. Die Hohen Vertragschließenden Parteien vereinbaren, daß die Regelung und Entscheidung aller Streitigkeiten und Konflikte, die zwischen ihnen entstehen könnten, welcher Art und welchen Ursprungs sie auch sein mögen, niemals anders als durch friedliche Mittel angestrebt werden soll.

Charta der Vereinten Nationen, 1945

Art. 2 Ziffer 3. Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, daß der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.

Art. 2 Ziffer 4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.



* Aus: junge Welt, 23. August 2008


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