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"Politiker und Militärs, die gegen das Völkerstrafrecht verstoßen, müssen wissen, dass sie zur Verantwortung gezogen werden"

Erklärung der deutschen IALANA aus Anlass des 60. Jahrestages der Verkündung des Urteils des Internationalen Militärgerichtshofs gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher (1.10.1946)

1. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges übertrugen die Staaten USA, Sowjetunion, Vereinigtes Königreich und Frankreich ihre Strafhoheit für die Verfolgung der von den Verantwortlichen der Achsenmächte (vor allem Deutschland und Japan) begangenen Kriegs- und anderen Kapital-Verbrechen, der mehr als 50 Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren, auf die Internationalen Militärgerichtshöfe von Nürnberg und Tokio. Sie handelten stellvertretend für die gegen die Achsenmächte, siegreiche internationale Staatengemeinschaft der "Vereinten Nationen". Damit schufen sie die zentrale Grundlage für ein Völkerstrafrecht. Schwerstkriminelles Regierungshandeln konnte so in einem rechtsförmigen Verfahren geahndet werden.

Der amerikanische Hauptankläger vor dem Militärgerichtshofs von Nürnberg, Justice Jackson, erklärte in seiner Eröffnungsrede:

"... wir dürfen niemals vergessen, dass nach dem gleichen Maß, mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der Geschichte gemessen werden. Diesen Angeklagten einen vergifteten Becher reichen, bedeutet, ihn an unsere eigenen Lippen zu bringen."

Die entwickelten Straftatbestände
  • Kriegsverbrechen (gravierende Verstöße gegen das sog. Humanitäre Kriegsvölkerrecht)
  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
  • Verbrechen der Aggression ("Verbrechen gegen den Frieden")
erfuhren weltweite Akzeptanz und wurden jedenfalls in der Folgezeit Völkergewohnheitsrecht. Die UN-Generalversammlung bestätigte einstimmig, also mit den Stimmen aller Mitgliedsstaaten, bereits am 11.12.1946, die "Nürnberger Prinzipien" als allgemeingültiges Völkergewohnheitsrecht (Resolution 95). Auch in der Folgezeit wurde dies von ihr und den in ihr abstimmenden Staatenvertretern mehrfach im Konsensverfahren bekräftigt (u. a. Resolution 2625 vom 24.10.1970 und Resolution 3314 vom 14.12.1974).2. Diese Verbrechenstatbestände und die zentralen Grundsätze und Regeln ihrer Verfolgung sind zwischenzeitlich Grundlage des am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Römischen Statuts für den Internationalen Strafgerichtshofs (mit dem Sitz in Den Haag) geworden:
  • die Universalität der Strafverfolgung ("Weltrechtspflegeprinzip"),
  • die Nichtgeltung des Immunitätseinwandes und
  • die Unverjährbarkeit.
2. Leider hat sich die Staatengemeinschaft aber immer noch nicht auf die textliche Ausformulierung eines völkervertraglichen Tatbestandes des Aggressionsverbrechens (Art. 5 Abs. 1 d des Römischen Statuts) einigen können - des "schwersten(n) internationale(n) Verbrechen(s), das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, dass es in sich alle Schrecken vereinigt und anhäuft" (Urteil vom 1.10.1946 des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg). Deshalb ist der Internationale Strafgerichtshof noch immer nicht zur Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression zuständig (Art. 5 des Römischen Statuts).

Dies ändert aber nichts an der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung des Verbrechens der Aggression (Angriffskrieg), die als solche sowohl in den Verhandlungen über das Römische Statut als auch danach von keinem Staat bestritten worden ist. Die Aufnahme des Verbrechenstatbestandes der Aggression in die Regelung des Art. 5 Abs. 1 d des Römischen Statuts bestätigt dies trotz bislang ausstehender Einigung über eine vertragliche Definition. Der völkergewohnheitsrechtliche Straftatbestand des Aggressionsverbrechens (Angriffskrieg) umfasst heute jedenfalls jede gegen die territoriale Unversehrheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete massive Anwendung staatlicher militärischer Gewalt in eindeutiger Verletzung des Gewaltverbotes nach Art. 2 Nr. 4 UN-Charta (vgl. dazu im Einzelnen Kress, ZStW 2003, S. 294, 295 ff mit weiteren Nachweisen).

3. Das Londoner Abkommen von 1945 und das Römische Statut von 1998 für den Internationalen Strafgerichtshof stehen für die Idee "Frieden durch Recht", der sich auch die deutsche IALANA verpflichtet weiß.

Wir sind überzeugt: Die gerichtliche Feststellung von Straftaten gegen das Völkerstrafrecht und die Aburteilung einzelner Kriegs- und Menschlichkeitsverbrecher werden generalpräventive Wirkungen haben.

4. Dies gilt auch für Täter aus Staaten, die bisher nicht dem Römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof beigetreten sind. Denn auf der Grundlage des sog. Weltrechtspflegeprinzips kommt auch eine Verfolgung und Aburteilung durch nationale Strafverfolgungsbehörden in Betracht. In Deutschland ist dafür das am 30.6.2002 in Kraft getretene Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) eine wichtige Grundlage: Für die darin normierten Verbrechen ist das deutsche Strafrecht gemäß § 1 VStGB stets anwendbar, und zwar gleichgültig, wo, von wem oder gegen wen die jeweilige Tat begangen wurde. Allerdings hat es der deutsche Gesetzgeber bisher vermieden, den Tatbestand des Aggressionsverbrechens in das VStGB aufzunehmen. Auch ist in Deutschland bislang der Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 GG noch immer nicht hinreichend erfüllt worden:

"Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen."

Das ändert freilich nichts daran, dass nach § 80 StGB der "Friedensverrat" ein Verbrechen darstellt:

"Wer einen Angriffskrieg (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft."

Aus den Gesetzgebungsmaterialien, insbesondere dem Schriftlichen Bericht des zuständigen Bundestagsausschusses (BT-Drucksache V/2860, S. 2) ergibt sich der klare Wille des Gesetzgebers: Mit dieser Strafbestimmung wird "derjenige Angriffskrieg erfasst, an dem die Bundesrepublik Deutschland nach der Vorstellung des Täters beteiligt sein soll". Mit dieser Tatbestandsfassung ist "sowohl ein Angriffskrieg, in dem die Bundesrepublik Deutschland angegriffen sein soll, als auch derjenige, in dem sie Angreifer sein soll, gemeint" (BT-Drucksache V/2860, S. 2).

Anders als der frühere Generalbundesanwalt Kay Nehm behauptet hat, stellt der Straftatbestand des § 80 StGB nicht nur die "Vorbereitung", sondern erst recht auch die Mitwirkung bei der Auslösung und Führung eines Angriffskrieges, an dem Deutschland beteiligt sein soll, unter Strafe. Die Vorschrift macht bereits die "Vorbereitung" eines Angriffskrieges strafbar, nicht erst seine Ausführung. Sie hat damit die Strafbarkeitsschwelle deutlich abgesenkt. Wenn bei einem Angriffskrieg nach § 80 StGB bereits die Strafbarkeit mit der "Vorbereitung" beginnt, endet sie nicht mit dessen Beginn: Ein Täter, der an der Vorbereitung eines Angriffskrieges teilgenommen hat, büßt seine Strafbarkeit nicht dann ein, wenn der Angriffskrieg auch tatsächlich ausgelöst wird. Dies ist der klare Sinn und Zweck der Norm. Dies war und ist auch der ausdrückliche Willen des Gesetzgebers, der dies in der Begründung der vom zuständigen Bundestagsausschuss ausgearbeiteten Fassung des § 80 StGB wie folgt formuliert hat:

"§ 80 umfasst nicht nur, wie der Wortlaut etwa annehmen lassen könnte, den Fall der Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern erst recht den der Auslösung eines solchen Krieges." (BT-Drucksache V/2860, S. 2, rechte Spalte, 2. Absatz).

Übrigens: Nach der deutschen Strafvorschrift des § 80 StGB machen sich nicht nur deutsche, sondern auch hochrangige ausländische Politiker und Militärs wegen Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges, an dem Deutschland beteiligt sein soll, strafbar und können deshalb von den deutschen Strafverfolgungsbehörden zur Rechenschaft gezogen werden: Staatspräsidenten, Regierungschefs und Außenminister jedenfalls nach Ablauf ihrer Amtszeit, andere politische und militärische Verantwortliche auch bereits davor. Denn § 5 Nr. 1 StGB ordnet die Anwendung der Strafnorm des § 80 StGB auch auf Auslandstaten durch Ausländer an: "Das deutsche Strafrecht gilt, unabhängig vom Recht des Tatorts, für folgende Taten, die im Ausland begangen werden: (1.) Vorbereitung eines Angriffskrieges" (vgl. dazu u.a. Kress, ZStW 2003, S. 343 ff; Schroder in: Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht, Besonderer Teil 2, 8. Aufl. 1999, S. 386).

Politiker und Militärs, die gegen das Völkerstrafrecht und/oder gegen § 80 StGB in Verbindung mit Art. 26 Abs. 1 GG verstoßen, müssen wissen, dass sie zur Verantwortung gezogen werden. Auch ausländische Politiker und Militärs werden keine Ruhe finden und künftig jede Auslandsreise sorgfältig kalkulieren müssen.

Berlin, den 17.Oktober 2007

Bei Nachfragen wenden Sie sich bitte an Reiner Braun (Geschäftsführer); Tel.: 0172-2317475


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