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"Der Krieg um Ressourcen"

Multinationale und imperiale Interessen gefährden den Seespeicher Acuífero Guaraní

Von Karl-Ludolf Hübener *

Der Acuífero Guaraní ist der drittgrößte unterirdische Wasserspeicher der Welt. Monokulturen setzen ihm zu, die dort ansässigen Guaraní-Indianer geraten mehr und mehr ins Hintertreffen. Nun wirft auch noch das Pentagon ein Auge auf die Region.

»Der Krieg um Ressourcen«. Kein brandneuer Buchtitel, vielmehr eine neue Militärdoktrin für die argentinischen Streitkräfte. Diese waren bislang eher als Hüter der Doktrin der Nationalen Sicherheit aufgefallen, in deren Namen sie während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen. Nun sollen sie die natürlichen Ressourcen des südamerikanischen Landes schützen: Bodenschätze und Wasser. Insbesondere den »Acuífero Guaraní«, den drittgrößten unterirdischen Wasserspeicher auf der Welt. Namensgeber waren die im Einzugsbereich lebenden Guaraní-Indianer. Mit Wasser beginnt für sie alles Leben.

Man müsse sich die unterirdische Wasserreserve – so Marcel Ashkar, Geologe und Universitätsprofessor in Montevideo – »wie einen großen Schwamm vorstellen, der unter der Erde vergraben ist. Durch die Abermillionen Poren des Schwamms zirkuliert das Wasser.« Rein rechnerisch würden die flüssigen Vorräte des gigantischen Speichers reichen, um 360 Millionen Menschen täglich mit 300 Liter zu versorgen. »Der Acuífero Guaraní ist nicht nur für diese Region wichtig«, so Ashkar, »sondern für die ganze Welt, denn er ist eine der wichtigsten Süßwasser-Reserven auf dem Planeten.«

Vier Länder teilen sich den unterirdischen Schatz: Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay, allesamt Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur. Diese wollen nun Strategien entwickeln, um eine übermäßige Ausbeutung zu verhindern und Umweltschäden zu vermeiden. Deshalb wurde 2003 das »Projekt für den Schutz und die Nachhaltige Entwicklung des Systems Acuífero Guaraní«, mit Sitz in Montevideo, aus der Taufe gehoben.

An ausgewählten Stellen wird nun gebohrt – mit höchst unterschiedlichem Aufwand, denn die Wasseradern »liegen in einer Tiefe zwischen 50 und 1500 Metern«, wie der Generalsekretär des Projektes, Luiz Amore, erklärt. Für die Exploration stünden 27 Millionen Dollar zur Verfügung. Aufgebracht zur einen Hälfte von den beteiligten Staaten. Die andere Hälfte finanziert die Weltbank.

Größte Gefahren drohen dem Acuífero Guaraní von den sich immer mehr ausbreitenden Monokulturen in dieser Region. Neben Eukalyptus, Mais und Zuckerrohr sind es insbesondere eiweißhaltige Sojabohnen, die als Futtermittel nach Europa verschifft werden oder zu Ethanol für Autos verarbeitet werden. Plantagenwirtschaft ist äußerst wasserintensiv. Für ein Kilo Schweinefutter werden mehr als 1000 Liter Wasser verbraucht. Eukalyptusbäume, die in südlicheren Breiten drei bis vier Mal schneller wachsen als in nördlicheren Breiten, sind wahre Wassersäufer. Ökonomen und Entwicklungsforscher sprechen deshalb schon von »virtuellem Wasserhandel«. Sowohl nationale als auch internationale Investoren schätzen das wasserreiche La Plata-Becken, das von unzähligen Flüssen gespeist wird und von der La Plata-Mündung bis zum größten Sumpfgebiet der Welt, dem brasilianischen Pantanal reicht. Darunter dehnt sich zudem die riesige Reserve des Acuífero Guaraní aus.

In den Vereinigten Staaten werde »das Gebiet mit der größten Produktion von Getreide, Soja, Weizen vom Aquifer Ogallala bewässert«, berichtet Cristian Escobar, Geologe bei »Altervida«, einem anerkannten Umweltinstitut in Asunción, der paraguayischen Hauptstadt. »Dort hat der Pegel des Grundwassers begonnen, bedrohlich abzusinken, und zwar um viele Meter.« Und: Wenn sich die Produktion von Körnerfrüchten wie Soja und Weizen im Norden verringere und der Wert ansteige, »wird es doch viel attraktiver, in dieser Region anzubauen und den Acuífero Guaraní für die Bewässerung zu nutzen.«

Aber es ist nicht nur der Raubbau an den Wasserressourcen, der langfristig Reserven wie den Acuífero Guaraní bedroht, sondern auch die Agrogifte, die auf den Plantagen massiv versprüht werden und den unterirdischen Speicher verseuchen könnten. Da ist das Beispiel der Soja-Pflanzungen in Paraguay entlang des Paraná-Flusses. Bereits 90 Prozent aller Naturwälder sind in dieser Region Paraguays abgeholzt. Der natürliche Wasserkreislauf aus Verdunstung und Regen ist unterbrochen. Aber es kommt noch schlimmer, wie sich die Kleinbäuerin Julia Franco aus der südlichen Provinz Itapua empört: Untersuchungen in Itapua hätten ergeben, »dass der Boden bereits bis zu einer Tiefe von zehn Metern vergiftet ist. Die einzige Möglichkeit, die uns bleibt, ist, die Brunnen noch tiefer auszuheben, denn in unseren Gemeinden gibt es noch kein fließendes Wasser.«

Auch die Strategen des Pentagons in Washington interessieren sich für die Region zwischen dem brasilianischen Mato Grosso und der argentinischen Pampa. Die Sorge um knapper werdende Ressourcen nimmt jedenfalls schon seit längerem einen wichtigen Platz in der Sicherheitspolitik Washingtons ein.

Fast die Hälfte aller Süßwasservorräte auf dem Planeten lagern und fließen auf dem amerikanischen Kontinent. »Und der größte Teil der kontinentalen Wasserreserven liegt in Südamerika«, betont Elsa Bruzzone. Die Professorin gehört zum Mitarbeiterstab des »Zentrums von Militärs für die argentinische Demokratie« (CEMIDA) in Buenos Aires. Dort arbeiten über 200 ehemalige argentinische Offiziere. Diese beschäftigen sich mit der US-Militärpolitik in der Region. Sie hätten festgestellt, so Bruzzone, »dass die US-Militärbasen mit den Gebieten von Wasser, Biodiversität, Mineralien und Erdöl übereinstimmen.«

Sicherheit und Schutz des Acuífero Guaraní wollen die vier Besitzer auf eine gemeinsame gesetzliche Grundlage stellen – ohne allerdings einer möglichen Privatisierung einen Riegel vorzuschieben. Schließlich gehört zu den Finanziers auch die Weltbank, die »Private-Public Partnership« propagiert.

Doch ein entsprechendes Gesetz, das in den Acuífero-Ländern gelten würde, stößt auf ein vorläufig unüberwindliches Hindernis: Am 31. Oktober 2004 hatte in Uruguay die linke »Frente Amplio«, die »Breite Front«, die Wahlen mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Tabaré Vázquez gewonnen. Gleichzeitig hatten fast 65 Prozent der Uruguayer einem in Lateinamerika einmaligen Verfassungszusatz zugestimmt. Wasser ist nunmehr Menschenrecht und öffentliches Gut und keine Handelsware.

Doch einige Experten und Politiker in Montevideo brüten über einem Ausweg, wie Marcel Ashkar erfahren hat: »Sie überlegen, unterirdische Gewässer als Mineralien zu deklarieren. Dann würde das Bergbaugesetz gelten und es könnten Konzessionen zur Ausbeutung an Private erteilt werden.« Der Krieg um die Ressourcen geht weiter.

* Aus: Neues Deutschland, 18. September 2007


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