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Primat der Ökonomie

Bericht vom 21. Meeresumweltsymposium des Bundesamtes für Seeschiffahrt und Hydrographie in Hamburg

Von Burkhard Ilschner *

Gleich zu Beginn bewies einer Mut: Mit einer Philippika gegen zunehmende Nutzungsansprüche und unzulängliche Schutzkonzepte eröffnete der Direktor des Zoos Frankfurt/Main, Manfred Niekisch, in der vergangenen Woche in Hamburg das 21. Meeresumweltsymposium des Bundesamtes für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH). Mehr als 450 Teilnehmer hatten sich eingefunden – ein Rekord, konstatierte BSH-Chefin Monika Breuch-Moritz.

In rund zwei Dutzend Vorträgen konzentrierte sich das schon zur Tradition gewordene zweitägige Treffen dieses Mal auf die Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) der EU sowie auf aktuelle Fragen der Meeresüberwachung und des Meeresnaturschutzes. Nicht immer enthalten Referate bei diesem Symposium kritische Töne; die geharnischte Eröffnung von Niekisch aber verlieh der Veranstaltung von vornherein eine beachtliche Dynamik. Niekisch ist Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) und erinnerte nachdrücklich daran, daß diese Expertengruppe vor mehr als 30 Jahren mit ihrem Sondergutachten »Umweltprobleme der Nordsee« erste Meeresumweltschutz-Diskussionen initiierte.

Säulen ohne Fundament

Seine Zwischenbilanz fiel ernüchternd aus. Von teilweise irreparablen Schäden war die Rede, von hohem Nutzungsdruck, von immer noch enormen Wissensdefiziten. Niekisch warnte beispielsweise explizit vor Zielkonflikten zwischen dem Drang zum Ausbau erneuerbarer Energien etwa in Form von Offshore-Windparks und den notwendigen Ansprüchen des Meeresschutzes.

Mit Blick auf die nachfolgende Debatte über die MSRL konkretisierte der Zoodirektor die langjährige Kritik des SRU an der gewohnten Definition nachhaltiger Entwicklung und forderte eine Neubestimmung: Statt der drei Säulen »Ökonomie – Ökologie – Soziales«, die seit mehr als 20 Jahren den Begriff tragen, solle der Nachhaltigkeit künftig ein unverrückbares Fundament »Biodiversität & Klimaschutz« gegeben werden, auf dem dann die Säulen »Ökonomie – Kultur – Soziales« aufbauten. Nur so sei zu gewährleisten, daß die überlebensnotwendige ökologische Basis nicht mehr vernachlässigt werde; ein Vorschlag, der sicher Diskussionen nach sich ziehen wird.

Fritz Holzwarth vom Bundesumweltministerium stellte in seinem einleitenden Referat zum Themenblock MSRL einerseits klar, daß er diese Richtlinie als nützlichen, weil rechtsverbindlichen Rahmen für das Management menschlicher Aktivitäten mit Wirkung auf die Meeresumwelt ansehe. Zugleich räumte er aber auch Schwächen ein, »Elemente, die nicht allen gefallen«, seien Folgen des politischen Prozesses, in dem die MSRL entstanden sei. Sie sei eben keine reine Naturschutz-Richtlinie, sondern eine, die Schutz und Nutzung in Einklang bringen soll.

Bis 2020, so die Vorgabe der im Sommer 2008 in Kraft getretenen Richtlinie, sollen die europäischen Meere einen sogenannten guten Umweltzustand erreicht haben. Der Haken an der Sache ist, daß dieser gute Umweltzustand auf der Basis eines komplizierten administrativen Verfahrens in diesem und im nächsten Jahr erst definiert wird – danach sind bis 2015 Maßnahmenprogramme zu entwickeln, wie das Ziel erreicht werden soll.

Wer auf Grund dessen Kompromisse und Verzögerungen für unausweichlich hält, konnte sich durch das Folgereferat von Jochen Krause vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) bestätigt fühlen: Konkrete Maßnahmen würden letztlich nur für ausgewählte Umweltziele verlangt, die auf Grund geprüfter Indikatoren als relevant eingeschätzt würden. Der Interpretation scheinen alle Türen offen zu stehen.

Diesen Eindruck vermittelte auch der Göttinger Umwelt-Ökonom Falk Lauterbach, als er insbesondere die Vorgabe des Artikels 8 der MSRL erläuterte: Demnach sind bei der Anfangsbewertung ausdrücklich auch ökonomische Elemente zu berücksichtigen. Bei der Analyse der Nutzungen von Meeresgewässern seien wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte ebenso relevant wie die Kosten einer Verschlechterung der Meeresumwelt.

Nutzungsanspruch

Während die verheißungsvolle Idee, Experten über das Thema »Meere der Zukunft – Zukunft der Meere« diskutieren zu lassen, zum saft- und kraftlosen Austausch bekannter Positionen geriet, kam es am zweiten Tag zur spannenden Fortsetzung der MSRL-Debatte; wenngleich auch hier das Primat der Ökonomie oft umweltspezifische Aspekte erstickte. So etwa, als Manfred Zeiler vom BSH in seinen Erläuterungen zur Kartierung der Sedimentverteilung die entsprechenden Datenerhebungen wiederholt zur unerläßlichen Basis »für die Ingenieure« erklärte – Sedimentstudien für die Bauplanung von Offshore-Windparks, für Kabelverlegung, für Rohstoffexploration und anderes mehr.

Sowohl Justus van Beusekom von der Wattenmeerstation Sylt des Al­fred-Wegener-Instituts als auch Günther Nausch vom Institut für Ostseeforschung Warnemünde zeigten sich überwiegend zufrieden mit den abnehmenden Nährstoffeinträgen in Nord- beziehungsweise Ostsee. Beide stellten aber fest, daß die Eintragsmengen in Abhängigkeit von »trockenen« und »nassen« Jahren sowie von der Dauer und Härte der Winter stark schwankten. Matthias Liess vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig plädierte für die Entwicklung sicherer Methoden, die Wirkung von Schadstoffen auf Ökosysteme in Abhängigkeit von Klima- und Umweltfaktoren besser zu beurteilen und hier vor allem kumulative Effekte qualifiziert zu berücksichtigen.

Den Themenschwerpunkt Meeresnaturschutz dominierte Henning von Nordheim, wie Krause von der BfN-Außenstelle auf der Insel Vilm, mit seiner Erfolgsmeldung über das weltweit erste Netzwerk von Meeresschutzgebieten auf der Hohen See. Insgesamt sechs solcher Gebiete mit einer Fläche von rund 280000 Quadratkilometern konnten im Nordostatlantik mittlerweile eingerichtet werden. Aber auch Nordheims Bilanz war geprägt von Problemen und Streitigkeiten, die allesamt jener einen Wurzel zuzuordnen waren, die da Nutzungsanspruch heißt, Primat der Ökonomie eben.

* Aus: junge Welt, 16. Juni 2011


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