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Unter Zeitdruck

In Bonn verhandeln Vertreter von 192 Staaten über einen neuen Klimavertrag. Vor allem die reichen Industriestaaten sind gefordert

Von Wolfgang Pomrehn *

Langsam wird es eng für die Verhandlungen um ein neues Klimaschutzabkommen. Die Warnungen aus der Klimawissenschaft werden immer dringender. Im kommenden Jahrzehnt muß der Anstieg der Treibhausgasemissionen endlich gestoppt und mit der raschen Reduzierung begonnen werden. Der bisherige Vertrag, das Kyoto-Protokoll, hat bisher wenig dazu beigetragen, weil die Zielvorgaben für die Industrieländer viel zu bescheiden waren und diese in vielen Staaten nicht einmal eingehalten wurden. Zudem läuft der Vertrag nur bis 2012. Es muß also dringend Ersatz her und zwar einer, der endlich Wirkung zeigt. Am Montag startete in Bonn am Sitz der UN-Klimarahmenkonvention eine 14tägige Verhandlungsrunde, zu der die 192 Mitgliedsstaaten der Konvention eingeladen sind.

Auf dem diesjährigen UN-Klimagipfel im Dezember in Kopenhagen soll der neue Vertrag – formal wahrscheinlich, wenn die Entwicklungsländer sich durchsetzen, eine Fortschreibung des alten – unterschrieben werden. Die Zeit ist knapp bemessen, denn bevor das Vertragswerk in Kraft tritt, muß es zumindest von den wichtigsten Vertragsstaaten ratifiziert werden, und das kann Jahre dauern. Im Falle des Kyoto-Protokolls vergingen fünf Jahre zwischen Unterzeichnung und der Übergabe der letzten noch benötigten Ratifizierungsurkunde.

Doch noch sind nicht nur viele Details strittig, sondern auch die Eckdaten: Klar ist nur, daß die nächste Ziellinie der Zeitraum 2018 bis 2022 ist. Die EU, die in den Verhandlungen als geschlossener Block auftritt, schlägt vor, daß die Industriestaaten bis dahin ihre Emissionen gegenüber dem Niveau von 1990 um 30 Prozent reduzieren. Vielen Entwicklungsländern ist das zu wenig, anderen Staaten, wie den USA und Kanada, zu viel. Die EU drängt außerdem sehr stark auf die Einrichtung eines internationalen Marktes für Treibhausgaszertifikate. Dieser sogenannte Emissionshandel wird in Europa bereits seit einigen Jahren betrieben, ohne daß er einen sichtbaren Erfolg für den Klimaschutz gehabt hätte. Vor allem die deutschen Energiekonzerne stellen vielmehr den Verbrauchern fiktive Kosten für Verschmutzungsrechte in Rechnung obwohl ihnen die Zertifikate bisher kostenlos zugeteilt werden.

Schließlich verlangt die EU, daß die Entwicklungsländer einer Obergrenze für das Wachstum ihrer Emissionen zustimmen. Diese Position kann ohne weiteres zum Scheitern der Verhandlungen führen, denn die ärmeren Ländern lehnen derartige Verpflichtungen zum jetzigen Zeitpunkt vehement ab. Die bisher in der Atmosphäre angehäuften Treibhausgase, hauptsächlich das CO2, das zum kleineren Teil aus der Entwaldung, hauptsächlich aber aus der Verbrennung von Erdgas, Kohle und Erdöl stammt, gehen fast ausschließlich auf das Konto des reichen Nordens. Außerdem brauchen die Entwicklungsländer Spielraum für den Aufbau ihrer Wirtschaft, die ihnen der Norden verschaffen müßte, indem er möglichst rasch und drastisch seine Emissionen runterfährt.

Aus diesem Grund wurde auch in der Klimarahmenkonvention 1992 festgehalten, daß es eine gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung für das Klima gäbe. Die meisten Industriestaaten haben seitdem mehrfach eingegangene Verpflichtungen nicht eingehalten, und die USA als größter Emittent unter ihnen haben sich für viele Jahre sogar gänzlich aus der Veranstaltung gestohlen. Die Vereinigten Staaten haben zum Beispiel ihre Emissionen gegenüber 1990 noch einmal um 18 Prozent gesteigert, obwohl sie nach dem Kyoto-Protokoll heute sieben Prozent niedriger sein sollten. Doch das haben die USA im Gegensatz zu 184 anderen Staaten, darunter auch entgegen oft wiederholter Behauptungen China und Indien, nie ratifiziert.

Bewegung ist in die Verhandlungen durch den Machtwechsel im Weißen Haus gekommen. Anders als sein Vorgänger George W. Bush räumt der neue US-Präsident Barack Hussein Obama Fragen des Klimaschutzes und der Energiesicherheit ein hohe Priorität ein. Sein Versprechen, bis 2020 die Treibhausgase um 20 Prozent zu reduzieren, bedeutet allerdings nicht viel mehr, als daß er sie zurück auf das Niveau von 1990 führen will. Das hätte jedoch nach dem Wortlaut der Klimarahmenkonvention, die auch in den USA ratifiziert wurde, schon im Jahre 2000 geschehen sein müssen.

Klimawandel in Zahlen

Um rund 0,75 Grad Celsius ist das globale Klima seit Beginn der Industrialisierung wärmer geworden. Verantwortlich dafür ist in erster Linie das Treibhausgas Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Kohle, Erdölprodukten und Erdgas freigesetzt wird. Werden diese fossilen Energieträger weiter wie bisher verbrannt, kann sich das globale Klima bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu sechs Grad über dem heutigen Niveau erwärmen. Damit wäre es weit wärmer als je zuvor in den letzten 10000 Jahren, in denen sich die menschliche Zivilisation herausgebildet hat. Die Klimaveränderungen gingen zudem noch im nächsten Jahrhundert weiter.

An den Gefahren des Klimawandels ändert auch das absehbare Ende der fossilen Energieträger wenig. Potsdamer Wissenschaftler vom Institut für Klimafolgenforschung haben kürzlich errechnet, daß die Menschheit nur noch ein Drittel der Reserven aus dem Boden holen darf, wenn das Klima nicht vollends aus dem Ruder laufen soll. Als Marke diente ihnen dabei die Zwei-Grad-Grenze, unter der nach dem Willen der EU und vieler Staaten die globale Erwärmung langfristig gehalten werden soll. Allerdings sind auch zwei Grad globaler Erwärmung nicht unbedenklich. Sie würden aller Wahrscheinlichkeit nach schon ausreichen, einige der Inselstaaten langfristig verschwinden zu lassen. Die Vereinigung der kleinen Inselstaaten AOSIS fordert deshalb von der internationalen Gemeinschaft, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken.

So oder so müssen auch in Deutschland die Treibhausgasemissionen wesentlich rascher reduziert werden, und zwar bis zur Mitte des Jahrhunderts um etwa 90 Prozent. Ein Bau von neuen Kohlekraftwerken, wie derzeit von den Konzernen RWE, E.on, Vattenfall und anderen betrieben, ist damit nicht verträglich.



* Aus: junge Welt, 2. Juni 2009


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