Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bremse oder neue Impulse für Erfolg in Kopenhagen?

Die Amazonas-Staaten wollen am Wachstumsmodell festhalten

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Heute möchte Brasiliens Präsident Lula in Sachen Klima eine »ehrgeizige Botschaft« der Amazonas-Anrainerstaaten an die Weltöffentlichkeit auf den Weg bringen. Hierfür hat der Staatschef seine Kollegen mitten ins Amazonasgebiet eingeladen: in die Urwaldgroßstadt Manaus.

Von der Politik Brasiliens hängt in Sachen Klimaentwicklung sehr viel ab, verfügt es doch mit dem tropischen Regenwald am Amazonas über zwei Drittel der »großen Klimaanlage der Welt«. Es ist noch gar nicht so lange her, dass der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Klimapolitik als Chance begriffen hat, um auf internationaler Ebene zu punkten. Anfang des Monats noch sprach sich seine rechte Hand, Präsidialamtsministerin Dilma Rousseff, gegen nationale Klimaziele aus. Rousseff ist nicht nur die exponierteste Vertreterin des Wachstums- und Betonflügels in der Regierung, sondern auch die Kandidatin der Arbeiterpartei für die Präsidentenwahl im Oktober 2010 – und sie wird die brasilianische Delegation auf dem Weltklimagipfel in Kopenhagen Anfang Dezember leiten.

Ihr Gegenspieler, Umweltminister Carlos Minc, warb hingegen für eine Reduktion der brasilianischen Treibhausgas-Emissionen um 40 Prozent bis 2020, gemessen an jenen, die bislang prognostiziert wurden. Vor zwei Wochen ließ sich Lula von Minc überzeugen – nun liegt die »freiwillig« anvisierte Verringerung bei 36,1 bis 38,9 Prozent. Zwar würde dies in der Praxis nur eine Reduktion um etwa 15 Prozent im Vergleich zu 2005 bedeuten, doch als Signal für Kopenhagen taugte die Ankündigung allemal: »Damit tritt Brasilien reichen Ländern entgegen, die behaupteten, Entwicklungsländer wollten keine Ziele akzeptieren«, sagt Paulo Moutinho vom Amazonas-Institut für Umweltforschung in Belém.

Mit von der Partie in Manaus ist auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy: Das Überseedépartement Französisch-Guayana bildet den nordöstlichen Zipfel Amazoniens. In Paris hatten Lula und Sarkozy kürzlich eine Absichtserklärung verabschiedet, in der sie von 1990 bis 2050 eine Verringerung der CO2-Emissionen um die Hälfte fordern, für die Industrieländer sogar um 80 Prozent. Außerdem durfte Rousseff verkünden, dass sich die Zerstörung des Regenwaldes in Brasilien im letzten Jahr um 45 Prozent verlangsamt habe. Sie schrieb das der Regierungspolitik zu. Ausschlaggebend dafür war indes wohl die Weltwirtschaftskrise, die sich spürbar auf die Nachfrage nach Holz, Rindfleisch und Soja ausgewirkt hatte.

»Lula sieht jetzt die Chance, Dinge als Klimapolitik zu verkaufen, die das Land sowieso machen will: mehr Wasserkraft und Agrosprit, mehr Aufforstungen«, fasst Thomas Fatheuer von der Heinrich-Böll-Stiftung Brasiliens Vorhaben zusammen. Seine Umweltpolitik bleibe »widersprüchlich«, formuliert der Amazonienexperte zurückhaltend: »Die Regierung will die Agrotreibstoffe noch mehr fördern, das heißt mehr Zuckerrohrplantagen, die die Viehzucht in Richtung Amazonasgebiet abdrängen könnten. Außerdem werden dadurch wertvolle Ökosysteme wie die Cerrado-Savanne und das Pantanal-Sumpfgebiet bedroht.«

Hinzu kommt die Offensive der Agrarlobby im Parlament, vor der Lula auch in der Woche der großen Klimaankündigungen einmal mehr zurückwich: Landbesitzer, die auf ihrem Grundstück mehr gerodet hatten als gesetzlich erlaubt, bekommen eine weitere Gnadenfrist von 18 Monaten.

Positiv sei jedoch, dass die Regierung die Waldzerstörung bis 2020 um vier Fünftel verringern wolle, sagt Fatheuer. Wegen der Abholzung des Regenwaldes ist Brasilien der fünftgrößte CO2-Emittent der Welt. Selbst wenn man die niedrigeren Zahlen des letzten Jahres zugrunde legt, machen allein die Rodungen im brasilianischen Amazonasgebiet bis zu 4,5 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen aus, schätzt der Klimaforscher Carlos Nobre.

Auch die anderen Präsidenten der Region halten grundsätzlich am Wachstumsmodell fest, das auf der Ausbeutung fossiler Rohstoffe und großer Staudämme beruht. In Venezuela allerdings hat die derzeitige Versorgungskrise die Alarmglocken schrillen lassen: Die Solarkraft sei die Technologie der Zukunft, verkündete Hugo Chávez neulich, bei der Stromversorgung wolle man langfristig unabhängig von Wasserkraft und Öl werden.

Evo Morales aus Bolivien hält zwar immer wieder bemerkenswerte Reden über die Notwendigkeit eines globalen Umsteuerns, doch im bolivianischen Amazonasgebiet will auch er Erdöl fördern lassen. Nach Manaus kommt er ebenso wenig wie der Ecuadorianer Rafael Correa. Hingegen will Álvaro Uribe aus Kolumbien versuchen, seinen mit großflächigen Pflanzengiftbesprühungen verbundenen »Antidrogenkrieg« als Waldschutz zu verkaufen: »Unser großer Feind im Urwald ist der Drogenhandel«, sagte Uribe am Dienstag.

Pro und contra - Emissionshandel

Umweltaktivisten im Amazonasgebiet sehen dem Klimagipfel mit gemischten Gefühlen entgegen. »Für Dialog mit den Betroffenen ist da kein Platz«, sagte Rubens Gomes vom brasilianischen Netzwerk »Amazonische Arbeitsgruppe« dem ND. »Wir müssen genau aufpassen. Unser Hauptanliegen ist es, dass bei allen Maßnahmen die Rechte der indigenen Völker und der lokalen Bevölkerung respektiert werden.«

Ähnlich wie die brasilianischen Amazonas-Gouverneure wird sich Gomes in Kopenhagen für so genannte REDD-Projekte stark machen. Diese zielen auf die Verringerung von Emissionen ab, die bei der Urwaldvernichtung entstehen. Andere Basisgruppen lehnen diese marktorientierte Variante des Emissionshandels, mit der sich Geldgeber aus dem Norden von eigenen Reduktionsverpflichtungen freikaufen können, strikt ab.

Von »Klimaschulden« oder »Klimaungerechtigkeit« sprechen die Kritiker des Emissionshandels. Auch auf dem letzten Gipfel des alternativen lateinamerikanischen Handelsbündnisses ALBA in Cochabamba (Bolivien) wurden die Versuche zurückgewiesen, »Verantwortlichkeiten auf die Entwicklungsländer abzuwälzen«.

Die ALBA-Staaten, darunter Kuba, Venezuela, Bolivien, Ecuador und Nicaragua, seien bereits von den »chronischen und schrittweisen Auswirkungen des Klimawandels betroffen«, heißt es in ihrer Erklärung zum Klimawandel. Deswegen erwarte man von den Industrieländern, dass diese ihre »Anpassungsschulden« honorieren, ihre eigenen Emissionen substanziell verringern und einen »wirkungsvollen Technologietransfer« ermöglichen.

Ecuadors Außenminister Fander Falconí dürfte erneut für den Regierungsvorschlag werben, auf die Erdölförderung im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks zu verzichten. Hierfür hatte die deutsche Regierung im Juni jährlich 50 Millionen Dollar in Aussicht gestellt, wenn sich andere Länder an der Finanzierung beteiligen. Bei der UNO wird dafür ein Treuhandfonds eingerichtet. GD

* Aus: Neues Deutschland, 26. November 2009


Zurück zur Umwelt-Seite

Zur Lateinamerika-Seite

Zurück zur Homepage