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Verbreitung der atomaren Krankheit

Die IAEO und die "Renaissance" der "Atoms for Peace"

Von Xanthe Hall, IPPNW*

Für die meisten Menschen ist die Vorstellung von der Weiterverbreitung von Atomwaffen sehr stark mit Angst verbunden. Horrorszenarien von Atomwaffen in den Händen von Diktatoren, instabilen Staaten oder gar Terroristen schweben ihnen vor. Aber das erneute Interesse an dem Erwerb von atomaren Technologien für so genannte friedliche Zwecke scheint dagegen harmlos zu sein – außer wenn Nordkorea oder der Iran daran beteiligt sind. In diesen Fällen besteht gleich der Verdacht, dass andere Motive dahinter stecken.

In der Tat haben fast alle Staaten mit einem heimlichen Atomwaffenprogramm dieses unter dem Deckmantel eines zivilen Atomenergieprogramms versteckt. Sie haben oft von den offiziellen Atomwaffenstaaten oder den Mitgliedern der Gruppe der Nuklearen Lieferstaaten (Nuclear Suppliers Group, NSG)[1] technologische Hilfe bekommen, um die eigenen Materialien für Atomwaffen herzustellen. Der Atomwaffensperrvertrag sieht explizit vor, dass Länder Hilfe bekommen, um ein ziviles Atomprogramm aufzubauen. Das Land ist nur dann verpflichtet, bestimmte Kontrollen durch die Internationale Atomenergie Organisation durchführen zu lassen, in dem es sich ein Abkommen über Sicherheitsmaßnahmen (Safeguards Agreement) unterwirft.

“Atoms for Peace”

Nach den Abwürfe der ersten Atomwaffen 1945 teilte Truman in einer Nachricht dem US-Kongress mit: „Die Hoffnung der Zivilisation liegt in internationalen Regelungen, die, wenn möglich, den Verzicht auf den Einsatz und die Entwicklung der Atombombe vorschreiben und alle zukünftigen wissenschaftlichen Informationen in Richtung friedlicher und humanitärer Zwecke lenken und fördern.“[2]

Dennoch gab es von Anfang an Stimmen, die vor den Gefahren der Verbreitung der Atomenergie für friedliche Zwecke warnten. Beispielsweise das Acheson-Lilienthal-Komitee, das für den US-Außenminister zur Vorlage bei den Vereinten Nationen Vorschläge für die Kontrolle der Atomenergie ausarbeiten sollte [3]. Das Komitee schlussfolgerte, dass schon die Idee der friedlichen Nutzung das Risiko der nuklearen Weiterverbreitung von Atomwaffen in sich trüge, weil das Streben nach Atomenergie und das Streben nach Atomwaffen zu einem erheblichen Teil untereinander auswechselbar seien. Ein internationales System, das sich nur auf Gutgläubigkeit stütze, sei zum Scheitern verurteilt: „(...) Auch wenn Nationen vereinbaren mögen, Atomenergie, die innerhalb ihrer Landesgrenzen entwickelt wurde, nicht in Bomben einzusetzen, wäre die Zusicherung, dass eine Umwidmung für destruktive Zwecken nicht erfolgt, lediglich durch das Versprechen und die Glaubwürdigkeit der Nation selbst abgedeckt. Die nationale Gutgläubigkeit wird dadurch einem enormen Druck ausgesetzt. Ja, sie begründet sogar den Verdacht anderer Nationen, dass das Nachbarland sein Wort nicht einhalten wird.

(...) Wir sind zu dem einstimmigen Ergebnis gekommen, dass es keine Aussicht auf Sicherheit gegen atomare Kriegsführung innerhalb eines internationalen Vertragsregimes zum Verbot solcher Waffen gibt, solange zur Kontrolle der Vertragseinhaltung lediglich Inspektionen und polizeiliche Maßnahmen zur Verfügung stehen.“[4]

Diese Kritik ist zu einer Zeit, in der sich der Nichtverbreitungsvertrag auf die technischen Werkzeuge der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) stützt, um sich seiner politischen Zielsetzung zu versichern, richtiger den je. Diese basiert auf dem Versprechen der Atomwaffenstaaten, ihre Atomwaffen abzuschaffen und Atomtechnologie und –Wissen für die zivile Nutzung zu liefern. Im Gegenzug verzichten die atomwaffenfreien Staaten gänzlich auf Atomwaffen.

Die IAEO und das „Atoms for Peace“-Programm begannen im Kopf von USPräsident Eisenhower in den 50er Jahren. Der Kern seiner Idee war eine "Uranbank", in der die USA und die Sowjetunion ihre militärischen Uranvorkommen für "friedliche" Zwecke zusammenlegen sollten.[5]

Die Weitergabe der Atomenergie für zivile Zwecke trieb US-Präsident Eisenhower in seiner bekannten „Atoms for Peace“-Rede vor der UNO im Jahr 1953 noch weiter. Darin schlug er zur Verhinderung der Weiterverbreitung der Atomwaffen vor, dass Atomgeheimnisse zur „Besserung der Menschheit“ von allen geteilt werden sollten.

Das „Atoms for Peace“-Programm wurde zu einer massiven Werbekampagne für die Vorteile der zivilen Nutzung der Atomenergie für Medizin, Landwirtschaft und Forschung. Der Medienrummel in den USA führte dort zu einem weitgehend positiven Bild der Atomkraft, während das Programm in der Sowjetunion zu Recht als Propaganda verurteilte wurde. Schwerpunktmäßig war das Programm ein außenpolitisches, das die westlichen Alliierten an die USA und an den Kapitalismus binden sollte. Gleichzeitig demonstrierten die USA damit ihre militärische und atomare Vormacht.

Am Ende hatte das „Atoms for Peace“-Programm wenig mit der Eisenhowerschen Uranbank zu tun. Stattdessen entstand eine Sammlung von Abkommen über die technische Zusammenarbeit auf der Grundlage eines Systems von Sicherungsmaßnahmen, dessen Regelung die IAEO übernahm. Unter dem Schirm des Programms verkaufte die westliche Atomindustrie Forschungsreaktoren und schloss mit vielen Ländern Atomabkommen. Ausländische Wissenschaftler und Ingenieure durften an US-amerikanischen Nuklear-Forschungsprojekten teilnehmen. Indien erhielt z.B. 1955 einen kanadischen Forschungsreaktor und schweres Wasser aus den USA, die zur Herstellung von Plutonium für Indiens erste im Jahr 1974 getestete Atombombe führten. Mehr als eintausend indische Wissenschaftler nahmen von 1955 bis 1974 an US-Forschungsprojekten teil, und die USA halfen Indien beim Bau der Tarapur-Reaktoren. Aber auch die Sowjetunion lieferte atomares Wissen, insbesondere nach China. Die Lust auf Mitgliedschaft im nuklearen Club war so groß, dass sogar Entwicklungsländer um die Lieferung eines Forschungsreaktors baten, obwohl sie keine Fachleute hatten, um diese zu betreiben. Nukleare Kompetenz wurde zum Synonym für das Selbstbewusstsein eines Landes.

Die Rolle der IAEO

Die Internationale Atomenergie Organisation ist einem massiven Interessenskonflikt ausgesetzt. Um ihre Finanzierung zu sichern, muss sie die Interessen ihrer Mitgliedsstaaten vertreten und ihrer Satzung treu bleiben. Die Satzung sieht die Förderung der Atomenergie vor. Diese Situation bedeutet, dass die IAEO auf der einen Seite erklären muss, wie gefährlich bestimmte Technologien und Materialien bei der Atomenergie für den Weltfrieden sein können, so dass sie pedantisch kontrolliert werden müssen. Auf der anderen Seite behauptet sie, dass die Atomenergie die „friedliche“ Energiequelle der Zukunft sei.

Die IAEO hat 139 Mitgliedsstaaten, nur 35 sind Mitglieder des Gouverneursrates. Die Satzung sieht folgende Regelung vor: “Der scheidende Gouverneursrat wird für die Mitgliedschaft des Rates, die zehn am weitesten entwickelten Mitglieder in der Atomtechnologie, einschließlich der Herstellung von Quellstoffen, benennen, sowie das am weitesten entwickelten Mitglied (...) in jeden der folgenden Regionen, wo keines der oben genannten zehn zu verorten ist: Nordamerika, Lateinamerika, Westeuropa, Osteuropa, Afrika, Nahost und Südasien, Südostasien und der pazifische Ferne Osten.“

Dies bedeutet, dass die “Spitzenländer” in der Gruppe der Nuklearen Lieferstaaten, einschließlich der fünf offiziellen Atomwaffenstaaten, mit Sicherheit Mitglieder im Rat sind. Diese Länder sind auch die Hauptfinanzierer der IAEO und haben mehr Gewicht, wenn es darum geht wie mit Staaten die unter Verdacht stehen, ein Atomwaffenprogramm zu betreiben oder aufbauen zu wollen, zu verfahren sei.

Beispiel Nordkorea: Die IAEO zeigte hier zum ersten Mal Fotografien von empfindlichen Anlagen, die von Geheimdiensten eines anderen Mitgliedsstaates aufgenommen wurden. Für einen Staat wie Nordkorea, der sich noch im Kriegszustand befindet, ist das ein Zeichen der Befangenheit.

Seitdem wird diese Vorgehensweise immer öfter genutzt und deutet auf ein Defizit in der Neutralität der IAEO hin, da Geheimdienstinformationen häufig nachweislich politisch motiviert oder manipuliert sind, wie wir im Fall des Irak sehen konnten. 1992 führte die IAEO über vier Monaten nur eine sehr kleine Zahl von Kontrollen durch, bevor sie erklärte, dass Ungereimtheiten in der nordkoreanischen Materialbuchhaltung aufgedeckt wurden. Der Streit über solch eine recht kleine Entdeckung war aus Sicht Nordkoreas unverhältnismäßig groß, und führte zu Aufkündigung der IAEOMitgliedschaft durch Nordkorea und der darauffolgenden Krise. Es gibt Berichte darüber, dass der Leiter des Inspektionsteams der Meinung war, eine Weiterführung der Inspektionen hätten das Problem aufklären können. Die Nordkoreaner behaupten jedoch, dass das IAEO-Sekretariat schnell über die Nichteinhaltung des Atomwaffenvertrags befinden wollte, um bestimmte Mitgliedstaaten zu befriedigen.

Ich diskutiere hier nicht darüber, ob diese Behauptungen richtig sind oder nicht. Es geht mir nur darum, dass die Wahrnehmung bestimmter Staaten dahin geht, dass die IAEO Probleme dort sucht und auch findet, wo sie die Anweisungen dazu bekommen haben. Dies geschieht entweder durch Denunziation von Exilgruppen oder von Staaten, die eine eigene politische Agenda in dieser Sache verfolgen. Ein Missbrauch der Organisation kann nicht ausgeschlossen werden. Ähnlich wie beim UN-Sicherheitsrat, ist die Fähigkeit der Atomwaffenstaaten oder die Gruppe der Nuklearen Lieferstaaten ihre eigene Interessen erfolgreich zu vertreten, offensichtlich.
Sie wollen nicht nur dass dem Iran oder Nordkorea die nukleare „Option“ vorenthalten wird, sie wollen ebenso ihr Exportmonopol über die Atomenergie sichern ohne dem Vorwurf der atomaren Weiterverbreitung zu unterliegen. Die USA wollen die Abhängigkeit vom Öl – die eine Abhängigkeit vom Nahen und Mittleren Osten bedeutet – durch den Wiederaufbau der Atomenergie beenden. Damit eröffnen sie den Kampf über den Zugang und die Verfügung über Atomtechnologie.

Wie verhindern wir die Verbreitung von Atomwaffen?

Der Leiter der IAEO, Mohammed ElBaradei, rügte die Atomwaffenstaaten im November 2005 erneut, dass die Abrüstung der Atomwaffen zu schleppend vorangehe. Nach dem Ende des Kalten Krieges gebe es zu wenig Fortschritt bei der Abnabelung von den Atomwaffen, so ElBaradei. Dies fördere eine Atmosphäre des Zynismus. „Das Vertrauen in die Abrüstungsverpflichtungen wäre messbar größer, wenn die Atomwaffenstaaten etwas unternehmen würden, um die strategische Rolle der Atomwaffen zu reduzieren.“[6]

Solche Aussagen sind wichtig; dafür verdient ElBaradei den Friedensnobelpreis. Auch seine Vorschläge für die Verhinderung der Weiterverbreitung sind sehr hilfreich, insbesondere um weitere Kriege zu vermeiden. Dennoch verhält er sich so, als ob das Problem erst durch die Krisen um Nordkorea und den Iran und die Existenz des illegalen Nuklearhandels durch das pakistanische Khan-Netzwerk ausgelöst worden seien.

ElBaradei umschifft damit das Grundproblem der Organisation dessen Vorsitzender er ist: Die Atomenergie wird weiterhin gefördert, Atomtechnologien werden weiterhin an Länder verkauft, und seine Organisation trägt diese Fehlentscheidungen mit. Zugleich schlägt er Zwischenschritte vor, die scheinbar vernünftig sind, wie z.B. die Einschränkung der Herstellung von spaltbaren Materialien durch Urananreicherung oder Wiederaufarbeitung, verschärfte Exportkontrollen, mehr Inspektionsrechte und internationale Kontrollen über mehr Anlagen. Dann aber begründet ElBaradei solche Maßnahmen mit der Sicherung des aktuellen Systems, unter dem alle Länder „die Vorteile“ der Atomtechnologien weiterhin genießen können.

Darüber hinaus schlägt er die „Internationalisierung“ der Herstellung von reaktorfähigen Spaltmaterialien vor – d.h. Brennstoffe werden nur in bestimmten Zentren hergestellt und dann weiter verkauft. Diese Idee stößt auf große Interesse in den Lieferländer, besonders in den USA und Russland, wo beide bereits Initiativen auf dieser Basis am laufen haben, beispielsweise die US „Global Nuclear Energy Partnership. Das russische Angebot an den Iran ist das andere bekannte Beispiel, aber auch Europa wird durch Urenco an einem solchen Projekt Teilnehmen. Das Problem ist, dass damit eine weitere Diskriminierung festgezurrt wird: eine Spaltung in Staaten mit der nuklearen „Option“ (die Lieferländer) und die Empfängerstaaten, die davon abhängig sein werden ob sie als vertrauenswürdig eingestuft werden oder nicht. Und dann gibt es noch den Rest der Welt.

Das globale Netzwerk für die Abschaffung aller Atomwaffen, „Abolition 2000“, fordert eine Internationale Behörde für erneuerbare Energien als UNOrgan, um der Förderung der Atomenergie entgegen zu wirken. Dies könnte dann mittels eines Zusatzprotokolls zum NVV Ländern konkrete Hilfsangebote bei der Entwicklung und dem Einsatz erneuerbarer Energien anbieten, könnte als Alternative zum problematischen, die Nutzung von Atomenergie fördernden Artikel IV des NVV dienen und dazu motivieren, die Finger von der Atomtechnologie zu lassen.

Der Streit um den Friedensnobelpreis an die IAEO verdeutlicht, dass viele Organisationen und Staaten die Verbindung zwischen Atomwaffen und Atomenergie immer noch nicht erkennen wollen. Lieber werden die Kontrollen verschärft, oder das bereits diskriminierend wirkende System wird noch ungerechter.

Faktisch gibt es Staaten, die Atomwaffen besitzen dürfen, gemäß NVV allerdings nur vorübergehend, während sie einen Modus für deren vollständige Abschaffung ausarbeiten. Weiter gibt es Länder, die Plutonium abtrennen oder Uran anreichern dürfen und damit die Atomwaffenoption besitzen. Schließlich gibt es jene Staaten, die fortschrittliche Atom- oder Dual-Use-Technologien zukünftig nicht erhalten werden, weil sie als „unsicher“ gelten. Damit ist die nukleare Frage – wieder einmal – eine Frage der Weltordnung und der Macht. Diese Macht definiert sich weiterhin durch die Fähigkeit zur Weltzerstörung.

Fußnoten
  1. Darstellung der NSG auf der eigenen homepage: “The Nuclear Suppliers Group (NSG) is a group of nuclear supplier countries which seeks to contribute to the non-proliferation of nuclear weapons through the implementation of Guidelines for nuclear exports and nuclear related exports. The NSG Guidelines are implemented by each Participating Government in accordance with its national laws and practices. Decisions on export applications are taken at the national level in accordance with national export licensing requirements.” http://www.nuclearsuppliersgroup.org
  2. Truman, President Harry S: Message to Congress on the Atomic Bomb, Washington, DC, October 3, 1945, http://www.honors.umd.edu/HONR269J/archive/Truman451003.html
  3. "The Acheson-Lilienthal Report. Report on the International Control of Atomic Energy, 16. März, 1946. Committee members: Dean Acheson, Vannevar Bush, James Conant, Leslie Groves, John McCloy. Acheson appointed a board of consultants to work out the details of the proposals. The board was chaired by David Lilienthal, later to become first Chairman of the Atomic Energy Commission, and included Robert Oppenheimer, former scientific director of the Manhattan Project.
  4. Ibid.
  5. Leonard Weiss: Atoms for Peace, in: Bulletin of the Atomic Scientists, November/Dezember 2003.
  6. Reuters: ElBaradei says nuclear states too slow disarming, Washington, 7. November 2005 (eigene Übersetzung).
* Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin bei den deutschen Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) in der Geschäftsstelle in Berlin. Bei dem Text handelt sich um ein Referat auf dem Tschernobyl-Kongress der IPPNW im April 2006.

Quelle: Website zum IPPNW-Kongress: www.tschernobylkongress.de


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