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Rom, wir haben ein Problem

"Die Grenzen des Wachstums". Von Bettina Dyttrich *

Das berühmteste Produkt des Club of Rome verkaufte sich dreissig Millionen Mal und prägte weltweit die Umweltdiskussion. Was bleibt 36 Jahre später?

Das Wunder war noch jung damals, in den frühen siebziger Jahren. Es ging aufwärts. Die letzten zwei Jahrzehnte hatten Kühlschränke und Waschmaschinen, Autos und Reihenhäuser gebracht. Doch langsam liessen sich die Nebenwirkungen des Wunders nicht mehr ignorieren. Die Seen stanken, in den Wäldern türmte sich Abfall, unterhalb von Basel war der Rhein tot, und um die Industriegebiete serbelten die Bäume. Das Unbehagen hatte also bereits begonnen, als 1972 «Die Grenzen des Wachstums» erschien. Im gleichen Jahr fand die erste internationale Umweltkonferenz der Uno statt.

Beauftragt vom Club of Rome, hatte ein ForscherInnenteam um Dennis und Donella Meadows am Massachusetts Institute of Technology (MIT) studiert, was passieren würde, wenn Weltwirtschaft und Weltbevölkerung weiterwüchsen wie bisher. Sie untersuchten dafür fünf Bereiche, die alle sehr schnell zunahmen: Industrialisierung, Bevölkerung, Nahrungsmittelproduktion, Rohstoffverbrauch und Umweltverschmutzung. Die Forscher­Innen entwickelten ein Weltmodell mit 99 Variablen zu den fünf Bereichen und fütterten die Daten ihrem Computer.

Es geht schief

Die Resultate waren ernüchternd. Im Szenario «Weiter wie bisher» wachsen Wirtschaft und Bevölkerung rapide, bis in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts die Rohstoffknappheit zu einem Zusammenbruch der Industrie führt. Dann sinkt auch die Nahrungsmittelproduktion (wegen ihrer Abhängigkeit von fossilen Energien), während die Bevölkerung noch eine Weile weiterwächst, bevor das grosse Sterben beginnt. Die ForscherInnen machten noch viele Testläufe: mit unbegrenzten Rohstoffmengen, besseren Umweltschutzmassnahmen und so weiter. Doch alle Szenarien, die die Wirtschaft und die Bevölkerung unbeschränkt wachsen liessen, führten zur Katastrophe. Einmal geriet die Umweltverschmutzung ausser Kontrolle, ein anderes Mal wurden die Lebensmittel knapp. Fazit: «Wenn wir technologische Massnahmen simulieren, die geeignet sind, irgendeine Beschränkung des Wachstums aufzuheben oder einen Zusammenbruch zu verhindern, wächst das System gegen die nächste Grenze, übersteigt sie ebenfalls und bricht wieder zusammen.»

Um eine solch düstere Zukunft abzuwenden, gebe es nur ein Mittel, schrieben die AutorInnen der Studie: Bevölkerung und Wirtschaft dürften nicht mehr weiterwachsen - zumindest nicht jener Teil der Wirtschaft, der verbrauche und verschmutze. «Jede menschliche Tätigkeit, die keine grossen Mengen unersetzbarer Rohstoffe benötigt oder Schadstoffmengen freisetzt und den Lebensraum schädigt, könnte ohne Beschränkung zunehmen.»

1973 schockierte die erste Ölkrise die Industrieländer. Sie hatte zwar politische, nicht natürliche Ursachen, aber sie unterstrich trotzdem die Aussagen des Buches: Es gibt Grenzen. Rohstoffe sind nicht unbegrenzt verfügbar. Die Katastrophen von Seveso, Bhopal und Tschernobyl zwischen 1976 und 1986 verstärkten bei grossen Teilen der Bevölkerung das Gefühl, dass es so nicht weitergehen könne.

Doch dann wurden die Flüsse und Seen, die Luft und der Boden im reichen Westen langsam wieder sauberer. Dank Kläranlagen und Katalysatoren, vor allem aber, weil sich die Industrieländer in Dienstleistungsländer wandelten und die Industrie in den globalen Süden verlagert wurde. Der Dreck wurde unsichtbar. Damit verschwanden auch die Grenzen des Wachstums aus dem Blickfeld. «Nachhaltigkeit» wurde das neue Schlagwort. Sein Siegeszug begann 1987 mit dem Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung («Brundtland-Bericht»). Laut der Kommission ist eine Gesellschaft dann nachhaltig, wenn sie «den Anforderungen der Gegenwart gerecht wird, ohne dabei die Fähigkeit zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihren eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden».

Das war an sich nicht weit entfernt vom Ziel der «Grenzen des Wachstums»-AutorInnen. Doch anders als jene stellten die AnhängerInnen der Nachhaltigkeit die wachstumsorientierte Wirtschaft nicht grundsätzlich infrage. Der an sich sinnvolle Versuch, Umwelt, Wirtschaft und Soziales zusammenzudenken, führte zu völliger Beliebigkeit: «Nachhaltige Entwicklung verfügt über die drei Zieldimensionen ökologische Verantwortung, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und gesellschaftliche Solidarität», steht in der «Strategie Nachhaltige Entwicklung» der Schweiz. Schöne Ziele - nur gewinnt immer, wenn die drei «Zieldimensionen» nicht zusammenpassen, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

Als Dennis Meadows vor einigen Jahren «Grenzen des Wachstums - das 30-Jahre-Update» vorstellte, wurde er von vielen belächelt: «Eure Prognosen waren falsch! Die Welt ist gar nicht untergegangen!» Meadows wies darauf hin, dass in allen Szenarien von 1972 das Wachstum bis in die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts hinein weitergegangen sei. Ausserdem hätten die LeserInnen Szenarien mit Prognosen verwechselt. Das stimmt - im Buch steht ausdrücklich, dass die Szenarien keine exakten Vorhersagen seien.

Ökodiktatur?

Wer «Die Grenzen des Wachstums» heute liest, stellt fest: Die Grundannahmen des Buches sind nicht widerlegt. Zwar hat sich das Bevölkerungswachstum verlangsamt, die Rohstoffvorräte sind grösser als erwartet, und der CO2-Ausstoss pro Kopf ist dank Effizienzsteigerungen leicht gesunken (während der Gesamtausstoss weiter steigt). Doch die Richtung bleibt dieselbe. Ironischerweise waren die TechnikerInnen vom MIT technikkritischer als viele heutige Grüne, die glauben, erneuerbare Energien seien eine Wunderlösung. Technik ­behebe nur Symptome, schrieben Meadows und Co. «Der Glaube an die Technologie kann unsere Aufmerksamkeit vom Hauptproblem, dem exponentiellen Wachstum innerhalb eines begrenzten Systems, ablenken und wirklich wirksame Massnahmen zu seiner Lösung verhindern.» Ausserdem wiesen sie auf etwas Banales hin, das TechnikenthusiastInnen auch heute noch ignorieren: Für viele Probleme gibt es keine technischen Lösungen.

Am meisten Fragen wirft heute das Alternativprogramm auf, das das Buch propagierte. Welche Instanz soll die Wirtschaft so umbauen, dass sie materiell nicht mehr wächst? Wer setzt das Geburtenregelungsprogramm durch - und wie? Etwa mit Zwangssterilisierungen? Das alles führten die AutorInnen nicht aus. Wohl mit gutem Grund: Es würde entweder diktatorisch oder naiv.

Doch hier scheitern nicht nur die AutorInnen. Die globalen Probleme sind so gross geworden, dass es keine Instanzen mehr gibt, die sie lösen könnten. Die KonsumentInnen wollen nicht auf ihre Konsumgüter verzichten, Diktaturen sind hässlich, und die sympathische Alternative - regional vernetzte Ökokommunen, wie sie der Zürcher Autor P. M. vorschlägt - ist auch nicht in Sicht. So geht es weiter auf den Kollaps zu - und auf das, was danach kommt, sind wir sehr schlecht vorbereitet.

Dank den «Grenzen des Wachstums» war in den siebziger Jahren zumindest vielen Menschen bewusst, dass es ein Problem gibt - auch wenn die meisten nicht entsprechend handelten. Die Botschaft der heutigen Nachhaltigkeitsapostel heisst hingegen: Mit ein paar Solarzellen und Windturbinen geht es schon irgendwie. Die Leute glauben das gerne. Und das ist fatal.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 14. Februar 2008


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