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Abbas Rede erzürnt Israel

Die Drastik der Worte des Palästinenserpräsidenten vor der UNO überrascht die Regierung Netanjahu

Von Oliver Eberhardt *

Palästinas Präsident Abbas hat Israel vor der UNO-Vollversammlung scharf angegriffen. Er forderte, die internationale Gemeinschaft solle Israel nun eine Frist für ein Friedensabkommen setzen.

»Arafat ist zurück«, ruft der Mitarbeiter von Präsident Mahmud Abbas begeistert ins Telefon, »was für eine Rede!« Er meint die emotionalen Worte, die ein sichtbar aufgebrachter Abbas vor der Vollversammlung [externer Link] der Vereinten Nationen hielt. Es ist eine Freude, eine Begeisterung, die im Team von Abbas schon seit langer Zeit nicht mehr zu spüren war. Noch vor wenigen Tagen hatten selbst Mitarbeiter der palästinensischen Regierung ihren Missmut über »das ewige Hin und Her« des Präsidenten kaum verborgen.

Doch das war vor der Rede. Jetzt stehen selbst die Kritiker wieder hinter ihrem Chef. Denn Abbas nahm in vor dem UN-Plenum kein Blatt vor dem Mund – und brach damit auch Brücken ab. Er bezichtigte Israels Regierung, während des Gaza-Krieges »Völkermord« begangen zu haben: »Im Namen des palästinensischen Volkes erkläre ich heute: Wir werden nicht vergeben, wir werden nicht vergessen, wir werden es nicht erlauben, dass Kriegsverbrecher ihrer Bestrafung entgehen.«

Worte, die vor allem im Gaza-Streifen gehört wurden, wo seine Regierung die Macht übernehmen soll, aber nach Jahren der Hamas-Herrschaft um Einfluss ringt. Und: »Es ist unmöglich und ich wiederhole: unmöglich, zum Kreislauf der Verhandlungen zurückzukehren, die es nicht geschafft haben, die substanziellen Fragen zu klären.«

Abbas rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, Israels Regierung eine Frist für ein Ende der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete zu setzen. »Die Besatzung zielt besonders darauf, den Charakter Ostjerusalems zu verändern.« Einem Bericht der israelischen Friedensorganisation »Schalom Achschaw« zufolge wurden gut ein Viertel (rund 500) aller im ersten Halbjahr 2014 in Jerusalem gebauten Wohnungen im arabischen Ostteil der Stadt gebaut.

»Ist Arafat zurück?«, fragten in den vergangenen Tagen gleich mehrere israelische Medien. »Und ganz ehrlich: Wir fragen uns das auch«, heißt es im Umfeld des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu. Die Drastik der Abbas-Rede hat hier überrascht und erzürnt, aber vor allem: Sie hat das Team Netanjahu unter Zugzwang gesetzt. Eigentlich war man gerade dabei, sich mit Finanzminister Jair Lapid über den Haushalt 2015 zu streiten. Dieser soll die Kriegskosten durch Einschnitte in den Sozial- und Bildungshaushalt finanzieren, damit keine Steuern für die Oberschicht erhöht werden müssen. Stattdessen sucht man nun nach einer Antwort auf Abbas. Nichts fürchtet Netanjahu so sehr wie eine palästinensische Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof und eine UNO-Resolution, an der Israel nicht mitgeschrieben hat. Denn wahrscheinlich wird nun entweder das eine oder das andere passieren. Zwar hat das US-Außenministerium die Abbas-Rede ungewöhnlich scharf kritisiert. Sie sei »beleidigend« und »provokativ«. Doch amerikanische Diplomaten schauen mit Sorge auf die nun zu erwartenden Entwicklungen. Bislang hatte man im Sicherheitsrat stets ein Veto eingelegt, wenn es um Israel ging. Doch jetzt muss man für diesen Fall damit rechnen, dass israelische Politiker und Militärs vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Überdies ist mit Gegenwehr aus der arabischen Welt zu rechnen.

Palästinensische Diplomaten haben in den vergangenen Monaten bereits Vorarbeit geleistet: Man versicherte sich der Arabischen Liga und warb bei westlichen Regierungen um Unterstützung für die letzte Frist. Es wird damit gerechnet, dass sich der Sicherheitsrat in naher Zukunft mit der Frage des Zeitplans befasst. Eine wirkliche Antwort hat Israels Regierung nicht: Laut Entwurf von Netanjahus Rede, die nach Redaktionsschluss gehalten wurde, beschränkt sich diese auf Gegenvorwürfe.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 30. September 2014

Zur Rede von Mahmoud Abbas:

'This last war against Gaza was a series of absolute war crimes'
Rede von Mahmoud Abbas, President der Palästinensischen Autonomiebehörde, vor der UN-Vollversammlung (englisch, pdf) (26. September 2014) [Externer Link]



Schaulaufen in New York

"Russische Aggression" und Kampf gegen IS dominierten UN-Generaldebatte

Von Karin Leukefeld *


In New York geht die diesjährige Generaldebatte der UN-Vollversammlung am 1. Oktober zu Ende. Seit dem vergangenen Mittwoch haben sich fast 200 Staats- und Regierungschefs sowie hochrangige Vertreter der Mitgliedsländer zu Wort gemeldet. Thematisch geprägt wurde das Schaulaufen, wie zu erwarten war, durch die aktuellen Krisen in Europa, dem Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika.

2014 sei bislang »ein schreckliches Jahr« gewesen, erklärte der scheidende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy in seiner Ansprache. Die »russische Aggression gegen die Ukraine« und die »Untaten des ›Islamischen Staats im Irak und in der Levante‹, ISIL« standen für den obersten Repräsentanten der Europäischen Union ganz vorne auf der Liste der Ereignisse, gegen die die Vereinten Nationen gemeinsam aktiv werden müßten. Damit folgte er der am Eröffnungstag von US-Präsident Barack Obama vorgegebenen Linie. Dieser hatte zum internationalen einsatz gegen die »islamistischen Kämpfer« aufgerufen. Die Welt befinde sich an einer »Wegkreuzung zwischen Krieg und Frieden, zwischen Unordnung und Auflösung, zwischen Angst und Hoffnung«.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow ging demgegenüber in seiner Rede scharf mit den USA ins Gericht. Washington beharre offen auf dem Recht auf einseitige Gewaltanwendung, wo immer es um seine eigenen Interessen gehe, kritisierte er. Militärische Einmischung sei »zur Norm geworden«, sagte Lawrow und erinnerte an die Luftangriffe in Jugoslawien, im Irak, in Libyen und in Afghanistan, wo sie »nichts als Chaos und Instabilität« hinterlassen hätten. Auch die ohne Beschluß des UN-Sicherheitsrates begonnenen Luftangriffe auf syrisches Territorium werden von Moskau als »illegal« abgelehnt. Die USA und ihre westlichen Bündnispartner träten als Verfechter der Demokratie auf, sagte Lawrow. Tatsächlich jedoch »versuchen sie lediglich, allen anderen vorzuschreiben, was gut oder schlecht« sei. Die Weltgemeinschaft müsse sich mit den »global wichtigsten Themen« befassen und dürfe sich nicht »für eine einseitige Agenda in Geiselhaft nehmen« lassen.

Mehr als 350 Millionen Menschen leben in den 22 Staaten der arabischen Region, die Gefahr läuft, durch regionale und internationale Machtkämpfe in einen langanhaltenden Krieg verwickelt zu werden. Trotzdem sandten die Vertreter der arabischen Staaten unterschiedliche Signale aus. Vertreter der Golfstaaten begrüßten die US-Allianz gegen den »Islamischen Staat«, für die sich der saudiarabische Außenminister Prinz Faisal Al-Saud die Unterstützung des UN-Sicherheitsrates wünschte. Angesichts der Tatsache, daß die Ereignisse in der Region »die Tagesordnung des Sicherheitsrates« dominierten, forderte der Ministerpräsident Kuwaits, Scheich Jaber Al-Mubarak Al-Hamad Al-Sabah für die arabischen Staaten einen Sitz in dem Gremium. Al-Sabah warnte gleichzeitig vor der Politik Israels, das weiterhin palästinensischen und arabischen Boden besetzt halte und versuche die Zusammensetzung der Bevölkerung Jerusalems durch eine »Politik der Judaisierung« zu verändern.

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas warf Israel »Kriegsverbrechen« vor. Die Regierung von Benjamin Netanjahu begehe »Völkermord« an den Palästinensern und sei »kein Partner für Friedensgespräche«. Die USA und mehrere europäische Staaten wiesen diese Äußerungen als »provokativ« zurück. Auch Netanjahu, der am Sonntag in New York eintraf, sprach von »Verleumdungen und Lügen« des palästinensischen Staatschefs. Er wolle in seiner für Montag abend (Ortszeit) angekündigten Rede »die Wahrheit über unseren Staat und über die heldenhaften Soldaten der IDF« vortragen. Die »Israelischen Verteidigungskräfte« seien »die moralischste Armee der Welt«. Auch der »haßerfüllten Lügenrede« des iranischen Präsidenten Hassan Rohani werde er widersprechen.

** Aus: junge Welt, Dienstag 30. September 2014


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