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UNO will gegen das organisierte Verbrechen vorgehen

Konferenz in Palermo verabschiedet Konvention

Die Vereinten Nationen machen gegen das organisierte Verbrechen mobil. Ausgerechnet in Palermo auf Sizilien wurde Mitte Dezember 2000 eine so genannte Anti-Mafia-Konvention verabschiedet. Die «Konvention gegen das länderübergreifende organisierte Verbrechen» - so der offizielle Titel - ist auf einer Konferenz in Palermo von insgesamt 121 Ländern unterzeichnet worden. Bei einigen Zusatzprotokollen, die sich gegen den Menschenschmuggel richten, haben viele Emigrationsländer dagegen ihre Zustimmung verweigert.

Die neue Uno-Konvention «gegen das länderübergreifende organisierte Verbrechen» ist bei den Mitgliedländern der Vereinten Nationen auf breite Zustimmung gestoßen. Bis zum Abschluss der UNO-Sondertagung in Palermo, an der sich mehr als 150 Länder beteiligten, hatten 121 Delegierte ihre Unterschrift unter das 74-seitige Dokument gesetzt und damit ihren Willen bekräftigt, das international tätige organisierte Verbrechen mit transnationalen rechtlichen Maßnahmen zu bekämpfen. Die Signatarstaaten verpflichten sich, ihre nationalen Gesetzgebungen erforderlichenfalls so anzupassen, dass die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche, Korruption und Behinderung der Justiz zu Straftatbeständen deklariert werden. Außerdem liegen nun präzise und verbindliche Regeln für Rechtshilfe und Auslieferung vor. Das große Echo, das die Konvention in Palermo gefunden hat, zeigt, dass sich manche Länder der Gefahr, die von einer global agierenden Mafia ausgeht, bewusst sind. Die UNO geht nun davon aus, dass das Regelwerk innerhalb von zwölf Monaten in Kraft treten kann.

Bei den beiden Protokollen, die der Konvention angefügt waren und die einer separaten Unterzeichnung bedürfen, gab es weniger Übereinstimmung. Bis zum Ende der Konferenz hatten lediglich 80 der in Palermo vertretenen Länder sich zur Unterschrift bereit gefunden. Die Zusatzprotokolle sollen dazu beitragen, den Menschenschmuggel und die neuen Formen der Sklaverei weltweit zu ächten. Nach Angaben von Pino Arlacchi, dem Generaldirektordes UNO-Büros für die Kontrolle des Drogenhandels und die Prävention von Verbrechen, hat sich der Handel mit Leibeigenen in den letzten Jahren zu einem blühenden Geschäft entwickelt. Die Rede ist von einem «Jahresumsatz» im Umfang von sieben Milliarden Dollar. Nach Schätzung der UNO gibt es derzeit weltweit an die 200 Millionen Menschen, die ein Dasein als Sklaven fristen; 30 Millionen davon sind Frauen und 700.000 bis 2 Millionen Kinder, die oft sexuell ausgebeutet werden.

Auch der Menschenschmuggel ist in den letzten Jahren zu einem globalen Problem und zu einem beliebten Tätigkeitsfeld der Mafia geworden. Das Protokoll, das der UNO- Konvention beigefügt ist, sieht vor, dass der eigentliche Schmuggel von Personen unter Strafe gestellt werden soll, ohne indessen die geschmuggelten Personen selber zu kriminalisieren. Gemäß der neuen Regelung soll auch dafür gesorgt werden, dass die Fälle illegaler Einwanderer, die dem Grenzschutz in die Fänge gehen, "speditiv" behandelt werden, d.h. dass die Betroffenen rasch wieder abgeschoben werden können.

Trotz der deutlichen Unterscheidung zwischen «Tätern» und «Opfern» erregte vor allem dieses zweite Regelwerk das offene Misstrauen einer ganzen Reihe von so genannten Emigrationsländern. Viele befürchteten, dass die vorgesehene Differenzierung keine praktische Bedeutung hat und die neue Rechtsnorm dazu führen wird, dass die Immigration als solche kriminalisiert wird. Andere kritisierten den Vorstoß als "fremdenfeindlich". Von den westeuropäischen Ländern haben Liechtenstein und die Schweiz die Zusatzprotokolle noch nicht unterzeichnet. Die Schweiz hat allerdings die Hauptkonvention in Palermo als eines der ersten Länder unterzeichnet.

Die internationale Konvention gegen das organisierte Verbrechen ist längst überfällig. Kriminelle aller Herren Länder waren bisher neben den Transnationalen Konzernen (TNK) die Haußtnutznießer der "Globalisierung". Da konnten Steuerparadiese ausgenutzt und Schwarzgelder in ausländischen Banken deponiert werden, da wurde die Strafverfolögung über Ländergrenzen hinweg unnötig erschwert, sodass Schmuggler, Dealer und Menschenhändler nur schwer zu fassen waren, und da gab es in manchen Fällen sogar eine Art amtliche Komplizenschaft bei Geldwäschedelikten oder Kapitalflucht. Die Probleme jedenfalls türmten sich so hoch, dass der Ruf nach Abhilfe nicht mehr zu überhören war. Abhilfe kann unter den Bedingungen der Globalisierung nur heißen: internationale Kooperation, möglichst unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Nicolas Richter kommentierte in der Süddeutschen Zeitung die Verhandlungen in Palermo entsprechend zustimmend, äußerte sich aber hinreichend skeptisch, was die Umsetzung der in Palermo besprochenen hehren Grundsätze betrifft. Es heißt in seinem Kommentar ("Ehrenwertes aus Palermo") u.a.: "Es ist ein großer Fortschritt, dass Geldwäsche nun überall als Verbrechen gelten soll, und dass sie gemeinsam verfolgt werden kann. Es war beispielsweise der Gastgeber der jetzigen Konferenz, Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando, der das Ende des Bankgeheimnisses mit dem Ende der Mafia gleichsetzte. Das organisierte Verbrechen zielt auf Geldvermehrung, und wer eine Handhabe hat, Geldströme offen zu legen und Bankkonten zu sperren, der versetzt den Kriminellen den schwersten Schlag. Wer den neuen UN-Vertrag ratifiziert, der muss Banken künftig dazu verpflichten, ordentlich Buch zu führen und Ermittlern Konto-Unterlagen zugänglich zu machen. Anonyme Konten und Bankgeheimnis dürfen nicht mehr als Schild missbraucht werden. Endlich wird damit ein weltweiter Minimalstandard der Verbrechensbekämpfung geschaffen.
Natürlich wird es dauern, bis die neuen Bestimmungen in Kraft treten; allein die Formulierung des Abkommens dauerte zwei Jahre. Alle Parlamente müssen jetzt zustimmen, nicht alle werden es auch tun. Was etwa den Menschenhandel betrifft, ein Verbrechen, mit denen Banden jedes Jahr weltweit 15 Milliarden Mark umsetzen, so ist es mit der Einmütigkeit schon wieder schwierig. Das Delikt wurde in ein Zusatzprotokoll abgeschoben, manche Länder haben sich bereits geweigert zu unterschreiben. Auch um Geld wird man feilschen. Arme Länder werden ihren Beitritt zu dem Abkommen davon abhängig machen, ob die Reichen ihnen dabei helfen, ihre Ermittlungsbehörden auszustatten. Die Reichen sollten nicht geizen: Das Verbrechen bedient sich vieler Stützpunkte und modernster Methoden."

Zu den in Palermo geäußerten kritischen Einwänden hinsichtlich eines möglichen politischen Missbrauchs der Konvention meint der Kommentator: "Manche Delegierte haben die Befürchtung geäußert, die UN wollten den weltweiten Überwachungsstaat schaffen. Wahrscheinlicher ist, dass manche Länder sich des Abkommens vor allem dafür bedienen, um politische Gegner als vermeintliche Verbrecher auch im Ausland verhaften zu lassen. Deswegen wurde eine Klausel eingefügt, wonach jemand nicht ausgeliefert wird, wenn er wahrscheinlich wegen seiner Religion oder Überzeugung verfolgt wird. Die Ermittler haben damit künftig nicht nur mehr Möglichkeiten. Sie haben vor allem mehr Verantwortung dafür, dass auch in internationalen Verfahren die Menschenrechte der Verdächtigen gewahrt bleiben." (SZ, 14. Dezember 2000)

Quellen: Neue Zürcher Zeitung, 16. Dezember 2000, Süddeutsche Zeitung, 14. und 16. Dezember 2000

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