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Internationaler Strafgerichtshof: 139 Staaten haben bereits unterschrieben - aber erst 27 ratifiziert

In letzter Minute unterzeichnen auch die USA und Israel

Die Bundesrepublik Deutschland hat am 10. Dezember 2000, dem internationalen Tag der Menschenrechte, als 25. Staat das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) ratifiziert. Die entsprechende Urkunde wurde am 11. Dezember in New York hinterlegt. Dazu musste der Bundestag zunächst Artikel 16 des Grundgesetzes ändern. Danach war es nämlich bisher untersagt, dass ein deutscher Staatsbürger an das Ausland ausgeliefert werden darf (Art. 16 Abs. 2). Nach der Verfassungsänderung - sie wurde am 27. Oktober fast einstimmig vorgenommen - kann ein Deutscher, "soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind", ausgeliefert werden, allerdings nur an ein anderes EU-Land oder an den Internationalen Strafgerichtshof. Bis Ende des Jahres haben 139 Staaten das Statut unterzeichnet, 27 Staaten ratifiziert. Bevor es in Kraft treten kann, muss es aber von mindestens 60 Staaten ratifiziert werden.

Für eine positive Überraschung sorgte der scheidende US-Präsident Clinton, als er kurz vor Jahresende den Vertrag unterzeichnete. Die US-Regierung gehörte von Anfang an, seit der Verabschiedung des Statuts auf der Konferenz in Rom 1998, zu den Kritikern des Gerichtshofs. Das Statut von Rom regelt die Zuständigkeit des Gerichtshof für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und bei Kriegsverbrechen. Vorgesehen ist auch die Ahndung von Verbrechen der Aggression, doch muss hierfür erst der Tatbestand der "Aggression" definiert werden; das kann erfahrungsgemäß Jahre dauern! Ähnlich wie bei den UN-Sondertribunalen für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien werden Einzelpersonen zur Verantwortung gezogen. Während sich die EU-Staaten für die Errichtung der neuen Gerichtsbarkeit und für weit reichende Kompetenzen des ICC stark gemacht haben - lediglich Frankreich hatte eine siebenjährige Karenzzeit bei Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen durchgesetzt - gehörten die USA zu den wenigen Staaten (China, Irak, Israel, Jemen, Katar und Libyen), die dem Statut nicht zustimmten. Hauptsorge der USA ist offenbar, dass künftig US-Soldaten, die im Rahmen internationaler Militärmissionen oder von Stützpunkten rund um den Globus im Einsatz sind, vor das Gericht zitiert werden können - aus "politischen Gründen", wie aus Washington verlautet. Clintons Unterschrift unter das Abkommen von Rom signalisiert nun nicht unbedingt einen Sinneswandel des US-Administration. Nur die Staaten, die bis 31. Dezember 2000 unterzeichnet haben, behalten das Recht, in weiteren Verhandlungen Einfluss auf die Gestaltung und Zusammensetzung des ICC zu nehmen. Wer später kommt, kann nur noch ratifizieren, aber nicht mitreden. Clinton sprach denn auch bei der Unterzeichnung von "signifikanten Mängeln" und empfahl seinem Nachfolger George Bush Jr., den Vertrag so lange nicht zur Ratifizierung an den Senat weiterzuleiten, wie diese Mängel nicht behoben seien. Die USA haben nun also alle Möglichkeiten, die Errichtung des ICC herauszuzögern, dessen Befugnisse einzuschränken oder die angewandten Rechtsnormen zu verwässern. Wahrscheinlich hatte sich auch Israel von diesem Gedanken leiten lassen, als es wenige Stunden vor Mitternacht (31. Dezember) doch noch unterzeichnete.

So oder so: Der weitere Gang des Weltstrafgerichts wird schwer werden. Der vom Gericht eingesetzte neue US-Präsident hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er vom ICC nichts hält. Sein designierter Verteidigungsminister Donald Rumsfeld warnte vor kurzem davor, dass "Amerikas Führung in der Welt das erste Opfer" des neuen Tribunals werden könne. Und der erzkonservative Republikaner und Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses hatte schon vorsorglich eine Gesetzesnovelle im Kongress eingebracht, wonach die USA jegliche Kooperation mit Staaten verweigern sollten, die mit dem ICC paktieren. Die Nicht-Ratifizierung mag die US-Regierung davor schützen, vor dem ICC angeklagt zu werden (die Rechtsbefugnisse des ICC erstrecken sich nur auf die Mitgliedsstaaten des Abkommens), sie schützt aber nicht vor einer politischen Verurteilung durch die Weltöffentlichkeit.
Peter Strutynski

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