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"Deutschland hätte sich ein Dokument mit klareren Handlungsaufträgen gewünscht" / "Germany would have wished a document with a clearer mandate to act"

Rede von Bundesaußenminister Fischer vor dem Weltgipfel der Vereinten Nationen / Address by Joschka Fischer, Minister for Foreign Affairs of the Federal Republic of Germany, at the 2005 UN World Summit

Rede von Bundesaußenminister Fischer vor dem Weltgipfel der Vereinten Nationen (60. Generalversammlung), New York am 15.09.2005

Herr Präsident,
In der Welt des 21. Jahrhunderts werden wir beinahe täglich mit neuen Risiken und Gefahren konfrontiert. Wie vermeiden wir Konflikte um begrenzte Ressourcen? Wie bewahren wir das globale Ökosystem? Wie überwinden wir den wachsenden Gegensatz zwischen arm und reich? Wie gestalten wir die Globalisierung? Wie gewährleisten wir Entwicklungschancen für alle? Wie verhindern wir globale Konflikte?

Sicherheit im 21. Jahrhundert bedeutet vor allem Investition in Entwicklung, in Demokratie und Menschenrechte. All diese Herausforderungen hängen unauflöslich miteinander zusammen. Sie sind die Kernaufgaben unserer Politik.

Fünf Jahre nach dem Millenniumsgipfel müssen wir, die Mitglieder der Vereinten Nationen, gemeinsam evaluieren, in welchem Umfang wir die im Jahre 2000 vereinbarten Ziele erreicht haben. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir weiter vorgehen wollen, um die Millenniumserklärung weiter und vollständig umzusetzen. Und wir müssen die Vereinten Nationen als zentrale Säule des Multilateralismus stärker und handlungsfähiger machen.

Wir begrüßen daher, dass es der Staatengemeinschaft doch noch gelungen ist, sich auf ein Gipfeldokument zu einigen. Das Papier ist eine Ausgangsbasis für weitere Verhandlungen, auch wenn es in vielen Bereichen hinter unseren Erwartungen zurückbleibt.

Herr Präsident,
die Millenniumsentwicklungsziele sind die soziale Magna Charta unserer Zeit. Sie müssen Richtschnur für unser Handeln sein. Es gilt jetzt, an ihrer Verbindlichkeit weiterzuarbeiten.
Denn wir können nicht akzeptieren, dass weit mehr als eine Milliarde Menschen von weniger als einem Dollar am Tag leben.
Wir dürfen nicht zulassen, dass jedes Jahr elf Millionen Kinder vor ihrem fünften Geburtstag sterben.
Wir müssen die Rechte der Frauen entscheidend stärken und alles daran setzen, dass Frauen endlich gleiche Chancen in Ausbildung und Berufsleben haben.
Wir müssen dafür sorgen, dass der Umweltschutz und die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung zentraler Bestandteil internationaler Politik werden.
Nur so können Hunger, Armut und Krankheit dauerhaft besiegt werden. Nur so können wir die immer dramatischere Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen aufhalten.

Deutschland ist sich dabei seiner Verantwortung bewusst. Wir wollen unsere Mittel für die Entwicklungshilfe aufstocken und haben hierfür gemeinsam mit unseren europäischen Partnern einen Stufenplan bis 2015 beschlossen. Gleichzeitig denken wir über neue Instrumente der Entwicklungsfinanzierung nach. Gemeinsam mit anderen Staaten arbeiten wir in dem von Präsident Lula initiierten Bündnis "Aktion gegen Hunger und Armut" daran. Auch gerechte Rahmenbedingungen des Handels, vor allem der freie Marktzugang, sind Voraussetzung für dauerhafte Entwicklung.

Aber es gilt auch: Nur durch Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer – und hier im Besonderen gute Regierungsführung und die Verwirklichung rechtsstaatlicher Grundsätze – können dauerhafte Erfolge erzielt werden.

Entwicklung ist auch untrennbar mit Klimaschutz verbunden. Wir müssen deshalb alles tun, um die Klimarahmenkonvention umzusetzen und das Kyotoprotokoll weiter zu entwickeln. Die immer häufigeren Naturkatastrophen erzwingen ein energisches, international abgestimmtes Handeln.

Herr Präsident,
wenn wir als Vertreter unserer Staaten hier und heute diese Fragen diskutieren, dann dürfen wir nicht vergessen: Die Menschen in unseren Ländern interessieren nicht Diskussionen über Tagsordnung oder Verfahren. Sie wollen, dass unsere Beratungen entscheidungs- und ergebnisorientiert sind.

Deutschland hätte sich deshalb in vielen Bereichen ein Dokument mit sehr viel klareren Handlungsaufträgen gewünscht. Es ist bedauerlich, dass beim wichtigen Thema Abrüstung und Nichtverbreitung sowie bei der Terrorismusdefinition keine Einigung möglich war. Wir müssen jetzt erörtern, wie in diesen für die internationale Sicherheit zentralen Bereichen dennoch Fortschritte erzielt werden können.

Den Vorschlag des Gipfeldokuments zur Einrichtung eines Menschenrechtsrates ist einerseits zu begrüßen. Andererseits wirft er schwerwiegende Fragen auf. Ohne den weltweiten Schutz der Menschenrechte, ohne die Förderung von Demokratie und Rechtsstaat werden wir weder nachhaltige Entwicklung erreichen noch Frieden und Stabilität dauerhaft sichern können. Daher müssen wir jetzt alles tun, um dieses neue Gremium zu einem schlagkräftigen Instrument zu machen. Das dazu eingesetzte Verhandlungsgremium sollte so schnell wie möglich – am besten bis Ende des Jahres – seine Vorschläge dazu unterbreiten.

Auch der Vorschlag, eine Kommission zur Friedenskonsolidierung einzurichten, ist von großer Bedeutung. Denn die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist und bleibt die wichtigste Aufgabe der Vereinten Nationen. Die Kommission wird eine Lücke im institutionellen Aufbau der Vereinten Nationen schließen.

Herr Präsident,
Wenn wir die Vereinten Nationen in die Lage versetzen wollen, Frieden, Stabilität und Entwicklung umfassend und weltweit zu sichern, dann müssen wir sie wappnen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Der Druck der Globalisierung und der internationalen Krisen und Konflikte macht eine tief greifende Reform in all ihren Teilbereichen unverzichtbar.

Es ist meine feste Überzeugung, dass der Erfolg dieser Reform am Ende maßgeblich davon abhängen wird, dass auch der Sicherheitsrat reformiert wird. Ausreden, halbe oder schlechte Kompromisse werden uns nicht weiterführen. Die G4-Länder haben einen Vorschlag vorgelegt, der den Erfordernissen der Vereinten Nationen, ihrer Mitgliedsstaaten und Regionen gerecht wird. Diese Reform wird auf der Tagesordnung bleiben müssen. Ich appelliere an Sie alle, die Beratungen dazu in dieser 60. Generalversammlung wieder aufzunehmen.

Die Welt des 21. Jahrhunderts wird starke, in allen ihren Teilen erneuerte Vereinte Nationen brauchen. Entweder gestalten wir vorausschauend die Globalisierung durch Kooperation und Partnerschaft oder die Krisen und Konflikte der globalisierten Welt werden uns zum Handeln zwingen. Wir werden uns deshalb entschlossen und auch mit der nötigen Geduld gemeinsam mit unseren Partnern und Freunden dafür einsetzen, die Vereinten Nationen durch ihre Erneuerung zu stärken.

Ich danke Ihnen.

Quelle: Homepage des Auswärtigen Amts: www.auswaertiges-amt.de


Address by Joschka Fischer

Minister for Foreign Affairs of the Federal Republic of Germany
at the 2005 UN World Summit, High-level Plenary Meeting of the General Assembly
New York, 15 September 2005


Mr President,
In the world of the 21st century, we are confronted almost daily with new risks and dangers. How can we avert conflicts about limited resources? How can we preserve the global ecosystem? How can we overcome the growing gap between rich and poor? How should we shape globalization? How do we ensure development opportunities for everyone? How do we prevent global conflicts?

Above all, security in the 21st century means investment in development, in democracy and human rights. All of these challenges are inseparably linked. They are our core tasks.

Five years after the Millennium Summit we, the members of the United Nations, must assess together the extent to which we have achieved the goals laid down in 2000. We have to discuss how we want to proceed in order to implement the Millennium Declaration further and in full. And, as the mainstay of multilateralism, we must make the United Nations stronger and more efficient.

We therefore welcome the fact that the international community has succeeded after all in agreeing on a summit document. This paper provides a point of departure for further negotiations, even if it falls short of our expectations in many areas.

Mr President,

The Millennium Development Goals are the social Magna Carta of our time. Our actions must be guided by them. Now we must continue working to make them binding.
For we cannot accept that well over one billion people are living on less than one dollar a day.
We cannot allow a situation where eleven million children die each year before their fifth birthday.
We must greatly strengthen the rights of women and do everything we can to ensure that women finally have equal opportunities in education, vocational training and at work.
We must ensure that environmental protection and the principles of sustainable development become key components of international policy.
Only in this way can hunger, poverty and disease be overcome on a lasting basis. Only in this way can we stop the ever greater destruction of the sources of life on our planet.

Germany is aware of its responsibility in this respect. We want to increase our development aid and have agreed on a step-by-step plan until 2015 with our European partners to this end. We are also considering new instruments to finance development. We are working with other states on the "Action against Hunger and Poverty" alliance initiated by President Lula. Fairer trade conditions, especially free access to markets, are vital for lasting development.

However, it also has to be said that lasting successes will be achieved only through the developing countries' own efforts – in particular, good governance and the implementation of rule-of-law principles.

Development is also inextricably linked to climate protection. We therefore have to do everything in our power to implement the Framework Convention on Climate Change and to further develop the Kyoto Protocol. The steady rise in natural disasters means that vigorous action must be agreed upon at international level.

Mr President,
Discussing these issues today as representatives of our states, we must not forget that people in our countries are not interested in debates about agenda or procedure. They want our discussion to be decision- and result-oriented.

Germany would therefore have wished a document with a clearer mandate to act in many areas. It is regrettable that no agreement could be reached on the key issue of disarmament and nonproliferation, nor on the definition of terrorism. Our task now must be to discuss how we can nonetheless make progress in these spheres of key importance to international security.

Although I welcome the proposal contained in the summit document to establish a Human Rights Council, it raises serious questions. Without universal protection of human rights, without promotion of democracy and the rule of law, we will neither achieve sustainable development nor be able to guarantee lasting peace and stability. We therefore have to do everything we can to make this new body a powerful instrument. The negotiating body set up for this purpose should present its proposals as quickly as possible, preferably by the end of the year.

The proposal to establish a Peacebuilding Commission is also of great significance. For preserving world peace and international security is and remains the most important undertaking for the United Nations. The Commission will fill a gap in our Organization's institutional structure.

Mr President,
If we want to make the United Nations fit to secure peace, stability and development comprehensively and globally, then we have to equip it to cope with the challenges of the 21s` century. The pressure of globalization and the international crises and conflicts have made radical reform essential in all spheres.

I am firmly convinced that the ultimate success of these reforms will largely depend on the reform of the Security Council. Excuses, half-hearted or bad compromises will not advance our cause. The G4 countries have submitted a proposal which meets the needs of the United Nations, its member states and regions. These reforms will have to stay on the agenda. I call upon you all to resume consultations on reforms at this 60`s Session of the General Assembly.

The world in the 21st century will need a strong United Nations which has been renewed in every sphere. Either we act now and shape globalization through cooperation and partnership, or the crises and conflicts of the globalized world will force us to respond. We will therefore join forces with our partners and friends and work with determination and the necessary patience to strengthen the United Nations by renewing it.

Thank you.

Source: www.un.org


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