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UN-Generalsekretär soll sich für seine Entschuldigung entschuldigen

Der Drina-Marsch wird wieder einmal zum Politikum

Von Peter Strutynski *

Der Washington Post war es immerhin eine AP-Meldung wert. Die Medien hier zu Lande haben das Thema offenbar nur noch nicht entdeckt. Erstaunlich eigentlich, ließe sich mit ihm doch wieder so genüsslich eine antiserbische Suppe anrühren.

Worum geht es? Am Montag, den 14. Januar, zelebrierten die Vereinten Nationen in New York ein Konzert zu Ehren der diesjährigen Präsidentschaft der UN-Generalversammlung, des früheren serbischen Außenministers Vuk Jeremic. Die Eröffnungsansprache hielt UN-Generalsekretär Ban Ki-moon; sie enthielt nicht mehr als ein paar freundliche Worte, die Ban bei solchen feierlichen Gelegenheiten wahrscheinlich schon hunderte Male von sich gegeben hat. In einem sollte er sich aber irren. Er sagte, bei solchen Neujahrskonzerten könnten die Dolmetscher eine Pause machen, denn Musik sei eine "universelle Sprache", welche die Macht besäße, "die Herzen aller Menschen zu berühren". Und - immer noch ahnungslos - kündigte er den serbischen Chor Viva Vox an, der a capella singen würde und damit am reinsten die Stimme der Menschheit zum Ausdruck brächte.

Ban Ki-moon rechnete nicht damit, dass Musik nicht nur der Unterhaltung dient, sondern mitunter auch politische Botschaften transportiert. So geschah es auch in dem Konzert. Der Viva Vox Chor ließ es sich nämlich nicht nehmen, als Zugabe einen alten serbischen Marsch zum Besten zu geben, den Drina-Marsch. Die Generalversammlung applaudierte, Ban Ki-Moon stand neben Vuk Jeremic auf der Bühne und ließ sich zusammen mit dem serbischen Chor feiern. Und genau das sollte ihm bald übel angekreidet werden. Denn er applaudierte - wie viele andere im Saal - einem Lied, das in Serbien sehr beliebt und wie eine Hymne verehrt wird, andernorts aber umstritten ist und insbesondere bei Bosniern auf erbitterte Ablehnung stößt. Es sei ein nationalistisches Machwerk, das u.a. - so wird jedenfalls berichtet - während der Sezessionskriege in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts bei serbischen Attacken auf bosnische Städte angestimmt worden sei. Der Kongress der nordamerikanischen Bosnier legte denn auch wütenden Protest ein und behauptete, das Konzert sei eine "skandalöse Beleidigung der Opfer des Völkermords in Bosnien und Herzegowina". Die Vereinten Nationen wurden aufgefordert, Vuk Jeremic von seiner Position als Präsident der 67. UN-Vollversammlung abzuberufen.

Letzteres wird zwar nicht geschehen. Doch Ban Ki-moon gab dem Druck nach und entschuldigte sich am letzten Donnerstag (17. Jan.) für das Konzert. Sein Sprecher Martin Nesirsky sagte, die Vereinten Nationen hätten zur Kenntnis genommen, dass durch den Drina-Marsch "einige Leute beleidigt worden" seien (that some people were offended by the song "March to the Drina").

Nun sollte man zum Drina-Marsch aber noch etwas mehr wissen. Komponiert wurde das Lied 1915 von dem serbischen Musiker Stanislav Binički. Er wollte mit diesem Lied dem historischen Sieg der - zahlenmäßig weit unterlegenen - serbischen Truppen über die österreichisch-ungarische Armee an der Drina ein musikalisches Denkmal setzen. Die Schlacht von Ser, wie sie auch genannt wird, war der erste bedeutsame Sieg der Alliierten gegen die verbündeten Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg. Auf diese Geschichte - und nicht auf spätere Vereinnahmungen des Liedes durch nationalistische serbische Kreise - macht ein Brief aufmerksam, der von Ban Ki-moon eine Rücknahme seiner Entschuldigung verlangt. Bans Entschuldigung sei ein Affront gegen Millionen von alliierten Kriegsteilnehmern, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben für die Freiheit gegeben hätten, heißt es in dem Schreiben, das ein gewisser Bob Petrovich aus Canada unterzeichnete. Erinnert wird auch an den Slogan der deutschen und österreichischen Chauvinisten: "Serbien muss sterbien", der auch im Zweiten Weltkrieg eine Richtschnur des faschistischen Vernichtungskriegs auf dem Balkan werden sollte. Das Feindbild Serbien prägte schließlich auch die Medienberichterstattung im Westen während der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien. Während die sezessierenden Staaten Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien und das völkerrechtswidrig von Serbien abgetrennte Kosovo in den Augen des Westens zu den Guten zählen, deren Sprung in die EU willkommen geheißen wird, bleibt das Schmuddelkind Serbien so lange auf der Sünderbank, als es nicht auch zu Kreuze gekrochen ist.

Bans Entschuldigung kann in Serbien nicht anders interpretiert werden als ein Einknicken vor der antiserbischen Lobby in den USA. Das schlimme ist, dass dies auch seiner eigenen politischen Überzeugung sehr nahe kommen dürfte. Insofern war sein Applaus für den Drina-Marsch aus seiner Sicht ein faux pas, für den er sich ehrlich entschuldigt hat. Er wird einen Teufel tun, diese Entschuldigung wieder zurückzunehmen. Merke: Als UN-Generalsekretär darf man niemanden beleidigen - außer die Serben. Auf der Strecke bleiben - und da hat Bob Petrovich natürlich Recht - die historische Wahrheit und das diplomatische Augenmaß.

Übrigens gab es in der Wirkungsgeschichte des Drina-Marsches auch Perioden größerer Gelassenheit. So konnte die Melodie Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts große Erfolge auf dem Pop-Markt feiern, etwa durch Interpretationen von Jørgen Ingmann, den Spotnicks, den Shadows oder James Last. Auch in der Country-Musik wurde der Ohrwurm gecovert (z.B. von Chet Atkins) und Patti Page erreichte einen beträchtlichen Chart-Erfolg mit ihrer Version von "Drina (Little Soldier Boy)". Und schließlich erzielte kein geringerer als Herbert von Karajan beim traditionsreichen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker am 1. Januar 1987 mit dem Drina-Marsch einen durchschlagenden Erfolg: Das begeisterte Publikum ließ sich zum minutenlangen Mitklatschen hinreißen.[1] Das schafft sonst nur der Radetzkymarsch.

* Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Die Herzen berühren" in der "jungen Welt" vom 31. Januar 2013

[1] Anmerkung:
Andreas Hacken machte uns in einem e-mail vom 7. August 2014 darauf aufmerksam, dass es sich bei dem von Karajan dirigierten Drina-Marsch um eine Fälschung handeln soll, der auch Wikipedia und YouTube aufgesessen seien. Karajan habe den Marsch nicht als Zugabe präsentiert. In Wirklichkeit erklang der Radetzky-Marsch. Ihm sei - durch wen auch immer - die Melodie des Drina-Marsches unterlegt worden.
AGF, 8. August 2014


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