Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Diese Reform ist keine Reform!

WEED-Stellungnahme zum UN-Millennium+5-Gipfel

Anlässlich des Weltgipfels in New York vom 14. bis 16. September 2005 veröffentlichte WEED (World Economy Ecology & Development - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung) eine Stellungnahme aus globnalisierungskritischer Sicht, die wir im Folgenden dokumentieren. Sie befindet sich auf der Website von WEED.



Die Globalisierung erzwingt eine neue Qualität internationaler Kooperation. Wenn ein weiteres Anwachsen sozialer Destabilisierung, kriegerischer Konflikte und Umweltkatastrophen abgewendet werden sollen, wird es notwendiger als je zuvor,
  • die Weltwirtschaft demokratisch zu regulieren,
  • Konflikte friedlich zu regeln und
  • für globale Probleme wie Klimaerwärmung und Ressourcenknappheit nachhaltige Lösungen zu finden und umzusetzen.
Daher ist die Herausbildung eines nicht-hegemonialen Multilateralismus und die Etablierung von Formen demokratischer globaler Governance eine zentrale Herausforderung für die Zukunft der Menschheit.

Trotz vieler Probleme und Begrenztheiten ist das UN-System noch am ehesten geeignet, eine solche Struktur zu entwickeln. Doch die UN selbst steckt seit Jahren in ihrer bislang tiefsten Krise. Um die Handlungsfähigkeit der UN wiederherzustellen, wurde die 1997 von Kofi Annan angestoßene UN-Reform von vielen Regierungen und zivilgesellschaftlichen Akteuren unterstützt.

Doch schon im Vorbereitungsprozess zum UN-Gipfel wurden die immensen Herausforderungen deutlich, die noch zu bewältigen sind. Der Abschlussbericht des sog. "Millenniumprojekts" kommt zum Schluss, dass die gegenwärtigen Ressourcen zum Erreichen der MDG-Zielvorgaben völlig unzureichend sind, und zudem die Armutsbekämpfung zu wenig im Mittelpunkt internationaler Anstrengungen steht. Stattdessen dominieren die wirtschaftlichen und politischen Eigeninteressen der Geber. Nur ein Viertel der Mittel fließt in die ärmsten Länder. In seinem im März 2005 vorgelegten Bericht "In größerer Freiheit" griff UN-Generalsekretär Kofi Annan die Kritik zwar auf, setzte aber v.a. die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die Finanzierung der Entwicklung, die Erweiterung des Sicherheitsrats und die Reform der Menschenrechtskommission auf die Agenda. Die UN sind nach den Änderungsvorschlägen der USA, die in beispielloser Weise auf die Zerschlagung des multilateralen Systems abzielen, und der Vorlage des dritten überarbeiteten Resolutionsentwurfs am 6. September 2005 weiter von einer Reform entfernt denn je.

1. Scheitern als Chance - Kein deutscher Sitz im Sicherheitsrat

Der Beitrag der rot-grünen Bundesregierung zur UN-Reform konzentrierte sich auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Angesichts der tatsächlichen Probleme der Völkergemein-schaft war dieses Ansinnen von Anfang an so überflüssig wie ein Kropf. Der Bundesregierung ging es nur darum, ihre Ansprüche als Großmacht - wenigstens zweiter Klasse - zu untermauern. Da mit Frankreich und Großbritannien bereits zwei EU-Staaten im Sicherheitsrat sind, zudem mit Vetorecht, wäre ein deutscher Sitz kein Beitrag zur Demokratisierung der UNO gewesen. Das Hauptproblem einer wirklich demokratischen UN-Reform ist es stattdessen, den Einfluss des Südens zu stärken. 82% der Menschheit leben in den Entwicklungs-ländern. Das muss sich auch in den Strukturen der UNO widerspiegeln. In einem stillschweigenden patriotischen Konsens wurden die Ambitionen Berlins selbst in ansonst eher kritisch eingestellten Milieus kaum in Frage gestellt. Dass die USA, China, Italien und andere das deutsche Projekt auflaufen ließen, hat seinerseits ausschließlich geo- und machtpolitische Motive.

Dennoch ist aus entwicklungspolitischer Sicht das Ergebnis zu begrüßen. Es war eine List der Vernunft, dass aus falschen Motiven das richtige Ergebnis entstand. Damit ist für die deutschen UN-Politik jetzt hoffentlich der Blick frei für die tatsächlichen Prioritäten einer Reform der anachronistischen Sicherheitsratskonstruktion.

2. Zu kurz gesprungen - Umsetzung der MDGs weiterhin in Gefahr

Nach all der MDG Euphorie der letzten Monate ist es kurz vor dem UN-Millennium+5-Gipfel seltsam still um die internationalen Entwicklungsziele geworden. Im Vordergrund der Diskussion stehen die Auseinandersetzungen um die UN-Reform und Konflikte um die Abschlusserklärung. Die dringliche Frage, welchen Beitrag die Regierungen zur Umsetzung der MDGs leisten können, ist nach den Beschlüssen auf dem G8 Gipfel damit erst mal vom Tisch. Die Finanzierung der MDGs ist nach wie vor nicht gesichert. Und das, obwohl, das Hauptziel, die Halbierung der absolutern Armut, in "neuer Bescheidenheit" ohnehin schon beschämend niedrig angesetzt worden waren. Noch 1995 hatten sich die Staats- und Regierungschefs auf dem Weltsozialgipfel auf die Beseitigung der Armut geeinigt. Die realpolitische Absenkung der Ziele hat keinesfalls zu einer erfolgreicheren Umsetzung geführt (vgl. SocialWatch 2005).

Dies macht deutlich, dass eine Vernachlässigung der Machtfrage und struktureller Hindernisse nicht mit quantitativ reduzierten Zielen und einer beliebig definierbaren Partnerschaftsrhetorik wettgemacht werden kann. Entwicklungspolitische Fortschritte brechen sich nach wie vor an der harten ökonomischen Interessenspolitik der stärksten Akteure. Unter dem Deckmantel des MDG Diskurses hat sich inzwischen ein neoliberaler Konsens verfestigt, der Handelsliberalisierung und Privatsektorbeteiligung als die zentralen Instrumente der Armutsbekämpfung begreift - ganz im Interesse der Global Player. Die UN nähert sich zunehmend an die neoliberale Agenda der Unholy Trinity von IWF, Weltbank und WTO an, offenbar aus Furcht nicht beiseite zu stehen.

Doch unabhängig von der Begrenztheit der MDGs ist es dringend erforderlich, auf die Umsetzung wenigstens dieses Minimalkonsens zu drängen. Sollen die MDGs bis 2015 überhaupt noch eine Chance auf Umsetzung haben, führt kein Weg an einer starken Koalition aus sozialen Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen und einsichtigen Teilen der Eliten in Politik und Wirtschaft vorbei, die sich dem neoliberalen Trend entgegenstellt.

3. Internationale Steuern jetzt - Neue Wege der Entwicklungsfinanzierung

Der beste Maßstab für die Glaubwürdigkeit einer Politik ist noch immer das Ausmaß ihrer Finanzierung. Hier lag schon immer der Knackpunkt für all die gut gemeinten Aktionspläne und Programme der UNO. Vom 0,7-Prozentziel, dessen 35. Jahrestag der Nichterfüllung wir inzwischen feiern können, bis zur Agenda 21 ist die Geschichte dieser Vorhaben ein einziges Trauerspiel. Sie alle scheiterten am Geld. Die MDGs sind der nächste Kandidat, wenn sich bei der Finanzierung nicht gründlich etwas ändert.

Ein vielversprechender Weg, neue Quellen der Entwicklungsfinanzierung zu erschließen, sind internationale Steuern. Die Zeit ist reif dafür, denn mit der Globalisierung sind durch die Transnationalisierung der Wirtschaft völlig neue Formen, Gewinne zu machen, entstanden. Das bekannteste Beispiel sind die 1,9 Billionen US-Dollar, die auf der Suche nach spekulativen Renditen börsentäglich um den Globus jagen. Wenn Profite international erwirtschaftet werden, ist es nur logisch, wenn auch internationale Steuern erhoben werden. Das Steueraufkommen kann dann für die Finanzierung globaler öffentlicher Güter und die Verlierer der Globalisierung verwendet werden. Gleichzeitig erodiert im Zuge der Globalisierung die Steuerbasis der Nationalstaaten. Durch Steuerverlagerung und -vermeidung, Steuerparadiese, konzerninternes transfer pricing und andere Methoden tragen Reiche und Großunternehmen immer weniger zum Steueraufkommen bei, obwohl Reichtum und Gewinne immer schneller wachsen.

Eine Umstellung der Entwicklungsfinanzierung von Budgetfinanzierung auf internationale Steuern ermöglicht nicht nur eine drastische Erhöhung der Mittel, sondern macht die Ressourcenströme auch stabiler und zuverlässiger. Darüber hinaus haben Steuern den Vorteil dass sie nicht nur Geld bringen, sondern auch eine Lenkungswirkung entfalten können. So würde eine Steuer auf Devisentransaktionen die Spekulation eindämmen und damit die systemische Instabilität der Finanzmärkte reduzieren. Das Plus an Stabilität käme dann indirekt wiederum Entwicklung zugute, weil die Kosten für die Absicherung gegen Stabilitätsrisiken sinken. Auch ökologische Lenkungseffekte können erzielt werden, z.B. durch eine internationale CO2-Steuer oder eine Luftverkehrssteuer. Schließlich könnte mit internationalen Steuern die Finanzierung der UNO auf eine unabhängige Basis gestellt und damit die Erpressungsmöglichkeiten über Mitgliedsbeiträge, wie sie vor allem die USA ausgiebig nutzen, reduziert werden.

Bei der UN-Vollversammlung 2004 haben in einer auf Initiative von Frankreich und Brasilien zustande gekommenen Resolution bereits 115 Länder ihr Interesse an innovativen Finanzierungsinstrumenten - darunter internationale Steuern - bekundet. Auch Gerhard Schröder hat sich positiv dazu geäußert und eine Steuer auf Devisentransaktionen befürwortet, während die USA dagegen Sturm gelaufen sind. Dies darf nicht zur Blockade führen. Eine Koalition von Vorreitern ist gefragt. So kann eine Steuer auf Devisentransaktionen auch unilateral in Europa eingeführt werden. Ähnliches gilt für eine Flugverkehrs- und andere Umweltsteuern. Zwar sind dann Steueraufkommen und Lenkungswirkung geringer, aber ein Einstieg ist weitaus besser als Nichtstun.

4. Fauler Kompromiss - Schuldenkrise weiter ungelöst

Die massive Verschuldung der Entwicklungsländer ist eine der zentralen Entwicklungshemmnisse. Deswegen wurde ein über die HIPC-Initiative hinausgehender multilateraler Schuldenerlass zu Recht auf die internationale Agenda gesetzt und im Kontext der Erreichung der MDGs gefordert. Nach Angaben der UNO benötigen 62 arme Länder einen vollständigen Schuldenerlass, um die MDGs bis 2015 umzusetzen.

Was von den G8 Finanzministern im Juni als ein "historischer Durchbruch" in Sachen Schuldenerlass gefeiert wurde, bleibt jedoch weit hinter dem Notwendigen zurück. Der Erlass soll zunächst einmal nur 18 Ländern zugute kommen, die im Rahmen der HIPC Initiative langjährige IWF und Weltbank-Anpassungsprogramme durchgeführt haben. Ihnen sollen 100% ihrer multilateralen Schulden beim IWF, der IDA (International Development Agency, Weltbank) und beim Afrikanischen Entwicklungsfonds (Afrikanische Entwicklungsbank) erlassen werden. Die mit 40 Mrd. US-Dollar (oder 56 US-Dollar, sollten andere HIPC Länder dazu kommen) zunächst sehr üppig klingende Höhe des Erlasses relativiert sich jedoch angesichts des geltenden Zeithorizonts von ca. 40 Jahren. Es geht hier also um ca. 1 Mrd. US-Dollar Schuldenerlass jährlich, was weit hinter dem Finanzierungsbedarf für die Umsetzung der MDGs liegt. Auch hier steckt zudem der Teufel im Detail. Laut G8 Vorschlag soll den Ländern nämlich im Gegenzug die Mittelvergabe durch Weltbank und Afrikanische Entwicklungsbank in der Höhe des gewährten Schuldenerlasses gekürzt werden. Was dies an erhöhten Nettoeinnahmen für die Länder wirklich bedeutet, ist bisher noch unklar.

Auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank, die vom 24. - 25. September in Washington stattfindet, werden die Exekutivdirektorien beider Institutionen entscheiden, ob der G8 Deal mehr als heiße Luft sein wird. Es bestehen noch erhebliche Umsetzungsprobleme und Fi-nanzierungslücken. Die G8 haben bisher nur Zusagen in Höhe von 1,7 Mrd. US-Dollar gemacht. Fraglich ist zudem die Zusätzlichkeit der bereitgestellten Mittel. Auch ist noch strittig, ob zusätzliche Konditionen an die Gewährung des Schuldenerlasses geknüpft werden sollen.

Trotz seiner beschränkten Reichweite muss der G8 Deal in vollem Umfang durchgesetzt werden. Dafür muss vor allem die langfristige Finanzierung durch die Geber sichergestellt werden, ohne dass die Mittel auf die jährlichen ODA-Zahlungen angerechnet werden. Jedoch muss endlich Schluss damit sein, im Rahmen von Schuldenerlassen und der Bereitstellung neuer Kredite oder Zuschüsse auf die Durchsetzung neoliberaler Handels- und Finanz-politik zu drängen. Dadurch verschärft sich die Armut vieler Länder auf dramatische Weise.

Die Diskussionen um die Unsetzung der MDGs hat bisher zu keinem Umdenken im internationalen Schuldenmanagement geführt. Weder wird die Fähigkeit einzelner Länder, die MDGs zu erreichen, als zentrale Richtschnur für die Höhe und die Ausgestaltung von Schuldenerlassen herangezogen, noch wird die Umsetzung der MDGs als relevanter Indikator zur Bestimmung eines adäquaten Schuldentragfähigkeitsniveaus gewertet. Die UN spielt in allen relevanten Entscheidungen des internationalen Schuldenmanagements nach wie vor keine Rolle. Für eine nachhaltige Lösung der Schuldenkrise ist die grundlegende Reform des internationalen Handels- und Finanzsystems und die Beendigung der Gläubigerdominanz im internationalen Schuldenmanagement entscheidend. Die UN muss hier eine wichtige Rolle spielen.

5. Alle Macht der WTO - Handelspolitik und MDGs

Nichts deutet darauf hin, dass die Macht der WTO durch den gegenwärtigen UN-Reformprozess gebrochen wird. Im Gegenteil: Der politische Einfluss der WTO soll wachsen, die Chance zur gerechten Neujustierung des internationalen Handelsregimes ist vorerst vertan. Geht es nach den Vorstellungen der EU und der USA, so werden an der aggressiven neoliberalen Liberalisierungs- und Deregulierungsagenda der WTO keine Abstriche gemacht. Während die EU und die USA die aktuelle Handelsrunde mit einer radikalen Markt-öffnungsagenda im Interesse ihrer heimischen transnationalen Konzerne vorantreiben, herrscht in den für Entwicklungsländer interessanten Bereichen Stillstand: So wird auch die scharfe Kritik der zur G77 gehörenden Entwicklungsländer am Handelskapitel des 3. Resolutionsentwurfs einfach ignoriert. Dazu gehört deren Forderung nach mehr Gerechtigkeit im Welthandel durch Subventionsabbau und mehr Marktzugang im Norden bzw. Ausnahme der armen Länder von weiteren Liberalisierungsverpflichtungen. Sollten die Interessen der Entwicklungsländer weiter übergangen werden, ist es wahrscheinlich, dass nach den WTO-Gipfeln in Seattle und Cancún auch die Ministerkonferenz im Dezember 2005 in Hongkong scheitern wird.

Über die jüngsten US-amerikanischen Vorschlägen zu einer weiteren Verwässerung im Bereich Handelspolitik kann die EU sich eigentlich nur freuen: Das "Entwicklungsmandat" wird ebenso wie die Aufforderung an Industrieländer, Marktzugang in den Bereichen Landwirtschaft und Baumwolle zu gewähren, kurzerhand gestrichen. Nicht nur, dass die USA den europäischen Wirtschaftsinteressen damit in der Sache aus dem Herzen spricht, öffentlich kann die EU sich einmal mehr als "die bessere Supermacht" von dem unilateralen Obstruktionsversuch des transatlantischen Konkurrenten distanzieren. Doch dass das gegenwärtige internationale Handelssystem das Erreichen der MDGs in Wirklichkeit massiv konterkariert, wird auch von der EU nicht angesprochen. So steht das TRIPs-Abkommen in ganz offensichtlichem Widerspruch dazu, den Zugang der Armen zu bezahlbaren Medikamenten zu erleichtern sowie den Kampf gegen HIV/AIDS, Malaria und anderen Krankheiten zu intensivieren. Und die zu erwartenden Folgen durch eine Liberalisierung im Rahmen des WTO-Dienstleistungsabkommen GATS untergraben die Umsetzung mehrerer MDG-Ziele: Durch erweiterten Marktzugang im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen wie der Wasserver-sorgung, des Bildungs- und Gesundheitswesen (vgl. Ziele 2, 4, 5 und 7) wird die Privatisierung und Kommerzialisierung dieser Sektoren weiter voranschreiten. Dabei werden vor allem die Armen leer ausgehen, denn sie sind für kommerzielle Anbieter wenig profitabel. Zur Erreichung der MDGs wäre es dringend nötig, die Handelspolitik zu reformieren und mit den entwicklungspolitischen Zielen in Einklang zu bringen. Die WTO ist das falsche Forum dafür.

6. Auf gleiche Augenhöhe - Reform des Wirtschafts- und Sozialrats

Seit Bestehen der UN ist der Wirtschafts- und Sozialrat der UN (ECOSOC) praktisch bedeutungslos. Der Rat hat keinerlei Einfluss auf die Entscheidungen in den wirklichen Zentren der Macht, den Bretton-Woods-Zwillingen, der WTO und den G8. Eine Aufwertung des Wirtschafts- und Sozialrates auf gleiche Augenhöhe mit einem demokratisierten Sicherheitsrat erscheint daher als Kernelement einer erfolgreichen Reform globaler Governance-Strukturen. Thematisch sollte sich der ECOSOC auf Fragen wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit in Nord und Süd konzentrieren. Ein solchermaßen gestärkter ECOSOC wäre legitimiert, Kohärenz und Konsistenz des internationalen Finanz- und Handelssystems gegenüber den international vereinbarten Entwicklungszielen und den Menschenrechten durchzu-setzen.

Eine erfolgreiche Reform des ECOSOC wird aber zunehmend unwahrscheinlicher: durch die im jetzigen Resolutionsentwurf vorgeschlagene Umwandlung des ECOSOC in einen hochrangigen Rat für Entwicklungsfragen und ein Monitoring-Instrument zur Umsetzung der MDGs würde der Rat einseitig auf Armut und soziale Probleme in den Entwicklungsländern reduziert werden. Die Folge: Fragen sozialer Gerechtigkeit und Teilhabe im Norden wären in der UN nicht mehr repräsentiert, ein deutlicher Rückschritt hinter die Inhalte der Millenniumserklärung und die Ergebnisse des Weltsozialgipfels in Kopenhagen von 1995. Eine auch den Bretton-Woods Zwillingen und der WTO übergeordnete strategische Führung und Koordination in internationalen Wirtschafts- und Sozialfragen durch den ECOSOC ist damit wahrscheinlich vom Tisch.

7. Ausblick

Angesichts der ernüchternden Resultate der achtjährigen Bemühungen muss man konstatieren: der multilaterale Reformprozess ist praktisch gescheitert, eine wichtige Chance zur stärkeren Demokratisierung der UN ist vertan. Die undemokratische Vermachtung der UN, die sich vor allem im Sicherheitsrat, aber auch in vielen informellen Mechanismen der Macht manifestiert, konnte nicht aufgebrochen werden. Der Mehrheit der Entwicklungsländer gehört damit auch in Zukunft zu den Zaungästen internationaler Entscheidungsfindung. Auch eine Stärkung der Position der UNO im internationalen System wurde nicht erreicht. Im Gegenteil, die wichtigen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen fallen in den mächtigen internationalen Organisationen wie IWF, Weltbank und WTO - allen Zweifeln an ihrer Legitimität zum Trotz. Allesamt undemokratische Institutionen unter der Regie der G7.

Ein demokratischer Multilateralismus und damit eine demokratische Reform der Vereinten Nationen bricht sich gegenwärtig an der unipolaren Struktur des internationalen Systems und der imperialen Politik der einzigen Supermacht. So waren es vor allem die USA, die eine demokratische Reform sabotiert und die Schwächung der UNO betrieben haben.

Es ist an der Zeit, diese Realitäten ohne diplomatische Schminke zur Kenntnis zu nehmen und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Um zu verhindern, dass Probleme durch Handlungsblockaden unbearbeitet bleiben, weil man meint, erst müssten alle Staaten an Bord sein, sind andere Wege einzuschlagen, u.a.:
  • die Verstärkung plurilateraler Kooperationen, d.h. nach dem Vorbild des Internationalen Aktionsprogramms für Erneuerbare Energien (IAP), des EU-Stufenplans zur Erreichung des 0.7%-Ziels oder des Kioto-Protokolls bilden sich Koalitionen der Vernunft von all jenen, die dazu bereit sind eine Vorreiterrolle zu übernehmen, auch wenn andere und wichtige Spieler (noch) nicht zu einer Zusammenarbeit bereit sind. Soweit möglich sollten solche Koalitionen im Rahmen des UN-Systems stattfinden, notfalls aber auch außerhalb, wenn sie durch Vetomächte verhindert werden können;
  • ein Zurückdrängen des Einflusses von IWF, Weltbank, WTO und G 8 zugunsten einer gestärkten UN ist dringend erforderlich. Solange die wichtigen Entscheidungen zur Gestaltung der Weltwirtschaft und der Nord-Süd Beziehungen weiterhin unter mangelnder Transparenz und fehlender demokratischer Teilhabe erfolgen, wird die UNO im Schatten stehen. Nur wenn die Global Governance Architektur insgesamt demokratisiert wird, kann sich die UN selbst neu erfinden.
12.09.2005

Quelle: WEED; www.weed-online.org


Zurück zur Seite "Reform der Vereinten Nationen"

Zur Seite "Vereinte Nationen"

Zur Globalisierungs-Seite

Zurück zur Homepage