Millenniumsziele passé? Klimawandel O.K.?
USA legen umfassende Änderungsvorschläge für die geplante Reform der Vereinten Nationen vor
Im Folgenden informieren wir über die jüngste Initiative der Vereinigten Staaten zur Reform der Vereinten Nationen. Dokumente waren zu diesem Zeitpunkt weder auf der Website der UN (www.un.org) noch auf der der US-Regierung (www.whitehouse.gov) zu erhalten.
Agenturmeldungen vom 25. Auguist 2005
Wenige Wochen vor der UN-Vollversammlung haben die USA einem Pressebericht zufolge umfassende Änderungsvorschläge für die geplante Reform der Vereinten Nationen vorgelegt. Der neue US-Botschafter bei der UNO, John Bolton, legte ausgewählten Diplomaten in der vergangenen Woche ein Dokument mit 750 Änderungsvorschlägen vor, wie die "Washington Post" am Donnerstag berichtete. Darin fordern die USA unter anderem die Streichung der geplanten Erhöhung der Entwicklungshilfe für arme Länder und der Maßnahmen gegen den Klimawandel. Auch der Internationale Strafgerichtshof soll in dem Reformentwurf keine Erwähnung finden. Die Ankündigung eines härteren Vorgehens gegen den Terrorismus und die Forderung nach einem Stopp der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sollen hingegen in den Entwurf aufgenommen werden.
(AFP, 25. August 2005)
Nur drei Wochen vor dem Gipfel zur UN-Reform Mitte September in New York will Washington das geplante Reformpaket in entscheidenden Punkten ändern. Der amerikanische UN-Botschafter John Bolton drängte die anderen 190 UN-Mitglieder zu neuen Verhandlungen über die geplante Reform der Weltorganisation. Washington will etwa 400 Passagen aus dem Dokument streichen, das auf dem Gipfel verabschiedet werden sollte, und fast ebenso viele Anhänge hinzufügen.
(dpa, 25. August 2005)
Washington brüskiert arme UNO-Mitglieder
USA-Vorschläge torpedieren Millenniumsziele
New York (AFP/ND). Der neue US-Botschafter
bei der UNO, John Bolton,
legte ausgewählten Diplomaten
in der vorigen Woche ein Dokument
mit 750 Änderungsvorschlägen vor,
wie die »Washington Post« berichtete.
Darin fordern die USA unter
anderem die Streichung der geplanten
Erhöhung der Entwicklungshilfe
für arme Länder und der Maßnahmen
gegen den Klimawandel.
Auch der Internationale Strafgerichtshof
soll in dem Reformentwurf
keine Erwähnung finden. Die
Ankündigung eines härteren Vorgehens
gegen den Terrorismus und
die Forderung nach einem Stopp
der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen
sollen indes in den
Entwurf aufgenommen werden.
Auch die so genannten Millenniumsziele,
in denen sich die UNO
verpflichtet, bis 2015 Armut und
Verbreitung von Seuchen in der
Welt zu reduzieren, sollen nach Ansicht
der USA in dem Reformentwurf
nicht explizit Erwähnung finden.
Stattdessen sollte die Bedeutung
des so genannten Monterrey-
Konsenses betont werden. Auf der
UNO-Konferenz im mexikanischen
Monterrey 2002 wurde vor allem
über die Finanzierung der Millenniumsziele
diskutiert. Demnach
sollten die Entwicklungsländer im
Gegenzug für Finanzhilfen und Entschuldungsmaßnahmen
ihre Kreditwürdigkeit
durch marktwirtschaftliche
Reformen stärken.
Die Vorschläge dürften vor allem
bei den ärmeren UNO-Mitgliedern
auf starken Widerstand stoßen.
Diese halten die Bekämpfung der
Armut für vorrangig und wollen
USA-Interventionen in Staaten verhindern,
die nach Ansicht Washingtons
die Menschenrechte verletzen.
Der Zeitung zufolge will Bolton in
Einzelgesprächen mit den Ländergesandten
die Chancen der USAVorschläge
ausloten. »Wir stehen
vor sehr schwierigen Verhandlungen
«, sagte dazu der pakistanische
UNO-Botschafter Munir Akram
gegenüber der »Washington Post«.
Brüskierter Süden
Von Martin Ling
John Bolton gibt die Richtung vor: keine Erhöhung der Entwicklungshilfe, keine Maßnahmen gegen den Klimawandel. Stattdessen will der UNO-Botschafter der USA in der UNO-Reform ein härteres Vorgehen gegen Terrorismus, sprich mehr Investitionen in vorgebliche Sicherheit, festschreiben lassen. Der Entwicklung des Südens, die beim Millenniums-Folgegipfel Mitte September im Zentrum stehen sollte, droht durch die Terrorismusbekämpfung und die Reform des Sicherheitsrats ein Nischendasein in New York.
Sicherheitspolitik überlagert die Entwicklungspolitik. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) macht kein Hehl daraus, wohin die Reise geht. Künftig würden verstärkt sicherheitspolitische Aspekte in der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt. Zugespitzt: Polizeiausbildung statt Grundschulförderung. Sicher ist Sicherheit und Frieden eine Grundbedingung für Entwicklung, doch wenn nicht beides komplementär gefördert wird, ist das Scheitern programmiert. Boltons Vorschläge sind alles andere als komplementär: Einmal mehr werden unilaterale USA-Interessen über multilaterale Ziele der Weltgemeinschaft gesetzt. Mehr als mehr Unsicherheit wird damit nicht zu ernten sein.
Neues Deutschland, 26. August 2005
Reformreformist des Tages
John Bolton, UN-Botschafter der USA
Der von George W. Bush gegen heftige Widerstände im Senat per Dekret zum US-amerikanischen UN-Botschafter ernannte John Bolton hat sich umgehend daran gemacht, den verheerenden Ruf, der ihm vorauseilte, zu bestätigen. In einem Schreiben an seine 190 Kollegen, die er wohl eher als seine Untergebenen betrachtet, brachte er nicht weniger als 750 Änderungsvorschläge zum vorliegenden UN-Reformpapier ein, das im September verabschiedet werden soll. Es ist offenbar eine andere Reform als die von der zuständigen Kommission, an der auch die USA beteiligt waren, erarbeitete, die Mister Bolton vorschwebt. Und es ist auch eine in ihrem Wesen und ihrer Funktionsbestimmung andere UNO, die die USA zu schaffen gedenken. Abrüstung, Entwicklungshilfe der reichen an die armen Länder, Kampf gegen AIDS, Klimaschutz kommen in Boltons Gegenentwurf erst gar nicht mehr vor. Denn dabei handelt es sich um Anliegen der Schwachen. An die erste Stelle seiner Agenda setzte er den »Krieg gegen den Terror«. Dann folgen die – aus dem liberalen Wirtschaftssystem hergeleiteten – Menschenrechte.
Angriffskriege zum Schutz der Menschenrechte und um die Menschheit von der Geißel des Terrors zu befreien, werden als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Die USA wollen die UNO neu erfinden. Sie soll künftig den internationalen Rahmen der amerikanischen Hegemonialpolitik abgeben. Das US-Imperium erstrebt eine Weltorganisation nach seinem Ebenbild, die Erhebung seines Ordnungssystems in den Rang des Allgemeingültigen.
In John Bolton hat Bush den Mann gefunden, der diese imperiale Anmaßung personifiziert. Rüde in seinen Umgangsformen, geübt im Monolog, von der Auserwähltheit der USA überzeugt und den Prinzipien, auf denen die UNO gründet, zutiefst abgeneigt. Seine Ernennung ist vom US-Präsidenten zu einer Angelegenheit von nationaler Dringlichkeit erklärt worden. Denn die Bush-Leute haben nicht mehr viel Zeit, sich ihren Platz für die Ewigkeit zu sichern. Doch wird mit John Bolton, der alle antiamerikanischen Aversionen auf sich zieht, kein Staat zu machen sein. Und ein Weltstaat schon gar nicht.
Aus: junge Welt, 27. August 2005
Verwässerte Ziele
Von Thalif Deen (IPS), New York
Der globale Aktionsplan zur UN-Reform und den in den Millenniumszielen (MDGs) festgehaltenen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts droht in massiv geschwächter Form zur Abstimmung auf den UN-Gipfel vom 14. bis 16. September zu gelangen. Jean Ping, Vorsitzender der UN-Vollversammlung und Leiter der nach einer zweiwöchigen Pause kürzlich wieder angelaufenen Verhandlungen über den Deklarationsentwurf, das sogenannte Outcome document, hat die schwierige Aufgabe, die Gespräche zu einem guten Ende zu bringen. »Mit allem Recht erwartet die Welt von uns eine Einigung«, unterstrich er in einem Brief an Mitglieder der Vereinten Nationen.
Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan bemüht sich, den Diskussionen eine positive Seite abzugewinnen. Noch immer sieht er in dem verhandelten Dokument einen bedeutenden Schritt zur Halbierung der Armut bis 2015 und zur Eindämmung der Gefahren, die von Krieg, Terrorismus, der Verbreitung von Nuklearwaffen und der Mißachtung der Menschenrechte ausgehen. »Die politischen Spitzen der Welt müssen an allen Fronten voranschreiten, um ein Ergebnis zu sichern, das den Bedürfnissen aller Mitgliedsstaaten gerecht wird«, so Annan weiter. Nicht zuletzt gehe es um ein Papier, das die umfassendsten Reformen der Vereinten Nationen einleiten könnte.
Konsens in weiter Ferne
Beobachter rechnen auch für die am 22. August wieder angelaufenen Gespräche mit Schwierigkeiten. In den USA erkennen sie den Staat, der den Prozeß bremst. Wie Lene Schumacher, Programmdirektorin des in New York ansässigen »World Federalist Movement – Institute for Global Policy« in einem Gespräch unterstrich, hat Washington mit seiner Forderung nach einer umfassenden »Redaktion« des Entwurfs in letzter Sekunde anderen Kritikern die Möglichkeit eröffnet nachzuziehen.
Die USA stellen Fragen der UN-Reform in den Mittelpunkt, drängen auf neue Schwerpunkte bei Entwicklungsthemen und wollen Fragen der Abrüstung wichtiger bewertet sehen als die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Ginge es nach den USA, würden große Teile des Entwurfs neu geschrieben, so Schumacher. Im schlimmsten Fall drohe ein Scheitern des Gipfels und den UN damit eine weitere empfindliche Schwächung.
Kritik an dem Aktionsplan in seiner jetzigen Form übt auch die Gruppe der 77 (G 77), ein Zusammenschluß von mittlerweile 132 Entwicklungsländern bei den Vereinten Nationen. Ihr fehlt die Forderung nach konkreten Zusagen der Industriestaaten zur Erhöhung der offiziellen Entwicklungshilfe (ODA), zu Fragen des Schuldenerlasses, der Handelsbeziehungen und einem verbesserten Marktzugang für Exporte aus den Ländern des Südens. Die 117 Mitglieder der Blockfreienbewegung (NAM), die meisten von ihnen auch in der G 77 vertreten, wiederum haben Kritik an dem vorgeschlagenen neuen Menschenrechtsrat und an der Befugnis des Sicherheitsrates zur Anordnung von militärischen Interventionen in globalen Konfliktsituationen.
Bislang hat man sich auf eine politische Definition von Terrorismus geeinigt, ist aber weiterhin zerstritten, was rechtliche Fragen angeht. Diskutiert werden auch die Zahl und Auswahl der Mitglieder im vorgeschlagenen Menschenrechtsrat und die Modalitäten seiner Arbeitsweise. Ebenso gibt es noch Differenzen mit Blick auf das Recht zum Einsatz militärischer Gewalt im Einklang mit der UN-Charta. Allerdings scheinen die meisten UN-Mitglieder Militärinterventionen bei »Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit« für angemessen zu halten.
Kaum konkrete Pläne
Auch die Nichtregierungsorganisation Oxfam hat Zweifel daran, daß der Entwurf in Fragen der Entwicklungsfinanzierung, der Schuldenlast, des Handels und der Bildung stark genug ausgearbeitet ist und vermißt eine adäquate Reaktion auf die Armutskrise und definitive Festlegungen mit Blick auf die auf dem UN-Gipfel von 2000 angenommenen Millenniumsziele. Diese sehen bis 2015 die Halbierung von Hunger und Armut vor und weiter Grundschulbildung für alle Kinder, die Reduktion der Kindersterblichkeit um zwei Drittel, die Senkung der Müttersterblichkeit um drei Viertel, die Förderung der Geschlechtergleichheit, Erfolge im Kampf gegen HIV/AIDS, Malaria und andere Krankheiten, ökologische Bestandsfähigkeit und den Aufbau einer Entwicklungspartnerschaft zwischen den Ländern des Nordens und Südens.
Amnesty International hat sich angesichts der Aufweichung der UNO-Papiere für eine substantielle Stärkung des Dokuments ausgesprochen. Bleibe sie aus, würden die Menschenrechte nie zur dritten Säule der Vereinten Nationen neben Entwicklung und Sicherheit, meint die Hilfsorganisation.
Aus: junge Welt, 30. August 2005
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