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Abkehr vom Wachstumsdogma

Zwei neue Publikationen zur Thematik erschienen

Von Alexander Amberger *

Mit »Wohlstand ohne Wachstum« des britischen Ökonomen Tim Jackson und »Fetisch Wachstum« des Kölner Philosophen Peter Radt sind jüngst zwei neue Bücher erschienen, die sich kritisch mit der kapitalistischen Wachstumslogik beschäftigen.

»Wachstum in Frage zu stellen, gilt als Akt von Wahnsinnigen, Idealisten und Revolutionären. Dennoch müssen wir es hinterfragen«, schreibt Tim Jackson in »Wohlstand ohne Wachstum« und tut das dann auch gleich.

Peter Radt beschäftigt sich mit dem »Fetisch Wachstum«. In seiner marxistischen Wachstumskritik bietet er zwar wenig Neues, als Einführung ins Thema und als Argumentationshilfe gegen neoliberale Dogmen ist sein Buch aber empfehlenswert. Der Autor analysiert und kritisiert den Wachstumsfetisch als Kern des Kapitalismus. Fetisch heißt hier im marxistischen Sinne, dass das Wachstum als solches gesellschaftlich nicht hinterfragt wird, weil es als etwas »Gegebenes« gilt. Radt bezeichnet es jedoch als etwas »Gemachtes«, zu dem es durchaus Alternativen gibt.

Im Kapitalismus lebt der Mensch, um zu arbeiten. Das sei unlogisch, so der Autor, denn eigentlich sollte die Wirtschaft dem Menschen dienen. Statt zu »sein« strebten alle nach »Haben«. Sozial wäre stattdessen nicht alles, was Arbeit schafft, sondern alles, was Mühsal erleichtert und vermeidbar macht. Die Wachstumslogik findet Radt deshalb aus philosophischer Perspektive »absurd« und »dysfunktional«.

Trotz permanenten Wirtschaftswachstums habe sich der Wohlstand der Gesellschaft in den letzten 20 Jahren nicht erhöht, im Gegenteil. Auf Grundlage des Marxschen Wertbegriffes kommt Radt zu dem Resultat, dass der Kapitalismus zum Wachstum auf Gedeih und Verderb gezwungen sei. Phänomene wie das Finanzkapital, die Globalisierung und die neoliberale Ideologie seien immanente Bestandteile des Kapitalismus. Hauptziel kapitalistischen Wachstums sei die Profitmaximierung. Deshalb sorge Wirtschaftswachstum auch nicht automatisch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Radt fordert, die Wirtschaft nach dem tatsächlichen Bedarf der Menschen neu auszurichten. Das könne dann aber kein Kapitalismus mehr sein. Er stellt folglich die Systemfrage – Konkurrenzwirtschaft oder bedürfnisorientierte Ökonomie – und plädiert für eine revolutionär zu errichtende Rätedemokratie. Mittelwege würden nur Symptome bekämpfen, keine Ursachen.

Tim Jackson hingegen glaubt an den Mittelweg. Zwar ist seine Analyse des kapitalistischen Wachstums nicht so tiefschürfend und klar wie Radts, dafür ist seine Vorstellung von einer neuen Wirtschaftsordnung wesentlich konkreter. Er grenzt dabei die Begriffe Wohlstand und Wachstum voneinander ab: Wirtschaftswachstum bedeute nicht automatisch mehr Wohlstand für die Allgemeinheit.

Im Gegensatz zu Radt widmet sich Jackson ausführlich dem Klimawandel als Folge des Wachstumsdogmas. Dieser geschehe viel schneller als der ökologische Umbau der Wirtschaft. Und die Ziele der Wachstumspolitik seien ebenfalls falsch. So belegt Jackson, dass nicht neun Milliarden Menschen den westlichen Lebensstandard haben können. Deshalb müsse man im Westen auch von regelmäßigen Wachstums- und Lohnsteigerungen abkommen und »die Struktur der Marktwirtschaften« hinterfragen. Die Menschen seien darin gefangen; sie zu befreien, bedarf es nicht nur eines wirtschaftlichen, sondern auch eines gesellschaftlichen Wertewandels.

Jackson stellt zwei zentrale Forderungen auf: Erstens sei eine neue Makroökonomie, ein neues Wirtschaftssystem nötig und zweitens auch eine Abkehr vom Konsumismus, ergo ein gesellschaftlicher Normenwandel. Dazu müssten die Regierenden in die Verantwortung genommen werden, die Wirtschaft zu regulieren und das menschliche Verhalten durch politische Impulse und Anreize zu verändern. Weil Revolutionen zu riskant seien, plädiert Jackson für einen zügigen Umbau der Welt in konkreten Schritten auf Basis bestehender Institutionen.

Bedeutet ein Wachstumsstopp für Jackson das Ende des Kapitalismus, wie Radt es prognostiziert? Jackson verneint dies, schränkt aber zugleich ein, dass er nicht sagen könne, ob es sich dann noch um einen Kapitalismus handeln würde. An dieser Aussage merkt man, dass er ein Programm für herrschende Politiker und die breite Masse verfasst hat, die zu Radts marxistischen Ausführungen wohl schwerer Zugang finden dürfte.

Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum, 240 S., oekom Verlag, 22,95 €

Peter Radt: Fetisch Wachstum, 159 S., Neuer ISP Verlag, 17,80 €


* Aus: Neues Deutschland, 18. April 2011


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