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Scheindemokratie

Thomas Wagner entlarvt gängige Verfahren der Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument und »Mitmachfalle«

Von Michael Zander *

Heiner Geißler gilt in der breiten Öffentlichkeit als unkonventioneller »Querdenker«; er ist zwar Christdemokrat, aber auch Mitglied von ATTAC, außerdem plädierte er als »Schlichter« im Konflikt um das Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21« für die Bürgerbeteiligung bei großen Bauvorhaben. Daß Geißler ein parteiischer Vermittler war, der das Steuermilliarden verschlingende Baggerloch nicht hinterfragen, sondern im öffentlichen Dialog legitimieren wollte, merkten viele Stuttgarter erst im nachhinein. Die Bewegung gegen »Stuttgart 21« wurde ein Opfer dessen, was der Soziologe und jW-Redakteur Thomas Wagner im Titel seines neuen Buchs die »Mitmachfalle« nennt: Kritische Bürger werden eingeladen, ihre Meinung vorzutragen und Einfluß auf Details zu nehmen, ohne über die maßgeblichen politischen und ökonomischen Bedingungen entscheiden zu dürfen. Auf diese Weise soll die Akzeptanz für das vergrößert werden, was ohnehin geplant ist. Wagner bringt dies so auf den Punkt: »Da einer wachsenden Zahl von Bürgern die pauschale obrigkeitsstaatliche Diffamierung von Protestierenden als Chaoten nicht mehr einleuchten will, werden neue Wege gesucht, um die Profitinteressen privater Unternehmen zu wahren und die Eigentumsverhältnisse zu schützen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) mußte nicht zuletzt wegen seiner von der Bevölkerungsmehrheit als unangemessen betrachteten Härte (…) seinen Stuhl zugunsten des Grünenpolitikers Winfried Kretschmann räumen.«

Drahtzieher

Die konformistische Befriedung des Konflikts im Südwesten ist ein Lehrstück und steht zugleich für einen Trend. Wagners Verdienst besteht darin, dies anhand vieler Fallbeispiele kenntnisreich zu belegen. Mitmachfallen lauern in der Stadtentwicklung, den Verfahren der »politischen Mediation« oder im Zusammenhang mit Bürgerhaushalten. Die Akteure, die mit Beteiligungsversprechen ihre Macht absichern, sind buntscheckig, gehören aber alle zum herrschenden Establishment. So steht hinter dem in New York und Berlin gastierenden »Guggenheim Lab« der Automobilkonzern BMW. Vordergründig soll mit »den Bürgern« über Gentrifizierung diskutiert werden, eigentlich geht es aber, wie der BMW-Marketingchef gegenüber dem Manager Magazin erklärte, darum, »jene anzusprechen, die heute vielleicht noch keine besondere Affinität zur Marke BMW haben.« Der Hersteller von Luxuskarossen ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Proteste gegen diesen Schwindel wurden in New York mit der Polizei beantwortet, in Berlin diffamierte die Presse Kritiker als »Chaoten« oder »Blockwarte«. Ähnliche Drahtzieher stehen, wie Wagner zeigt, auch hinter anderen, angeblich bürgernahen Prozessen: Unternehmen inszenieren Bürgerinitiativen, um die Ansiedlung von Ikea- oder Aldi-Märkten durchzusetzen; kirchliche Gruppen gründen »Bürgerplattformen« und geben vor, die Einwohner eines ganzen Viertels zu repräsentieren. Finanziell unterstützt werden derartige Projekte insbesondere von der Bertelsmann-Stiftung.

Wagner porträtiert den US-Ideologen Richard Florida, der Forderungen nach Beteiligung und einer fortschrittlichen Minderheitenpolitik mit gewerkschaftsfeindlichen und neoliberalen Positionen verbindet. Empfänglich für solche Ideen sind nicht nur die Grünen, sondern auch Teile der Linkspartei. Ausgerechnet auf einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung lobte ein Vertreter des »Community Organizing« den »gesunden Abstand zu linken Ideen«, den man mit dieser Methode der Stadtteilarbeit inzwischen erreicht habe.

Interessengegensätze

Die neue bürgerliche Partizipationskultur, so läßt sich Wagners Befund zusammenfassen, bindet Widerstands­potential in vermeintlich »auf Augenhöhe« stattfindenden »Dialogen«. Verschleiert wird, daß es sich nicht um »Partner«, sondern um Konfliktparteien handelt, zwischen denen es Interessengegensätze und ein Machtgefälle gibt. »Partizipation« in diesem Sinne ist kein Heilmittel gegen die Defizite der »repräsentativen Demokratie« und der polizeilich abgesicherten Staatsgewalt, sondern deren stützende Ergänzung. Der springende Punkt ist dabei die Ausklammerung der Ökonomie: »Wenn in der Arbeiterbewegung (…) die Forderung nach mehr Demokratie gestellt wurde, war damit immer auch die Erweiterung demokratischer Kontrollmöglichkeiten auf den Bereich der Produktion (…) gemeint. Wird auf diese Forderung verzichtet, verliert der (…) Slogan von der ›Demokratisierung der Demokratie‹ seine emanzipatorische Stoßrichtung.«

Wagner stellt die verschiedenen Schauplätze und Varianten der »Mitmachfalle« kaleidoskopartig dar. Einerseits stehen damit die Kapitel für sich und können unabhängig voneinander gelesen werden, andererseits kommt es dadurch zu Wiederholungen, weil sich überall ähnliche Probleme zeigen. Lediglich angedeutet bleiben die materiellen Grundlagen der Teilhabeideologie, die in »der wissensbasierten High-Tech-Ökonomie« zu suchen sind. Wo Computer und Internet zur »leitenden Produktivkraft« (Wolfgang Fritz Haug) aufgestiegen sind und große Teile der Ökonomie in der Erbringung von Dienstleistungen bestehen, da kann »Kommunikation« als Schlüssel zur Lösung gesellschaftlicher Probleme erscheinen. Wagners Buch ist wichtig, weil es diese Vorstellung als Irrtum entlarvt und dazu beitragen kann, daß Linke nicht in die Mitmachfalle tappen.

Thomas Wagner: Die Mitmachfalle - Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument. Papyrossa Verlag, Köln 2013, 163 Seiten, 12,90 Euro

* Aus: junge welt, Montag, 26. August 2013


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